Rede von Bundespräsident Johannes Rau beim 107. Deutschen Ärztetag

Schwerpunktthema: Rede

Bremen, , 18. Mai 2004

I.

Wenn Frau Dr. Auerswald schon zitiert hat, was ich in der vergangenen Woche gesagt habe, in der Berliner Rede, von Vertrauen und Verantwortung, dann möchte ich eigentlich diese beiden Stichworte heute variieren: auf das Gesundheitssystem, auf den Beruf der Ärzte und der Ärztinnen, auf das, was vor Ihnen liegt und steht und was Sie hoffentlich mit gebührender Polemik, das heißt mit einer angemessenen - nicht mit einer unangemessenen Polemik - miteinander zu diskutieren und auch mit staatlichen Stellen zu verhandeln haben.

Wir schreiben ja in jeden Geburtstagsgruß, dass wir vor allem Gesundheit wünschen.

In allen Umfragen steht die Gesundheit auf der Wunschliste der Menschen mit Abstand an erster Stelle.

Nichts ist den Menschen wichtiger, als gesund zu bleiben oder gesund zu werden: nicht der Wohlstand, nicht der Beruf und auch nicht die Karriereaussichten.

Gesundheit ist für uns alle existenziell. Darum ist ein leistungsfähiges, ein humanes Gesundheitswesen so wichtig. Darum ist Ihre Arbeit so wichtig. Deshalb bin ich gerne nach Bremen gekommen, um das zu zeigen: dass das auch vom Bundespräsidenten so gesehen wird.

Bremen ist Meister geworden.

Ich weiß nicht, welchen Anteil der Mannschaftsarzt gehabt hat, lieber Henning Scherf.

Ich weiß aber, dass das besondere Vertrauen, das zwischen Arzt und Patient besteht, nicht nur für Fußballspieler gilt, sondern für uns alle.

II.

So kann ich mich heute nicht zu einzelnen Themen der Gesundheitspolitik oder gar zu bestimmten Instrumenten äußern, schon deshalb nicht, weil der Bürgermeister mir einen Teil meiner Redezeit sinnvoll abgenommen hat.

Ich habe gelegentlich den Eindruck, dass in der gesundheitspolitischen Debatte - neben mancher übersteigerten Polemik - zu viel über Technisches geredet wird.

Was hinter Begriffen wie Fallpauschalen und Budgetierung steht, ist gewiss oft gut durch­dacht, und Widerstand gegen einen Vorschlag spricht ja nicht unbedingt gegen den Vorschlag selbst.

Trotzdem rate ich in der Gesundheitspolitik zu einer Sprache, die die Menschen verstehen können, ohne Ärzte oder diplomierte Gesundheitswissenschaftler zu sein. Das muss man wahrscheinlich erst lernen, das muss man auch als Patient erst lernen. Als ich die Rechnung kriegte, auf der stand: "3,5facher Satz wegen Polymorbidität bei älteren Patienten", da habe ich auch gedacht: So schlimm stehts!

Ich wünschte mir, dass deutlich bleibt und deutlicher wird, welche Ziele Gesundheitspolitik hat, warum vieles bleiben soll, wie es ist, warum anderes geändert werden soll und was unbedingt anders werden soll.

Die Menschen gewinnen Vertrauen in unser Gesundheitswesen dann, wenn sie den Eindruck bekommen, dass die politisch Verantwortlichen und die fachlich Verantwortlichen alles dafür tun, dass alle Menschen den ärztlichen Rat und die medizinische Hilfe bekommen, die sie brauchen.

III.

Der Beruf des Arztes ist weniger denn je ein Beruf wie jeder andere. Jede und jeder von uns braucht irgendwann im Leben ärztliche Hilfe.

Die Rolle des Arztes hat sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten nach meiner Überzeugung verändert. Wir leben in einer säkularen Gesellschaft. Viele Menschen finden den Sinn des Lebens nicht mehr in religiösen Grundüberzeugungen. Da kommt dann der Arzt oft in eine merkwürdige, durchaus bedenkenswerte, manchmal auch bedenkliche Doppelrolle. Viele suchen beim Arzt Hilfe und Zuwendung, ohne körperlich krank zu sein.

