Ansprache von Bundespräsident Johannes Rau anlässlich der Vorlage des Abschlussberichts der Parteienfinanzierungskommission

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 10. Mai 2004

Heute trete ich zum dritten Mal in meiner Amtszeit in Sachen Parteienfinanzierung vor Sie. Erinnern wir uns zurück:

Im Winter 1999/2000 wurden wir alle - aufgrund von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und Presseberichten - mit Fällen konfrontiert, in denen es um gravierendes Fehlverhalten von Politikern im Umgang mit Parteispenden und Parteifinanzen ging. Ich habe damals, ich war ein halbes Jahr im Amt, am 3. Februar 2000 diese Kommission unabhängiger Sachverständiger berufen. Ich habe sie gebeten, umfassend zu prüfen, ob - und wenn ja - welche Änderungen im Recht der Parteienfinanzierung nötig sind.

Die Kommission ist dieser Aufgabe nachgekommen und hat ein gutes Jahr später am 18. Juli 2001 einen umfangreichen Bericht vorgelegt, in dem sie insgesamt achtzig wohl begründete Empfehlungen zum Recht der Parteienfinanzierung gemacht hat.

Die Kommission ist in der Zeit danach ihren weiteren gesetzlichen Aufgaben nachgekommen, die den Warenkorb und die Preisentwicklung bei den parteitypischen Ausgaben betreffen. Diese Berichte haben - naturgemäß - weniger öffentliches Interesse gefunden.

Ich habe die Kommission darüber hinaus gebeten, in einem Bericht zum Abschluss ihrer Amtszeit ein Resümee der Entwicklung des Rechts der Parteienfinanzierung zu ziehen. Grund unseresZusammenkommens heute ist, dass die Kommission mir diesen Bericht gerade übergeben hat und dass er der Öffentlichkeit vorgestellt werden soll. Gleichzeitig darf ich die Kommission verabschieden.

Lassen Sie mich aus diesem Anlass vier Bemerkungen machen:

I.

Zu allererst möchte ich Dank sagen: Ich danke der Kommission für ihre hervorragende Arbeit. Ich danke Frau Dr. Hedda von Wedel dafür, dass sie die Kommission als Vorsitzende umsichtig geleitet hat. Ich danke den Mitgliedern der Kommission, den Herren Professor Dr. Ulrich von Alemann, Hans Günther Merk, Dr. Hans Dietrich Winkhaus und Dr. Dieter Wunder, für ihre Arbeit und ihr Engagement.

Mein Dank gilt auch den Mitgliedern des Beirates, die - vor allem bei dem "großen" Bericht vom Juli 2001 - ihre praktischen Erfahrungen aus den Parteien in die Kommissionsarbeit eingebracht haben. Ich danke - unter Weglassung all ihrer Amtsbezeichnungen - den Herren Hans Dietrich Genscher, Dr. Uwe Günther, Dr. Günther Maleuda, Friedrich Vogel und Dr. Hans-Jochen Vogel. Und ich darf an Ignaz Kiechle erinnern, der im Dezember letzten Jahres gestorben ist.

II.

Ich glaube, ich darf den Mitgliedern der Kommission heute attestieren, ohne die Arbeit früherer Kommissionen meiner Amtsvorgänger zu schmälern:

So wichtig, so beschäftigt und so fleißig wie diese war keine Parteienfinanzierungskommission zuvor. Damit bewerte ich nicht allein die Zahl und den Umfang Ihrer Berichte. Ich sage das vor allem mit Blick auf den politischen Hintergrund, vor dem Sie Ihre Aufgabe zu erfüllen hatten.

Seit dem Winter 1999/2000 hörten die Meldungen über tatsächliche oder vermeintliche "Skandalfälle" im Bereich der Parteienfinanzierung ja nicht auf. Sie betrafen im Laufe der Zeit verschiedene Parteien. Mir war deshalb wichtig, dass die Kommission Vorschläge für ein besseres Recht der Parteienfinanzierung vorlegt.

