Grußwort von Bundespräsident Johannes Rau aus Anlass des Konzertabends mit Meisterschülern der Hochschule für Musik "Hanns Eisler" Berlin

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 20. Februar 2004

Meine Damen und Herren,

ganz herzlich willkommen hier im Schloss Bellevue.

Ich weiß nicht, ob Sie den Satz kennen von Joseph Joubert, der gesagt hat: "Ein einziger schöner Klang ist besser als langes Gerede". Deshalb rechnen Sie bitte nicht mit einer langen Rede, aber einige Worte will ich doch sagen.

Sie sind heute der Einladung von meiner Frau und mir gefolgt, weil Sie Meisterschüler hören wollen. Ich könnte mir denken, dass viele sich auf diesen Abend gefreut haben, weil sie neue Namen, neue Gesichter, neuen Klang hören und erfahren.

Weil ich schon mal mit den Zitaten angefangen habe, will ich hinzufügen, was Victor Hugo gesagt hat: "Was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen dennoch unmöglich ist, das ist Musik". Das zeigt den großen Respekt Hugos vor denen, die statt Lyrik Noten zu Papier bringen und die mit Hilfe des Tons das anklingen lassen, was mit der Sprache jedenfalls nicht vollständig beschrieben werden kann. Ich will kurz mit Ihnen darüber sprechen, warum mir dieser Abend über das Erlebnis hinaus besonders wichtig ist.

Es gibt gegenwärtig eine bildungspolitische Diskussion in Deutschland, da spielen Vergleichsstudien wie PISA und IGLU eine wichtige Rolle. Ich halte sie auch für wichtig. Die Diskussion ist nötig und es ist gut, dass sich in dieser Diskussion die meisten darüber einig sind, dass wir in Deutschland eine grundlegende Reform, eine grundlegende Verbesserung unseres Bildungssystems brauchen. Ich habe aber zu häufig den Eindruck, dass in dieser Diskussion zu erst einmal Wissen als das Instrument verstanden wird, das man braucht, um erfolgreich zu sein. Die Stimmen, die von kultureller Bildung, von ästhetischer Erziehung reden, die haben es schwer, sich Gehör zu verschaffen.

Ich bin davon überzeugt, das ist falsch. Wenn wir als Gesellschaft zukunftsfähig sein wollen, dann müssen wir den ganzen Menschen in den Blick nehmen, alle seine Talente, alle seine Fähigkeiten und alle seine Möglichkeiten. Dann geht es um VerstandundSinne und VernunftundGefühle.

Ich habe diese Erfahrung selber gemacht. Ich habe im Schulorchester Geige gespielt, ich habe mich am Cello versucht. Ich kenne die Freude und die schöpferische Kraft, die aus dem Musizieren erwachsen kann, gerade aus dem gemeinsamen Musizieren. das hat mich in meiner Zeit als Minister in Nordrhein-Westfalen dazu geführt, dass ich mich mit besonderer Liebe - wie ich hoffe - den Musikhochschulen in Essen, in Detmold, in Köln zugewandt habe.

Herr Professor Gössling, den ich herzlich begrüße, hat heute die Bürde, eine Musikhochschule durch unruhige Wasser zu steuern. Da braucht man jemanden, der unbeirrt Kurs auf die Ziele hält, der aber kreativ ist, was die Wege angeht.

Diese Verantwortung kann ihm niemand abnehmen, aber er hat Unterstützung verdient, nicht nur, weil diese Hochschule nach einem großen Komponisten des 20. Jahrhunderts benannt ist, nach Hanns Eisler.

Ich habe Hanns Eisler nicht selber gekannt, aber ich bin seiner Witwe einmal begegnet. Wir haben uns miteinander unterhalten, und ich habe sie gefragt, ob ihr mal aufgefallen sei, dass man die beiden Nationalhymnen der Deutschen - damals, als es die DDR noch gab - auswechseln kann. Man kann auf den Text der einen die Melodie der anderen singen. Das war ihr nicht aufgefallen. Dann sagte sie: "Aber ist Ihnen mal aufgefallen, dass die beiden Komponisten der deutschen Nationalhymnen Österreicher waren?" "Nein", habe ich gesagt, "das habe ich nicht gemerkt. Aber Ihr Mann ist doch dann Bürger der DDR geworden." Da guckte sie mich entsetzt an und sagte: "Nie! Bis zu seinem Tode war er österreichischer Staatsbürger und nichts anderes". Er hätte nicht daran gedacht, die Staatsbürgerschaft des Landes anzunehmen, dessen Nationalhymne er komponiert hat. Eine schöne Erinnerung.

Die Hochschule, die nach ihm benannt ist, ist ein Leuchtturm für die Ausbildung des musikalischen Nachwuchses weit über Berlin hinaus. Darauf möchten wir heute Abend aufmerksam machen.

Als ich vor einiger Zeit überlegt habe, was ich tun kann, damit die Bildungsdiskussion sich eben nicht nur auf die Frage beschränkt, wie man Fachwissen vermittelt, da entstand bei uns die Idee eines Projekttags "Musik für Kinder". Der fand am 9. September vergangenen Jahres hier mit sehr unterschiedlichen Musikern, von Simon Rattle bis zur Volksmusik, statt. Ganz besonders gut waren die "Coolen Streicher". Wir müssen ja bei den Kindern ansetzen, sonst haben die Hochschulen keinen Nachwuchs.

Ich möchte auch in den letzten Monaten meiner Amtszeit weiter für eine gute musische Bildung und Ausbildung werben. Darum habe ich die Hanns-Eisler-Hochschule vor einem halben Jahr besucht. Darum habe ich Sie eingeladen, diesen Abend im Schloss Bellevue zu gestalten.

Auch in Zeiten knapper Kassen sind Musik und musikalische Bildung unverzichtbar. Das dürfen nicht die ersten Streichkandidaten sein. Darum brauchen wir noch mehr Unterstützung und ich wünschte mir, dass der Kreis der Förderer, Gräfin Bernstorff, noch größer würde. Alle, die Ihnen jetzt schon helfen, sollten durch diesen Abend angeregt werden, noch "eine Schippe draufzulegen". Dann könnten viele mitwirken, die sich auf diesem Feld auskennen und die Talent haben.Ich wünsche der Hochschule, dass sie öffentliche Anerkennung findet.

Der Förderverein hat diesen Abend möglich gemacht. Dafür danke ich Ihnen, Gräfin Bernstorff und Ihrem Team ganz besonders. Ich bin froh darüber, dass Richard von Weizsäcker und seine Frau unter uns sind. Die begrüße ich als einzige hier gesondert. Alle anderen sind ebenso herzlich willkommen. Wenn ich Sie aber alle nennen würde, nach dem Maß der Sympathie, dann fände keine Musik statt.

Friedrich Nietzsche hat einmal gesagt: "Ein Leben ohne Musik ist ein Irrtum." Ich hoffe, dass Sie heute Abend nicht irrtümlich gekommen sind.

Herzlich willkommen!