Sie erzählen von ihren Problemen, und der Arzt soll oft Probleme lösen, für die die Medizin gar keine Lösungen bereit halten kann.

Was macht ein Arzt in solchen Situationen? Wie geht er mit den Erwartungen der Patienten um, die ja gelegentlich auch nicht frei sind von einer gewissen Anspruchshaltung?

All das wird im Medizinstudium, wenn ich es richtig sehe, nicht gelehrt, und trotzdem müssen Sie in Ihrem Alltag mit solchen Situationen fertig werden.

Ich habe großen Respekt vor allen Männern und Frauen, die sich im ärztlichen Beruf diesen Aufgaben stellen und die die Menschen ernst nehmen.

Das gelingt nur, wenn Sie neben Ihrem fachlichen Können auch das Gespür für Menschen behalten, suchen - immer wieder neu suchen.

Sie sehen sich hohen und oft ganz unterschiedlichen Erwartungen ausgesetzt - Erwartungen, die auch dadurch entstehen können, dass bestimmte Untersuchungsmethoden, Therapien und Pharmaprodukte mit Heilsversprechungen vermarktet werden; Erwartungen, die kein seriöser Arzt erfüllen kann.

Das Informationsbedürfnis in Gesundheitsfragen ist groß: Vier von fünf Erwachsenen suchen im Internet gezielt nach medizinischen Informationen.

Noch nie hatten Ärzte mit so vielen Patienten zu tun, die so viel über ihren Körper und ihre Krankheit wissen oder jedenfalls wissen könnten, wie heute. Das verändert auch das Verhältnis zwischen Arzt und Patienten. Darum ist der gegenseitige Respekt heute wichtiger denn je.

Bei vielen Krankheiten hängen die Heilung oder die Heilungschancen entscheidend vom Verhalten des Menschen ab, von seiner inneren Einstellung, von seiner Haltung.

Das Verhältnis zwischen Arzt und Patient hat viele Facetten: Hoffnung auf Heilung, existenzielle Sorgen, Angst. Da ist das Gefühl, ausgeliefert zu sein, auch das kennt man.

Und Ärzte kennen das Gefühl, Hoffnungen zu enttäuschen, machtlos zu sein gegenüber Krankheiten oder, schlimmer noch, eigenen Ansprüchen nicht zu genügen.

IV.

Der Streit zwischen der Schulmedizin und alternativen medizinischen Ansätzen ist alt. Ich finde, er muss aber nicht unversöhnlich geführt werden. Da lässt sich ein fruchtbarer Dialog entwickeln, wenn alle den ganzen Menschen und seine Gesundheit vor Augen haben.

Ich freue mich darüber, dass die Bundesärztekammer sich in diesen Tagen für dies Thema besonders engagiert. Ich habe im Ärzteblatt vom 7. Mai auf der Titelseite gelesen: "Komplementär- und Schulmedizin: Verständnis und Zusammenarbeit müssen vertieft werden".

Ich bin gespannt auf die Ergebnisse.

Medizin, meine Damen und Herrn, ist nicht nur eine Wissenschaft. Sie ist auch eine Kunst: die Heil-Kunst. Und nur, wenn es gelingt, beide zusammenzuführen, dann gewinnen die Patienten, aber nicht nur sie. Auch Ärztinnen und Ärzte können dann noch erfolgreicher arbeiten und noch zufriedener mit ihrer Arbeit sein.

Ich hoffe, dass die Zeiten vorbei sind, in denen man unkonventionelle Methoden ausspielen konnte gegen die verächtlich so genannte "Apparate-Medizin":

Jeder weiß, dass zu früh geborene Kinder ohne Brutkasten oft nicht am Leben bleiben und manche Opfer eines Herzinfarkts nicht ohne Defibrillatoren.

Jeder weiß aber auch, dass wir manches Mal auf Medikamente mit Nebenwirkungen verzichten können, wenn wir uns auf bewährte Hausmittel besinnen.

Wir alle wissen, es geht in vielen Fällen noch um etwas ganz anderes:

Viele Patienten brauchen den Arzt als eine Art Lebensberater, der ihnen mit seiner Erfahrung und seinem Fachwissen sagt, was sie ja meist selber wissen: dass auch Manches mit den persönlichen Lebensumständen zu tun hat, mit Essen und Trinken, mit Bewegung und Stress und mit Erholung.

