Rede von Bundespräsident Roman Herzog vor der Organisation Afrikanischer Einheit

Schwerpunktthema: Rede

Adis Abeba, , 27. Januar 1996

Vor der Organisation Afrikanischer Einheit zu sprechen heißt, zu ganz Afrika zu sprechen. Daß Sie mir diese Gelegenheit bei meiner ersten Afrikareise als Bundespräsident bieten, empfinde ich als eine große Ehre.

"Ganz Afrika", das heißt nicht nur, daß die OAE nunmehr alle afrikanischen Länder umfaßt. Es ist darüber hinaus eine der wichtigsten Leistungen dieser größten Regionalorganisation der Welt, daß es ihr gelungen ist, bei ihren Mitgliedern die Erkenntnis zu fördern, politisch und wirtschaftlich vor denselben Herausforderungen zu stehen. Damit hat die OAE dazu beigetragen, ein afrikanisches Bewußtsein zu schaffen. Ein solches Bewußtsein war auch Voraussetzung und Fundament von Zusammenschlüssen wie der Europäischen Union. Heute wissen wir: Regionale Kooperation führt zu politischer Stärke und wirtschaftlichem Aufschwung. Asien und Südamerika bieten dafür weitere gute Beispiele.

Auch Afrika hat die Zeichen der Zeit erkannt und mit der Schaffung und dem Ausbau der OAE die Grundlage für eine erfolgreiche Zukunft gelegt. Die Organisation wird politisch und wirtschaftlich zu einem immer gewichtigeren Partner in der Welt. Ich bin mir dabei allerdings auch der Schwierigkeiten bewußt, die noch überwunden werden müssen.

In der Vergangenheit hat die OAE entscheidend zur Überwindung des Kolonialismus und der Apartheid beigetragen. Jetzt steht sie vor neuen Aufgaben. Ich bin überzeugt, daß sie auch diese Aufgaben meistern wird. Selbst zu Zeiten des Ost-West-Gegensatzes, in den auch die Mitglieder der OAE hineingezogen wurden, trat diese nach außen stets geschlossen auf, trotz einer Zahl von mittlerweile 53 Mitgliedern, die sich in ideologischer Ausrichtung, wirtschaftlicher Entwicklung, Größe und Bevölkerungszahl ganz erheblich voneinander unterscheiden.

Die Zeit der großen ideologischen Debatten ist vorbei. Im Vordergrund stehen nun praktische Probleme. Wir verfolgen in Deutschland mit, wie sich die OAE seit ihrem Kairoer Gipfel von 1993 konsequent und mit großem Elan der wirtschaftlichen Entwicklung und der Konfliktbewältigung widmet. Gerade die Entwicklung eines Mechanismus für das Krisenmanagement betrachte ich als einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Wir wissen: Solange Kriege und Spannungen drohen, ist es unmöglich, alle Kräfte auf den dringend notwendigen Ausbau der Demokratie und der Wirtschaft zu konzentrieren.

Aus diesem Grunde unterstützt die Europäische Union auch den Nachbarkontinent im Süden mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln bei der friedlichen Lösung von Konflikten. Das gilt für Konflikte zwischen Staaten ebenso wie für Konflikte innerhalb von Staaten, auch und gerade für solche mit wirtschaftlichen und sozialen Ursachen. Wir sollten das als Anknüpfungspunkt für eine vertiefte Zusammenarbeit begreifen.

Die Bewältigung von Konflikten ist auch Gegenstand des regelmäßigen Dialogs, den die OAE und die Europäische Union im Dezember 1994 unter der deutschen Präsidentschaft der Europäischen Union aufgenommen haben. Wir brauchen diesen Dialog. Wie sollen wir erfolgreich kooperieren und helfen, wenn wir von den jeweiligen Problemen nicht direkt, das heißt aus erster Hand, erfahren? Unsere gemeinsamen Vorhaben und Programme können von diesem Transfer des Wissens und der Erfahrungen nur profitieren.