Damals, auf dem Höhepunkt der "Parteienspendenaffäre", haben viele gesagt: "Da wird sich wieder einmal nichts ändern. Da wird eine Kommission berufen, um die Gemüter zu beruhigen; auf diese Weise wird das Thema ausgesessen und am Ende bleibt alles, wie es war." Diese Auguren sind Lügen gestraft worden:

Das lag zum einen gewiss darin, dass der Gesetzgeber angesichts der "Skandale" nicht untätig bleiben konnte, zum anderen aber auch an der fachlichen Qualität und an der Ausgewogenheit der Kommissionsempfehlungen in ihrem Bericht vom Juli 2001.

Jedenfalls hat der Gesetzgeber ein Jahr später mit dem Achten Gesetz zur Änderung des Parteiengesetzes vom 28. Juni 2002 viele Empfehlungen der Kommission umgesetzt. Dazu zähle ich unter anderem, dass es nun zum ersten Mal eine spezielle Strafvorschrift für vorsätzlich falsche Rechnungslegung der Parteien gibt. Es war ja mehr als verdrießlich, dass einige der Sachverhalte im fehlerhaften Umgang mit Parteispenden und Parteigeldern mit den herkömmlichen Tatbeständen des allgemeinen Strafrechts nicht sachgerecht zu erfassen waren.

III.

In dem jetzt vorgelegten Abschlussbericht bleibt die Kommission ihrer kritischen Linie treu: Sie legt im Einzelnen dar, dass auch die neue Rechtslage nach der Gesetzesnovelle des Jahres 2002 noch Defizite aufweist: teils sind es alte Mängel, die nicht behoben wurden, teils sind es neue Rechtsprobleme, die hinzugetreten sind.

Die Kommission übt aber nicht nur Kritik. Sie macht auch konkrete Lösungsvorschläge, vor allem zu buchhalterischen Problemen der Rechnungslegung der Parteien, damit diese vergleichbar und transparent wird. Im Mittelpunkt aller ihrer Vorschläge steht das Gebot des Art. 21 Abs. 1 Satz 4 des Grundgesetzes: Die Parteien müssen öffentlich Rechenschaft geben über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel und über ihr Vermögen. Die Parteien und der Gesetzgeber sind also gut beraten, wenn sie auch den jetzt vorgelegten Abschlussbericht eingehend studieren und die Empfehlungen umsetzen.

Die Kommission erweist sich aber nicht nur als akribischer Rechnungsprüfer, sie macht in ihrem Abschlussbericht auch weiterführende Vorschläge zur Vereinfachung des Rechts: Sie weist einen Weg, wie der parteienspezifische Warenkorb und die Preisentwicklung einfacher und ohne großen Aufwand festgestellt werden können. Diese Vorschläge laufen praktisch darauf hinaus, dass die Kommission ihre eigene Abschaffung empfiehlt. Wann hat es das - bei all den Kommissionen und Beiräten, die wir kennen, - schon einmal gegeben?

Die Kommission weist zugleich darauf hin, dass - ich füge hinzu: natürlich - der jeweilige Bundespräsident aufgrund seiner verfassungsrechtlichen Stellung die Befugnis hat, eine Kommission zu Fragen der Parteienfinanzierung zu berufen, wenn er das für geboten hält. Dem kann ich nur beipflichten und meine Amtsnachfolgerin oder mein Amtsnachfolger werden das gewiss nicht anders sehen.

Das Bundesverfassungsgericht hat einmal gesagt, dass immer dann, wenn der Gesetzgeber in Sachen Parteienfinanzierung entscheidet, es an einem "korrigierenden Element widerstreitender Interessen" fehle. Das soll sagen, dass der Gesetzgeber, dessen Handeln maßgeblich von den Parteien bestimmt wird, quasi "in eigener Sache" entscheidet. Deshalb sei es sinnvoll, wenn es eine unabhängige sachverständige Institution gibt, die solche Entscheidungen vorbereitet und begleitet. Das hat die jetzige Kommission in hervorragende Weise getan.

IV.

Schließlich möchte ich hervorheben, was die Kommission in ihrem Bericht ebenfalls beschreibt:

Die in den letzten Jahren bekannt gewordenen (größeren oder kleineren) Fälle von Fehlverhalten im Umgang mit Parteispenden und Parteifinanzen sind gravierend. Sie gefährden das Vertrauen in die Integrität der Parteien und in die Parteiendemokratie als System.