Den Patienten solch unangenehme Dinge immer wieder zu sagen, das ist auch ärztliche Aufgabe.

Und manche Krankheit hat auch mit den Arbeitsbedingungen der Menschen zu tun. Kluge Unternehmen investieren in gute Arbeitsbedingungen. Ein niedriger Krankenstand ist gut für die Menschen und gut für das Unternehmen.

Da ist noch viel zu tun.

V.

Meine Damen und Herren, Gesundheit ist ein hohes Gut, aber sie ist keine Ware.

Ärzte sind keine Anbieter, und Patienten sind keine Kunden.

Ich halte nichts davon, unser ganzes Leben in Begriffe der Betriebswirtschaft zu pressen.

Die medizinische Versorgung darf nicht auf eine "Dienstleistung" reduziert werden.

Das ändert aber nichts daran, dass auch die finanziellen Mittel für das Gesundheitswesen nicht unbegrenzt sind.

Ich höre manchmal, das Gesundheitswesen sei nicht planbar. Das stimmt, wenn damit gemeint ist, dass wir heute nicht wissen können, welches Grippevirus uns in drei Jahren plagen wird und wie heftig die Grippewelle ausfallen wird.

Und vor zwanzig Jahren wusste auch noch niemand, wie AIDS sich verbreiten und auswirken würde. Auf solche nicht absehbaren Entwicklungen muss jedes Gesundheitswesen reagieren können.

Manchmal kann man aber den Eindruck gewinnen, es stehe etwas anderes hinter der Aussage, dass man im Gesundheitswesen nicht planen könne: Wer nicht planen kann, den trifft auch keine Verantwortung, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel erschöpft sind, und dann müssen eben neue Mittel in das System fließen.

Das ist eine falsche Vorstellung, die zu lange viele gesundheitspolitische Debatten geprägt hat.

VI.

Ich bin davon überzeugt, dass wir die Mittel planvoll einsetzen müssen, damit wir die best­mögliche medizinische Versorgung für alle sichern können.

Nun weiß ich auch, dass die Kostenexplosion im Gesundheitswesen, eines dieser gängigen Schlagworte, auf Normalmaß schrumpft, wenn man genauer hinschaut. Der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt war in den vergangenen zehn Jahren immer etwa gleich hoch.

Die gesetzliche Krankenversicherung hat schon seit Jahren mehr ein Problem mit den Einnahmen. Die niedrigen Einnahmen sind im wesentlichen eine Folge der hohen Arbeits­losigkeit.

Wir haben aber auch Strukturprobleme im Gesundheitswesen. In den zurückliegenden Jahr­zehnten sind in unserem Gesundheitswesen Strukturen entstanden, die nicht immer mit optimaler gesundheitlicher Versorgung zu tun haben, aber oft mit Einzelinteressen.

Wir müssen immer wieder kritisch prüfen, ob unter den gegebenen Bedingungen das Geld überall wirklich so eingesetzt wird und eingesetzt werden kann, dass es den größten Nutzen für die Gesundheit der Menschen bringt.

An diesem Maßstab muss sich jede Veränderung im Gesundheitswesen messen lassen. Darum halte ich es für richtig, dass die Gesundheitsreform begleitet wird von einem Sach­verständigenrat.

Das ist auch nötig: Im vergangenen Jahr sind die Leistungsausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherungen gegenüber dem Vorjahr um 1,7 Prozent angestiegen, die Verwaltungskosten aber um drei Prozent.

Übrigens: Ich kenne kein Land auf der Welt, das mehr Krankenkassen hätte als unseres. Ich habe gerade heute Morgen mit Ihnen, Frau Bundesministerin, schon darüber gesprochen, wie viel reduziert werden konnte auf zweihundertachtzig, aber da ist noch eine Strecke. Das sind ja nicht nur Hunderte von Krankenkassen, das sind auch Hunderte von Krankenkassenverwaltungen.