Unser Dialog hat ein klares Ziel, nämlich einen gleichberechtigten und partnerschaftlichen Austausch zum beiderseitigen Nutzen. Ich sehe mit Genugtuung, daß die neue Partnerschaft zwischen Europa und Afrika schon konkrete Formen angenommen hat. Die Erfolge, die wir bislang gemeinsam erzielt haben, können sich sehen lassen. So war ein entscheidender Schritt nach vorn die sogenannte Berliner Erklärung über die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika SADC vom September 1994, eine Initiative, die der deutschen Außenpolitik besonders am Herzen lag. Zum ersten Mal haben hier die EU und eine afrikanische Regionalorganisation ein gemeinsames Arbeitsprogramm aufgestellt.

Weiterhin: Lomê ist zum Symbol für den neuen Geist der Zusammenarbeit zwischen den Regionen geworden. Zwei Erkenntnisse haben die Europäische Union und die Lomê-Staaten dazu gebracht, als gleichberechtigte Partner ein Abkommen über regionalweiten Handel und Entwicklungszusammenarbeit zu schließen. Erstens: Afrika braucht, um sich selbst helfen zu können, Zugang zum Weltmarkt. Und zweitens: Entwicklungszusammenarbeit bedarf der Ergänzung durch wirtschaftliche Kooperation. Daß wir uns bereits mitten in der Implementierung des vierten Lomê-Abkommens befinden, zeigt mir, daß beide Seiten die Bedeutung und die Tragweite dieses gemeinsamen Ansatzes verstanden haben.

Die Verbundenheit Deutschlands mit Afrika kommt auch in der intensiven Entwicklungszusammenarbeit in Höhe von bisher über 70 Milliarden DM, also rund 50 Milliarden US-Dollar, zum Ausdruck. Davon hat die Bundesrepublik Deutschland über 46 Milliarden DM als bilaterale öffentliche Hilfe geleistet, den größten Teil in nicht rückzahlbarer Form. Besonders bedeutsam sind dabei aus meiner Sicht die etwa 85.000 Fortbildungsstipendien für Afrikaner im Rahmen staatlicher Programme.

Lassen Sie mich bitte einen Punkt verdeutlichen:

Wenn Deutschland seine Zusammenarbeit an gewisse Bedingungen knüpft, dann ist das keine Bevormundung oder gar Schikanierung seiner Partner. Es ist auch nicht Ausdruck einer Entwicklungshilfemüdigkeit. Wir haben aber die leidvolle Erfahrung gemacht, daß Entwicklungshilfe dort nicht greift, wo die Achtung der Menschenrechte, die Möglichkeit aktiver Teilnahme der Bevölkerung am politischen Prozeß, wo Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit, wo marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnungen und die Entwicklungsorientierung staatlichen Handelns fehlen.

Bitte vergessen Sie nicht, daß wir unsere Hilfe auch gegenüber unseren Bürgern rechtfertigen müssen, die mit ihren Steuern schließlich für diese Unterstützung aufkommen. Auch unter diesem Aspekt ist es wichtig, daß Überschaubarkeit, politische und wirtschaftliche Stabilität, "good governance" und die Respektierung der Menschenrechte gewährleistet sind.

Eine Gesellschaft ohne Transparenz und Rechenschaftspflicht der Regierung kann ihre Bürger nicht zu den Leistungen motivieren, die nötig sind, um die gewaltigen Probleme zu lösen, vor denen Afrika steht. Außerdem tragen Transparenz und Rechenschaftspflicht zur internationalen Glaubwürdigkeit der Länder bei. Diese Glaubwürdigkeit ist eine wichtige politische und wirtschaftliche Ressource, denn sie schafft Vertrauen, sie festigt bestehende Partnerschaften, begründet neue, zieht Investitionen an und ermöglicht langfristige Entwicklung.

Wenn ich heute hier als deutscher Präsident zu Ihnen spreche, dann nicht, weil ich als Experte in afrikanischen Angelegenheiten erscheinen will oder Patentrezepte für die Klärung Ihrer Probleme anzubieten habe. Aber vielleicht erlauben Sie mir, daß ich Ihnen die Erfahrungen schildere, die mein eigenes Volk im Laufe dieses Jahrhunderts machen mußte, Erfahrungen aus zwei grausamen Kriegen, einer mörderischen Diktatur, aus der Zerstörung und Teilung meines Vaterlandes.