Besonders desaströs ist der Eindruck, wenn die Vorgänge im Zusammenhang stehen oder in die Nähe gebracht werden mit Korruption und unzulässiger Einflussnahme wie Bestechung oder Vorteilsannahme. Überhaupt herrscht in der Öffentlichkeit eine gewisse Meinung vor, die die staatliche Teilfinanzierung der Parteien gerne und pauschal als "Selbstbedienung" abqualifiziert.

Ich bin weit davon entfernt, Rechtsverstöße, Fehlverhalten und Fehlentwicklungen auszublenden oder kleinzureden. Aber einer Pauschalkritik kann auch ich nicht beipflichten. Sie wird den vielen Menschen nicht gerecht, die sich in den Parteien in allen ihren Gliederungen - zum ganz überwiegenden Teil ehrenamtlich - engagieren.

Ich sehe - und auch die Kommission betont das - keine sinnvolle Alternative zur Parteiendemokratie. Ja, trotz aller - teilweise berechtigten - Kritik, trotz mancher Fehlentwicklung: Wir brauchen Parteien. Jeder weiß, wie wichtig sie für die Willensbildung der Wähler sind. Das Grundgesetz weist ihnen diese Aufgabe ausdrücklich zu.

Es ist leicht, das "Parteiwesen" in Bausch und Bogen zu verurteilen. Was wäre aber die Alternative? Wer oder was träte an die Stelle der Parteien? Wem würden wir es überlassen wollen, über unsere Geschicke mit zu entscheiden? Soll an ihre Stelle der Kampf der Verbände und Vereinigungen treten, die jeweils nur die Partikularinteressen einer einzelnen gesellschaftlichen Gruppe organisieren und propagieren?

Nein, wir brauchen die integrierende Kraft der großen Volksparteien. Wir brauchen aber auch die ernsthafte Debatte darüber, wie sich unsere Parteiendemokratie verbessern lässt. Die Parteien selber sollten diese Debatte offensiv führen. Sie sollten darstellen, welche Arbeit sie leisten, und dass diese Arbeit etwas wert ist, dass sie auch etwas kostet. Der weit verbreiteten Anti-Stimmung von "Politik(er)-" und "Parteienverdrossenheit" sollten die Parteien dadurch entgegenwirken, dass sie sich weniger mit sich selbst beschäftigen. Sie sollten weniger vordergründigen Fragen nachjagen. Sie sollten weniger dem kurzfristigen politischen Kalkül von Machterhalt und Machtgewinnung verhaftet sein. Die Parteien müssen offen sein für die Probleme, die die Menschen tatsächlich umtreiben. Sie müssen sich neu und verstärkt darum bemühen, dass sie ihre Verwurzelung in der Gesellschaft behalten oder wiedergewinnen.

Um so wichtiger ist es, dass die Parteien mit den finanziellen Mitteln, die sie erst in die Lage versetzen, ihre grundgesetzlichen Aufgaben zu erfüllen, in rechtlich unbedenklicher Art und Weise umgehen. Ich zitiere die letzten Sätze des Kommissionsberichts:

"Die (...) bekannt gewordenen Rechtsverstöße im Umgang mit Parteispenden und Parteifinanzen sind und waren, ungeachtet von Mängeln der Rechtslage und des Systems, in erster Linie zurückzuführen auf das Fehlverhalten von Personen, sei es Einzelner oder einer überschaubaren Gruppe. Der ganz überwiegende Teil der mit Parteispenden und Parteifinanzen befassten, oft ehrenamtlichen Mitarbeiter in den Parteien dagegen ist rechtstreu.

So sehr der Gesetzgeber sich auch bemüht, Mängel der Rechtslage zu beheben: gegen rechtswidriges und vorsätzliches Verhalten ist auch das beste Parteiengesetz nicht gefeit. Deutschland hat - im internationalen Vergleich - ein gutes, beinahe perfektionistisches Recht der Parteienfinanzierung. Wichtig ist, dass auch eine Änderung des Verhaltens derjenigen eintritt, die in der Hoffnung auf persönliche oder parteipolitische Vorteile sich zu Rechtsverstößen hinreißen lassen."

Das kann ich nur unterstreichen, und ich wünsche mir, dass die Hoffnung der Kommission sich erfüllt.