Tischrede von Bundespräsident Johannes Rau bei einem Abendessen aus Anlass des 80. Geburtstages für Loriot

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 10. Dezember 2003

Herzlich willkommen im Schloss Bellevue zu einem Abendessen, zu Gespräch und Begegnung aus einem besonders schönen und freudigen Anlass - auch wenn ich es sehr bedaure, dass die Herren Jakob Maria Mierscheid und Edmund Friedemann Dräcker heute leider verhindert sind....

Sehr geehrte Gäste, sehr verehrte Frau von Bülow, die Schwierigkeit, aus diesem Anlass zu sprechen beginnt mit der Frage, wie der Ehrengast denn nun korrekt anzureden sei. Ich nehme Zuflucht bei einem Philosophen und sage mit Odo Marquard:

Sehr verehrter, lieber Herr von Loriot! Ihnen ein besonderes Willkommen und noch einmal unseren herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Geburtstag!

So Vieles gäbe es heute Abend zu sagen, so Vieles ist in den vergangenen Wochen auch schon zu recht gewürdigt worden. Eines allerdings, so meine ich, zu wenig: Ihre unbedingte Ehrlichkeit. Ich verweise nur auf das Vorwort zu Ihrem ersten Lebensrückblick - vor mehreren Jahrzehnten verfasst - in dem es heißt: "Was meinen autobiografischen Versuch von anderen unterscheidet, ist die Absicht, mich in möglichst vorteilhaftem Licht erscheinen zu lassen..."

Wir alle wissen: Keine Selbstdarstellung nimmt es mit der Wahrheit so ganz genau. Aber wer sagt das schon so offen? Genauso schonungslos sprechen Sie auch von Ihren Fehlern und Schwächen. "Zwei große Fehler habe ich gemacht", haben Sie einmal bekannt, "ich habe mein Haus nicht unterkellert und ich habe Heinz Meier den Lindemann spielen lassen." Der letzte Hinweis ist nun wirklich nur etwas für Eingeweihte und für Wuppertaler: Erwin Lindemann ist jener Gewinner einer Lotto-Million, der in völliger Verwirrung seiner Zukunftspläne schließlich davon spricht, er wolle mit dem Papst in Wuppertal eine Herrenboutique eröffnen. Und in einem seiner bekanntesten Sketche tritt Loriot nicht selber in Erscheinung - wahrlich eine schwere Unterlassung! Dennoch möchte ich mich als ehemaliger Oberbürgermeister Wuppertals bei dieser Gelegenheit noch einmal sehr herzlich dafür bedanken, dass Sie - wenn auch indirekt - so enorm zur noch größeren Bekanntheit meiner Heimatstadt beigetragen haben.

Über Ihre Schwächen haben Sie im Abgleich mit dem Werk Ihres Kollegen Paul Flora gesprochen und gesagt: "Es wollten mir auch keine venezianischen Paläste aus der Feder, keine Päpste, keine Gespenster, keine nächtlichen Lokomotiven, nicht einmal der kleinste Rabe im Nebel." Dem muss ich entgegenhalten: Das hätten wir, die Liebhaber Ihrer Kunst, auch gar nicht gewollt. Von den genannten Lebewesen eignen sich bestenfalls Gespenster dafür, mit einer Knollennase gezeichnet zu werden und in venezianischen Palästen hätten wir uns einfach nicht zu Hause gefühlt. Darauf kommt es doch entscheidend an: Dass wir uns in den Behausungen des von Ihnen ins Leben gerufenen Personals wohlfühlen, weil wir sie als unsere wiedererkennen; so wie wir uns in den von Ihnen geschaffenen Menschen wiedererkennen, in den Blöhmanns und Lohses, den Klöbners, Hoppenstedts und Moosbachs. Das können wir auch deshalb, weil Sie sich nie am Aktuellen abgearbeitet, sondern immer nur für das Allgemeingültige und Zeitlose interessiert haben. Deshalb können wir über Karikaturen schmunzeln, auch wenn Konvention und Kleidung von früher stammen und unsere Kinder können über Sketche lachen, obwohl die parodierten Personen längst nicht mehr bekannt sind. Und so führen viele von uns, gleich welchen Alters, einen Vorrat an Loriot-Zitaten mit sich, der ihnen hilft im Alltag ein Ereignis auf den Punkt zu bringen, eine Situation zu entspannen oder Nähe herzustellen.

Hinter der Komik, die so leicht daherkommt, steckt harte Arbeit, ja sogar Quälerei, wie Sie einmal gesagt haben. Die Störungen der Kommunikation und das Chaos des Alltags entwickeln sich bei Ihnen nach streng formalen Kriterien und in einem genauen Rhythmus. Nur so wirkt komisch, was komisch gemeint ist.