Lassen Sie mich hier zunächst ein Wort des Dankes sagen, Dank an Sie alle für die vorbehaltlose und so nachdrückliche Unterstützung des deutschen Wiedervereinigungsprozesses. Wir haben nie vergessen, daß die Teilung Deutschlands das schmerzliche Ergebnis der Hitler-Diktatur war, und haben hieraus unsere Lehren gezogen. Eine davon ist, daß uns selbst die Aufklärung und die Werte der westlichen Kultur nicht vor dem Rückfall in die Barbarei bewahren konnten. Wir begegnen deshalb fremden Kulturen und Lebensformen ohne jeden Hochmut. Es kommt nicht darauf an, in welcher Kultur wir leben, sondern darauf, daß wir im Umgang miteinander die Menschlichkeit bewahren. Wir haben selbst erfahren, daß die Menschlichkeit dort verlorengeht, wo die Politik Freiheit und Menschenwürde nicht achtet.

Wir haben auch selbst erfahren, daß politische Stabilität ohne soziale Gerechtigkeit nicht dauerhaft sein kann. Das ist die Goldene Regel der Sozialen Marktwirtschaft, die unserem Land ein zuvor nie gekanntes Maß an wirtschaftlichem Wohlstand und an sozialer Sicherheit gebracht hat.

Lassen Sie mich als dritte Erfahrung nennen: Nationale Alleingänge, so hat uns die Geschichte gelehrt, führen ins Unglück. Nur in der Gemeinschaft der Europäischen Union sieht Deutschland heute eine gesicherte Zukunft, das heißt in grenzüberschreitender, vom Verständnis für die Belange der Nachbarn geprägter friedlicher Zusammenarbeit.

Und viertens: Wir haben selbst in bitteren Zeiten der Not erlebt, wie wichtig es ist, Freunde zu haben, auf deren Hilfe man vertrauen kann. Wir wissen, was Kriege, Hunger und das Gefühl der Ohnmacht gegenüber unüberwindlich scheinenden Problemen bedeuten. Daraus erklärt sich auch die große Hilfsbereitschaft der Bundesregierung, der Länderregierungen und der Kommunen in Deutschland, der Kirchen, zahlloser Hilfsorganisationen und vor allem der deutschen Bevölkerung insgesamt, die sich immer wieder zeigt, wenn irgendwo in der Welt Menschen Not leiden oder bei Katastrophen zu Schaden kommen. Ich möchte es an dieser Stelle nicht versäumen, allen meinen Landsleuten und ihren afrikanischen Partnern für ihr erfolgreiches Zusammenwirken bei der Umsetzung dieser Hilfe ausdrücklich zu danken.

Afrika ist dabei, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Bemerkenswerte Fortschritte wurden erzielt, auch auf ökonomischem Gebiet. Darauf hat jüngst, bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York, der Außenminister Äthiopiens hingewiesen. Die Weltbank bestätigt diesen Erfolg, wenn sie in einer Dokumentation festhält, daß in der Zeit von 1988 bis 1993 insgesamt 21 Länder Ihres Kontinents ein positives Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens erzielt haben. Diese Erfolge sind nicht zu bestreiten. Doch für zu viele gilt Afrika noch immer als der Kontinent der Armut und Unterentwicklung, der Krisen und Kriege. Außerhalb Afrikas ist sogar das Wort vom "Afropessimismus" in Mode gekommen.

Ich habe ansonsten ein entspanntes Verhältnis zu Modewörtern, doch mit dieser undifferenzierten Schwarzmalerei, die auf dem afrikanischen Kontinent nur Hunger und Elend, Bürgerkrieg und Völkermord sieht, kann ich mich nicht anfreunden. Dieses Bild wird zu Recht von all jenen als unzutreffend und ungerecht empfunden, die zur Verbesserung beigetragen haben. Lassen Sie mich auf zwei häufig übersehene Aspekte aufmerksam machen:

Erstens:

Afrika, der "continent in transition", wie die Weltbank ihre jüngste Studie überschreibt, hat viele Gesichter. Es gibt kein einheitliches Afrika. Manche nehmen die ermutigenden Tendenzen und Fortschritte aber auch einfach nicht zur Kenntnis, weil Erfolge, so spektakulär sie auch sein mögen, weniger dramatische Bilder abgeben als Katastrophen und deshalb von den Medien kaum beachtet und berichtet werden. Neben dem beeindruckenden Bild, das Südafrikas Übergang von der Apartheid zur Demokratie bietet, sind die höchst bemerkenswerten Demokratisierungsprozesse in einer ganzen Reihe anderer afrikanischer Länder von der Welt viel zu wenig zur Kenntnis genommen worden.