Ich kann verstehen, dass Einzelne und Gruppen, die sich durch Veränderungen negativ betroffen fühlen und die es oft auch sind, ihre Interessen geltend machen. Niemand darf aber Schindluder treiben mit den Hoffnungen oder mit den Ängsten von Menschen. Auch das erleben wir in der gesundheitspolitischen Diskussion immer wieder.

Die teuerste Medizin ist gewiss nicht immer die beste, und auch mit geringem Aufwand kann man Krankheiten heilen oder lindern.

Wir sind aber auf Ihren Sachverstand angewiesen, um den richtigen Weg zu finden; auf Erfahrungsaustausch, auf die Zusammenarbeit von Ärzten und allen, die im Gesundheits­wesen Verantwortung tragen.

Manchmal sagt man, das ärztliche Wissen sei innerhalb von drei Jahren überholt. Das ist eine dieser modischen Übertreibungen, sie hat aber einen wahren Kern. Auch Ärzte haben heute selbstverständlich die Verpflichtung, ihr Wissen immer wieder auf den neuesten Stand zu bringen und die Patienten entsprechend zu behandeln. Das lebenslange Lernen soll ja mithelfen, dass Menschen länger und besser leben können.

VII.

Meine Damen und Herren, der Gesundheitssektor ist ein Wachstumsmarkt mit großer volkswirtschaftlicher Bedeutung. Im Gesundheitswesen arbeiten heute etwa zwei Millionen Menschen. Das sind doppelt so viele wie in der Automobilindustrie. Das war mir nicht bewusst.

Dieser Markt wird weiter wachsen. Das hängt zusammen mit der Fülle neuer Diagnose- und Therapie-Möglichkeiten, von denen wir noch vor wenigen Jahren oder Jahrzehnten nur träumen konnten.

Aber auch der Bedarf an medizinischen Leistungen und an Gesundheitsdiensten steigt allgemein in einer Gesellschaft, in der immer mehr Menschen immer länger leben.

Die wachsende Vielfalt dieser Angebote kann verwirrend wirken, vor allem dann, wenn man sie nicht unbeteiligt betrachtet, sondern als Patientin oder Patient nur den Wunsch hat, wieder gesund zu werden.

Da tragen Ärztinnen und Ärzte eine große Verantwortung. Sie müssen sich gegen einen doppelten Vorwurf verteidigen: Sie müssen über das Notwendige entscheiden und sich sagen lassen, das sei gar nicht notwendig. Je reicher die "Produktpalette" wird, umso häufiger müssen sie aber auch Erwartungen von Patienten enttäuschen.

VIII.

Kürzlich hat eine Umfrage gezeigt: Das Solidarprinzip unseres Gesundheitswesens findet in der Bevölkerung breiten Rückhalt. Achtzig Prozent der Deutschen sind dafür, dass auch in Zukunft Gesunde für Kranke einstehen, dass starke Schultern mehr tragen als schwache Schultern.

Lebenschancen dürfen nicht davon abhängen, ob jemand Arbeit hat und wie viel Geld er damit verdient. Wer krank wird, muss sich auch in Zukunft darauf verlassen können, dass ihm so geholfen wird, wie er das braucht, und nicht so, wie er es bezahlen kann.

Solidarität im Gesundheitssystem heißt auch, mit den vorhandenen Mitteln sorgfältig und verantwortungsbewusst umzugehen.

Darum halte ich es auch für ein großes Missverständnis, wenn Versicherte glauben, sie müssten aus ihrer Krankenversicherung möglichst viel herausholen, weil sie ja viel einbezahlt haben.

Ärzte sind wie Rechtsanwälte oder Architekten meist Freiberufler, aber sie unterscheiden sich nicht nur durch ihre Aufgaben von anderen freien Berufen. Sie beziehen einen Großteil ihres Einkommens aus der Gesetzlichen Krankenversicherung, die von der Solidargemeinschaft der Versicherten getragen wird. Das gibt Sicherheit; das verpflichtet aber auch gegenüber der Solidargemeinschaft.

IX.

Ich bin überzeugt davon, dass bei allen unterschiedlichen Auffassungen in einem Einigkeit herrscht: Gesundheitsvorsorge ist ein gesundheitspolitisches Ziel, das alle vertreten. Da gibt der Erfolg uns Recht. Ich wünschte mir, dass alle, die so beredt über die Mängel unseres Gesundheitswesens sprechen, auch einmal von solchen Ergebnissen redeten.

