Ansprache von Bundespräsident Johannes Rau anlässlich des Staatsbankett zu Ehren von Bundespräsident Dr. Thomas Klestil und Frau Klestil-Löffler

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 8. März 2004

Herr Bundespräsident,

sehr geehrte Frau Klestil-Löffler,

meine sehr verehrten Damen und Herren,

herzlich willkommen im Schloss Bellevue!

Deutschland und Österreich sind so eng miteinander verbunden, wie es zwei Nationen und zwei Staaten nur sein können. Sie bilden einen Sprach- und Kulturraum, in dem es manchem schwer fällt, die richtige Zuordnung zu finden. Mozart und Beethoven, die mag man ja richtig einordnen - aber welche Staatsangehörigkeit hatten Max Reger, Hanns Eisler oder Franz Werfel? Für manchen ist Wien immer noch die wahre Hauptstadt des deutschen Kulturraums, und das bekannte Bonmot von Karl Kraus, nichts trenne uns so sehr wie die gemeinsame Sprache, sollte man sich auch daraufhin auf der Zunge zergehen lassen, wie wenig uns trennt.

Die Deutschen geben sich zum begreiflichen Verdruss der Österreicher manchmal etwas gönnerhaft. Dabei haben sie allen Grund, ein bisschen neidisch zu sein. Ihr Land, Herr Bundespräsident, hat sich einen Spitzenplatz erobert:

  • Die österreichische Wirtschaft gehört zu den modernsten und leistungsfähigen Volkswirtschaften der Welt.
  • Und in welcher Stadt ist Kultur so sehr Stadtgespräch wie in Wien - sei es die Qualität einer Opernpremiere, das künstlerische Schicksal eines Theaterdirektors oder Dirigenten oder die Fähigkeit einer Sopranistin, das hohe "C" zu singen.
  • Auch bei der aktuellen Frage: wie gehen wir mit dem Islam um? kann Österreich Beispiel geben. In Österreich gilt ein Gesetz, nach dem Einrichtungen und Gebräuche des Islam denselben gesetzlichen Schutz genießen wie andere Religionsgemeinschaften, insoweit sie nicht mit den Staatsgesetzen im Widerspruch stehen. Übrigens gilt dies Gesetz seit 1912.
Aber auch Österreich ist natürlich keine Insel der Glückseligkeit. Bevölkerungsentwicklung, Wachstumsschwäche und Globalisierung stellen Österreich vor die gleichen Probleme wie uns. Auch in Österreich bewegt die Menschen zutiefst die Debatte, wie die Sozialsysteme angepasst werden können, ohne dass dabei Gerechtigkeit und Solidarität auf der Strecke bleiben. Denn auch die Österreicher wollen ja an dem Grundsatz festhalten, dass nicht alle Bereiche des Lebens nur nach ökonomischen Kriterien ausgerichtet sein können.

Österreichs Erfahrung mit seinem Beitritt zur Europäischen Union und die besondere historische Verbundenheit mit der Region weisen Ihrem Land, Herr Bundespräsident, bei der Erweiterung der Europäischen Union eine wichtige Rolle zu. Niemand kann den neuen Mitgliedern überzeugender vermitteln als Österreich, dass die Befürchtung unbegründet ist, die Integration in Europa gefährde die eigene Identität. Die Sorge unserer östlichen Nachbarn um ihre gerade erworbene Selbständigkeit ist gewiss unbegründet, aber sie ist nachvollziehbar. Auf die Stimme Österreichs aber werden sie hören.

Das kann dabei helfen, Ängste abzubauen und die Verfassung doch noch auf einen guten Weg zu bringen. Europa kann nur gelingen, wenn die Stimmen der kleineren und mittleren Staaten gleichberechtigt zur Geltung kommen. Niemand darf sich bevormundet fühlen. Vielleicht sollten wir mehr an das Wort des großen Europäers Paul Henri Spaak denken: "Es gibt nur kleine europäische Staaten", hat er gesagt und hinzufügt: "Manche haben es nur noch nicht gemerkt."

Österreichische Außenpolitik hat sich mit Besonnenheit und Sachkenntnis einen guten Namen gemacht. Ihre Stärke war es immer, im Verbund der Staatengemeinschaft zu handeln. Ihre Hauptstadt ist wichtiger Sitz der Vereinten Nationen und der OSZE. Wien war jahrzehntelang der Ort großer Abrüstungsverhandlungen und ist noch heute ein wichtiger Ort des friedlichen Interessenausgleichs. Österreichs überzeugende Neutralitätspolitik hat dem Land die Rolle eines Mittlers eingebracht. Das gilt ganz besonders für den Balkan, wo Österreich ja über einen unvergleichlichen Erfahrungsschatz gebietet. Österreicher stehen überall vorne, wo es darum geht, die Folgen der Kriege und Krisen zu bewältigen, die der Zerfall des ehemaligen Jugoslawien mit sich gebracht hat. Das ist auch für uns Deutsche gut zu wissen, denn Deutschland ist wie Österreich eines der Länder, die von den Konsequenzen dieser Konflikte besonders betroffen sind.

Heute ist es 15 Jahre her, dass mit der Öffnung des eisernen Vorhangs an der ungarisch-österreichischen Grenze das Ende des Kommunismus in Europa kam. Und ich habe dankbar aus der Hand des Landeshauptmanns des Burgenlandes dieses kleine Stück Stacheldraht angenommen, das er mir zur Erinnerung daran überreicht hat. Wir Deutsche erinnern uns dankbar daran, was die Österreicher damals selbstlos und großherzig an Hilfe und Unterstützung bei der Aufnahme, bei der Versorgung und der Weiterführung unserer Landsleute aus der DDR geleistet haben.

Ein Tiroler Schulmusiker hat eine Melodie von Mozart wie folgt unterlegt: "Du bist an Schönheit und Ehren reich, Gott schütze und segne dich, mein teures Österreich!" Dem schließen wir uns alle gern an!

Herr Bundespräsident, ähnlich wie ich mit einer Frist von 8 Tagen Differenz werden Sie bald Ihre Amtszeit beenden. Ich freue mich sehr darüber, dass wir noch einmal die Gelegenheit haben, mit einem Staatsbesuch die guten und die engen Beziehungen zwischen unseren Ländern sinnfällig zu machen. Sie haben im Kreis der europäischen Staatsoberhäupter viel bewegt - so geht das jährliche Treffen der mittel- und zentraleuropäischen Präsidenten auf Ihre Anregung zurück. Dafür und für vieles andere mehr möchte ich Ihnen meinen kollegialen Dank aussprechen und zugleich von der Hoffnung sprechen, dass Sie uns weiter verbunden bleiben.

Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, gemeinsam jetzt mit mir das Glas zu erheben und mit mir zu trinken auf das Wohl von Bundespräsident Klestil, auf das seiner Gemahlin, auf eine glückliche Zukunft Österreichs und auf ein fruchtbares Miteinander unserer beiden Länder in einem friedlichen und geeinten Europa.