Zweitens:

Die Erkenntnisse, welche Veränderungen vorgenommen werden müssen, sind international vorhanden. Viele betroffene Länder haben auch schon begonnen, diese Erkenntnisse in Form umfassender Strukturanpassungs- und Reformprogramme in die Tat umzusetzen. Schon jetzt sind die ersten daraus resultierenden Erfolge sichtbar. Diejenigen afrikanischen Länder, die den internationalen Empfehlungen folgen, erzielen - wie ihre Wachstumsraten zeigen - bessere Ergebnisse als solche Länder, die diesen Schritt noch nicht gewagt haben. Ich bin mir sicher, daß die kommenden Jahre für viele afrikanische Staaten in noch stärkerem Maße wichtige und positive Entwicklungen bringen werden.

Hierbei stehen die neuen afrikanischen Führungseliten vor einer schweren Aufgabe, um die ich sie nicht beneide. Sie müssen Stabilität und Wandel gleichzeitig ermöglichen, indem sie dem Drang nach Veränderungen, nach politischem und wirtschaftlichem Strukturwandel die Möglichkeit zur Entfaltung geben. Sonst bauen sich Spannungen auf, deren plötzliche Entladung all das wieder zunichte macht, was in jahrelanger mühseliger Arbeit erreicht wurde.

Die Zusammenarbeit zwischen Afrika und Europa hat, wie ich schon sagte, nach dem Ende des Ost-West-Konflikts ihren ideologischen Ballast abgeworfen. Viele der in der Vergangenheit kontrovers diskutierten Fragen erscheinen uns heute akademisch. Die politische und wirtschaftliche Realität hat sie längst überholt. So streiten wir nicht mehr über Sinn und Unsinn von Strukturanpassungsprogrammen. Die Erfolge sprechen für sich. Zu diesen Erfolgen hat auch der Lernprozeß beigetragen, den die Gebergemeinschaft durchlaufen hat. Wir wissen nun, daß man den mit vielen Programmen verbundenen sozialen Härten mehr Aufmerksamkeit schenken, ihre Auswirkungen abfedern muß. Es gibt in Afrika erste Beispiele dafür, daß die Auswirkungen der Strukturanpassung nicht in beeindruckenden Zahlen der Makroökonomie hängenbleiben, sondern den einzelnen Menschen erreichen. Und um den geht es uns doch in der Entwicklungspartnerschaft. Wir wollen nicht die Statistiken verbessern, sondern die Lebensverhältnisse der Menschen.

Wir streiten heute auch nicht mehr darüber, daß sich die Wirtschaft nur in einem stabilen demokratischen Umfeld entfalten kann, in dem die Menschenrechte und sozialen Grundrechte garantiert werden.

1. Kein afrikanischer Bürger trägt längere Zeit klaglos hohe Steuerlasten, wenn die Verwendung der öffentlichen Gelder nicht kontrolliert wird.

2. Kein europäisches Unternehmen wird investieren, wenn seine Mitarbeiter und ihr Eigentum nicht hinreichend geschützt sind. Es gibt keine Prosperität ohne Partizipation. Wirtschaftliche und politische Freiheit gehören untrennbar zusammen.

Diese Überlegungen zur aktuellen Situation in Afrika und unsere aus der eigenen deutschen Geschichte gewonnenen Überzeugungen bilden die Basis unserer Zusammenarbeit mit Afrika. Diese Partnerschaft ordnet sich zunächst der durch die Präambel der UN-Satzung und durch den ersten Satz des deutschen Grundgesetzes jeder Regierung vorgeschriebenen Verfolgung einer globalen Friedenspolitik unter. Zweitens trägt sie den Besonderheiten des afrikanischen Kontinents Rechnung. Das heißt, wir müssen stets auch die sozialen und kulturellen Gegebenheiten berücksichtigen.

Was bedeutet das für die praktische Politik?