Genauigkeit, Ausdauer und hohe Anstrengungsbereitschaft, das hat gewiss auch mit einem positiv verstandenen Preußentum zu tun, für das Sie stehen. Dazu gehört auch eine besondere Verbundenheit mit Ihrer brandenburgischen Heimat, wo es schon seit zehn Jahren eine Vicco-von-Bülow-Stiftung gibt, um die Sie kein Aufhebens machen, die aber Beachtliches leistet. Unter der deutschen Teilung haben Sie gelitten und Sie haben das auch gesagt. Genugtuung mag Ihnen verschafft haben, dass über Ihre Karikaturen und Sketche immer in beiden deutschen Staaten gelacht wurde und gelacht werden durfte: Ihre Bücher wurden auch in der DDR verlegt, Sie haben dort gelesen und die Premiere Ihres ersten Spielfilms fand zuerst in der "Hauptstadt der DDR" statt und dann erst in "Berlin (West)".

Ihr Erfolg hat Sie nie zu dem Missverständnis verleitet, wer als Künstler Sympathie genießt, verfüge auch über die besseren politischen Argumente - und doch ginge der Vorwurf fehl, Sie, und mit Ihnen Ihre Arbeit, seien unpolitisch. Ihre Einmischung kommt aber nicht im belehrenden Ton daher. Wie könnte man die fortschreitende Anglisierung der deutschen Sprache knapper und treffender ironisieren als mit Ihrem Hinweis: "Deutsch wird uncool"? Im Lachen sagen Sie uns die Wahrheit und wir sind bereit, sie zu akzeptieren, weil wir uns weder vorgeführt noch gemaßregelt fühlen. Wenn Sie in einer Rede vor Studenten bedauern, dass ein geordneter Fernsehkonsum dadurch erschwert werde, dass die Werbung bedauerlicherweise alle paar Minuten durch unverständliche Spielfilmteile unterbrochen wird, dann werden Ihre jungen Zuhörer auch geneigt sein, Ihren Wunsch zu bedenken, sie möchten die erste kluge Generation sein, die den wirklichen Fortschritt darin erkennt, nicht alles zu tun, was machbar ist.

Sie selber sagen von sich, Sie seien Humorist. Ich erlaube mir anzumerken: Das ist eine unzulängliche Beschreibung eines weit umfassenderen Wirkens. Sie wird Ihren musikalischen und literarischen Neigungen, Kenntnissen und Leistungen nicht gerecht. Sie haben mit großem Erfolg Opern inszeniert und uns Werke der klassischen Musik mit neuen Texten neu erschlossen. Der von Ihnen und Walter Jens gelesene Briefwechsel Friedrichs des Großen mit Voltaire ist ein wunderbarer Hörgenuss. Und hätte Mark Twain Ihre Interpretation des "Ring" gekannt, so hätte er sein bekanntes Diktum über die Musik des Bayreuthers vermutlich wie folgt ergänzt: "Loriots Deutung macht Wagners Musik besser als sie klingt."

Ihre Kunst ist viel gerühmt und oft erklärt worden. Viel Tiefgründiges gibt es da zu lesen, einiges will ich zitieren:

  • Loriot ist Exponent einer kritischen Anthropologie,
  • er schöpft das Katastrophenpotential radikal aus,
  • konsequent legt er das Abgründige im Vordergründigen offen,
  • seine Kunst hat einen Zweck, der über sie selbst hinaus weist,
  • seine Sprache ist ein listiges Talmi aus Bürokraten- und Society-Deutsch,
  • auf dem Felde des Geschlechterkampfes ist Loriot der Strindberg für alle, die des Schwedischen nicht mächtig sind, und schließlich:
  • gelegentlich dient in seinen Texten der Stabreim als Indiz von wissenschaftlichem Genie-Simulantentum.

Ich verzichte darauf, die Urheber dieser Urteile zu nennen. Loriot, so dürfen wir vermuten, würde solches Lob mit zwei Worten einordnen: "Ach was?!?"

Da wir zuversichtlich darauf hoffen, auch in Zukunft von Ihnen zu hören und überrascht und erfreut zu werden, kann jede Bilanz Ihrer Verdienste nur eine Zwischenbilanz sein. Doch nach einem halben Jahrhundert öffentlichen Wirkens lässt sich durchaus schon einiges festhalten, was bleiben wird:

  • Sie haben die Regeln des Skatspiels um das Knicken der Trumpfkarte bereichert,
  • Sie haben "Brehms Tierleben" um die Gattung der Steinlaus ergänzt,
  • Sie haben einem früher weit verbreiteten sprachlichen Diminutiv, der restlos zu verschwinden drohte, ein unvergleichliches Denkmal gesetzt mit dem Satz: "Sagen Sie jetzt nichts, Fräulein Hildegard!",
  • und schließlich haben Sie bewiesen, dass Ihre Landsleute wesentlich humorvoller sind, als sie manchen Vorurteilen zufolge sein sollen.

Allein das rechtfertigt es, so meine ich, Ihrer bescheidenen Forderung nachzukommen, Ihnen einen angemessenen Platz anzuweisen zwischen Lessing und Walther von der Vogelweide.

Überreich haben Sie uns beschenkt - dafür herzlichen Dank und alle guten Wünsche für die kommenden Jahre!