Wenn das Bewusstsein für das kostbare Gut Gesundheit gestärkt wird, dann ist gezieltes Vorbeugen möglich, dann ist erst in zweiter Linie Behandlung nötig.

Ich bin froh darüber, dass es inzwischen Krankenkassen gibt, die Anreize für die Versicherten schaffen, sich gesundheitsbewusst zu verhalten und an Vorsorge-Programmen teilzunehmen.

Der Erfolg solcher Programme hängt natürlich zu einem guten Teil vom Zusammenwirken zwischen Ärzten, Patienten und den Kassen ab. Wer vorbeugt, muss dafür belohnt werden.

Immer bessere medizinische Vorsorge, Diagnostik und Therapie hilft vielen, vielen Menschen.

X.

Meine Damen und Herren, ein Gedanke zum Schluss:

Sie wissen, dass ich mich immer wieder zu Wort gemeldet habe, wenn es um medizinethische Fragen ging.

Am Beginn auch aller medizinischen Forschung muss nach meiner Überzeugung eine Wertentscheidung stehen. Wir brauchen einen Konsens darüber, welche technischen Möglichkeiten mit unseren Wertvorstellungen vereinbar sind und welche nicht. Die Freiheit der Forschung gerät nicht dadurch in Gefahr, dass wir ihr ein ethisches Fundament geben. Die Freiheit der Forschung ist nicht frei von Bindungen.

Für mich gilt, dass wir Embryonen nicht als Experimentiermasse verwenden und nach Gebrauch verwerfen dürfen. So hat es der Bundestag mit großer Mehrheit beschlossen. Wir dürfen die Gefahr der biologischen Selektion nicht verharmlosen, nur um einem möglichen therapeutischen Nutzen nachzujagen.

Bei diesen Fragen muss sich unser Menschenbild bewähren; das gründet auf der Würde des Menschen. Die Unantastbarkeit der Menschenwürde steht aus gutem Grund ganz am Anfang unseres Grundgesetzes. Sie ist das Leitbild, das auch der medizinischen Forschung die Richtung vorgibt und ihr Grenzen setzt.

Wir dürfen uns auch keine Entscheidung darüber anmaßen, wann das Leben zuende gehen soll. Ich begrüße sehr, dass die Bundesärztekammer vor wenigen Tagen ihre "Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung" neugefasst und veröffentlicht hat und dass sie am strikten Nein zur aktiven Sterbehilfe festhält. Sie haben Recht: Wir wollen nicht in einer Gesellschaft leben, die den Menschen den Tod nahe legt, wenn sie mit dem Leben nicht mehr zurechtkommen.

Darum müssen wir noch viel mehr dafür tun, dass Schmerz und Verzweiflung gelindert werden bis zur letzten Minute. Ich finde, Ärztinnen und Ärzte müssen in der Ausbildung auf diese Aufgabe vorbereitet werden. Die neue Approbationsordnung macht da einen Anfang: Schmerztherapie ist jetzt Prüfungsstoff. Vielen - auch mir - geht das nicht weit genug, aber es ist ein Anfang und ein Schritt in die richtige Richtung.

Schwerstkranke Menschen haben Angst vor einem qualvollen Sterben. Diese Angst kann die Schmerztherapie ihnen, nach allem, was ich weiß, in den allermeisten Fällen nehmen.

XI.

Ich wünschte mir, meine Damen und Herren, dass ein humaner Umgang mit Krankheit das unverwechselbare Merkmal unseres Gesundheitswesens und unserer Gesellschaft bliebe.

Ich wünschte mir, dass der medizinische Fortschritt zum Wohle der Menschen genutzt wird, ohne dass Technologien sich verselbstständigen können.

Ich wünschte mir, dass Solidarität das Fundament unseres Gesundheitssystems bleibt, und ich wünschte mir, dass Ärztinnen und Ärzte mithelfen, die Vorsorge und die Verantwortung des Einzelnen zu stärken und ihm nahe zu sein.

Ich wünsche Ihnen allen hier in Bremen gute und ertragreiche Tage und danke für die Geduld, die Sie mit uns allen gehabt haben.