In einer Zeit der Globalisierung der Politik wie auch der Probleme lassen sich die Interessen eines Landes, die Sicherheit und der Wohlstand seiner Bürger immer weniger von den gemeinsamen Interessen aller Länder trennen. Die Wirtschaft denkt und handelt schon längst nicht mehr in nationalen, sondern in globalen Kategorien. Auch Umweltprobleme machen vor nationalen Grenzen nicht Halt. Auf die Globalisierung der Probleme müssen wir deshalb mit der Globalisierung der Lösungsansätze antworten. In einer vernetzten Welt sind die Probleme des afrikanischen Kontinents auch unsere Probleme, sind Ihre Interessen auch unsere Interessen. In diesem Sinne setzen wir uns für Frieden, soziale und wirtschaftliche Entwicklung weltweit ein, tragen zur Verbreitung der Demokratie bei und wirken am Ausbau der Vereinten Nationen zu einem repräsentativen System der Friedenssicherung und der Entwicklungsstrategie mit. Eine solche Politik ist Ausdruck unserer Mitverantwortung für unser aller Wohlergehen, ja für unser Überleben in unserer einen Welt, die wir heute schon als globales Dorf bezeichnen.

Heute wird viel debattiert über einen angeblichen Gegensatz zwischen Interessenpolitik und Verantwortungspolitik. Dieser Gegensatz existiert unter den Bedingungen des heutigen internationalen Systems nicht mehr, wenn Interessen, auch nationale Interessen langfristig, und das heißt: richtig definiert werden. Das alles gilt selbstverständlich, mutatis mutandis, auch für die deutsche Afrikapolitik.

Für Afrika und Europa geht es heute darum, die langfristigen gemeinsamen Interessen zu erkennen und die neuen sicherheitsbedrohenden Risiken des ausgehenden Jahrtausends mit vereinten Anstrengungen zu bekämpfen: Armut, Verelendung, Hungersnöte, Bevölkerungsexplosion, Flüchtlingsströme, grenzüberschreitende Kriminalität und Drogenhandel, Klimaveränderungen und Wüstenbildung, Völkermord und Zerfall staatlicher Ordnungen.

Lassen Sie mich aber betonen: Unsere Zusammenarbeit mit Afrika erschöpft sich nicht in der gemeinsamen Bekämpfung moderner Bedrohungspotentiale. Sicherlich ist eine solche Kooperation in der gegenwärtigen schwierigen Situation der meisten afrikanischen Staaten eine wichtige gemeinsame Aufgabe. Wir hoffen aber, daß schrittweise andere Zielsetzungen in den Vordergrund treten, daß ein partnerschaftlicher Austausch zum beiderseitigen Nutzen an die Stelle der heute noch weit verbreiteten Geber-Nehmer-Mentalität treten kann. Mit vielen afrikanischen Staaten haben wir auf dem Wege zu solch einer neuen Beziehung schon große Fortschritte gemacht.

Wir fördern auch entschieden die regionale Zusammenarbeit in Afrika, denn wir wissen aus eigener Erfahrung, daß sie am besten geeignet ist, zu Stabilität und Wohlstand beizutragen. Neben der wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Zusammenarbeit gehört auch der Kulturaustausch untrennbar zu unserer Partnerschaft mit Afrika. Dieser Austausch ist keine Einbahnstraße. Gerade wir Europäer brauchen mehr Wissen über Afrika. Nur auf dieser Grundlage können wir das gegenseitige Verstehen und den politischen Dialog fördern.

Die Überwindung der Apartheid in Südafrika und die Unabhängigkeit Namibias, die Steigerung des Sozialprodukts in Ländern wie Mali, Cote d'Ivoire, Senegal, Kenia, Botswana und Ghana, die positive Entwicklung der politischen und wirtschaftlichen Reformen in Uganda, Äthiopien und Eritrea, um nur einige Beispiele von vielen zu nennen. Sie alle zeigen: Ein Gutteil der positiven Veränderungen auf diesem Kontinent ist das Ergebnis originärer, innerer Entwicklungen. Natürlich haben die Veränderungen der weltpolitischen Umweltbedingungen diese Entwicklungen unterstützt, aber eben nur unterstützt. Das bestärkt mich in der Überzeugung, daß nur die eigene Einsicht in die Notwendigkeiten, verbunden mit der Entschlossenheit, die Probleme selbst anzugehen, Aussicht auf dauerhaften Erfolg haben kann.

Afrika, da bin ich mir sicher, ist auf dem Weg in eine bessere Zukunft. Dieser Kontinent hat große natürliche Ressourcen und ein unglaubliches menschliches Potential. Afrika hat es in der Hand, die Weichen in Richtung Wohlstand, soziale Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit zu stellen. Dabei wollen wir Sie unterstützen. Staatliche Zusammenarbeit ist dabei nur ein Teil dieser Hilfe. Auch die politischen Stiftungen und viele andere Nichtregierungsorganisationen leisten hier wertvolle Beiträge. Unterstützung durch die private Wirtschaft können wir freilich nur ermuntern, aber nicht erzwingen. Mit Stabilität und Sicherheit bieten Sie Investoren das beste Argument, sich in Afrika zu engagieren.

Ich brauche nicht eigens darauf hinzuweisen, daß jeder Partner die Freiheit hat, Entwicklungen, die seinem Politik- und Demokratieverständnis zuwiderlaufen, nicht zu unterstützen. Das gilt vor allem bei klaren Menschenrechtsverletzungen. Sie verlangen von uns nicht nur ein Überdenken unserer Zusammenarbeit, sondern erfordern zudem nach weltweitem Rechtsverständnis, daß diese auch zur Sprache gebracht werden. Kein Land, keine Regierung kann unter Hinweis auf seine Souveränität oder auf die inneren Angelegenheiten eines Staates Menschenrechtsverletzungen rechtfertigen. Jeder muß sich hier der Kritik stellen.

Afrika gilt als die Wiege der Menschheit. Später entwickelten sich hier Hochkulturen, deren politische, religiöse, kulturelle, wissenschaftliche und soziale Errungenschaften manchmal direkt, manchmal auf Umwegen die Vorstellungen der gesamten Menschheit beeinflußten. Es waren die an das Mittelmeer angrenzenden Länder Afrikas, aber auch Reiche wie das von Axum hier am Horn von Afrika oder die Königreiche Mali im Westen und Simbabwe im Süden, die in der Vergangenheit in Europa das Bild eines Kontinents großer Reichtümer und hoher Entwicklung prägten.

Europa und Afrika haben eine lange gemeinsame Geschichte, die freilich oft von Kriegen und Unterdrückung bestimmt war. Lassen Sie uns dieses Kapitel der Geschichte schließen und zu einer neuen Ära der Zusammenarbeit kommen. Viele Europäer kennen Ihre Länder. Viele Afrikaner haben in Europa studiert und sind daher mit unserer Kultur und Mentalität vertraut. Es gibt viele großartige Beispiele, in denen sich afrikanische und europäische Kultur gegenseitig befruchtet haben. Wenn wir weiterhin bereit sind, aufeinander zu hören, voneinander zu lernen, gleichberechtigt im Geben und Nehmen, dann werden wir zu einem neuen Miteinander finden.

Es ist meine feste Überzeugung, daß die Chancen für eine friedliche und erfolgreiche Entwicklung Afrikas heute entschieden besser sind als vor 10 Jahren. In Deutschland haben wir die stolzen Erfolge des neuen Afrika bemerkt:

- friedliche Lösungen von jahrzehntealten Konflikten,

- ungezählte freie Wahlen, problemlose Regierungswechsel,

- das Bemühen um neue politische und wirtschaftliche Strukturen unter aktiver Beteiligung der Bevölkerung

- und erste Ansätze wirtschaftlichen Aufschwungs. Ohne deshalb gleich zum Afrooptimisten zu werden, möchte ich mich zu einem zuversichtlichen Afrorealismus bekennen.

Dieselbe Haltung hat sich auch bei uns im Umgang mit den Europapessimisten bestens bewährt.

In meiner zugleich optimistischen und, wie ich hoffe, realistischen Einschätzung der Zukunft dieses reichen Kontinents hat mich die erste Woche meiner Afrikareise bestärkt. Das liegt nicht zuletzt an den Menschen, denen ich begegnet bin. Die Offenheit, die Wärme, der Humor, also einfach die Menschlichkeit, die ich überall gespürt habe, haben mir eines klargemacht: Der wahre Reichtum Afrikas sind seine Menschen. Ich werde nach Deutschland zurückkehren mit der Gewißheit, daß dieser Kontinent und seine Menschen und daß dieser Kontinent in seinen Menschen eine große Zukunft hat!

Ich danke Ihnen.