Ansprache von Bundespräsident Roman Herzog anläßlich des Staatsbanketts auf Schloß Windsor

Schwerpunktthema: Rede

1. Dezember 1998

Your Majesty,

Your Royal Highnesses,

My Lords,

Ladies and Gentlemen,

ich danke Ihnen für Ihre freundlichen Worte des Willkommens und den herzlichen Empfang, den Sie meiner Frau und mir in diesem so prächtig restaurierten Schloß Windsor bereitet haben.

Sie, Majestät, werden nicht nur im eigenen Land, sondern auch bei uns außerordentlich verehrt. Ich kann mich noch lebhaft an das Echo erinnern, das Ihr erster Staatsbesuch 1965 in der deutschen Bevölkerung gefunden hat. Seitdem haben Sie Deutschland häufig besucht.

Sie haben als Staatsoberhaupt die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland fast von den Anfängen miterlebt. Anfänge, die zu einem erheblichen Teil vom Vereinigten Königreich mitgestaltet wurden; denn Großbritannien hat Deutschland beim Aufbau seiner politischen und gesellschaftlichen Strukturen stets tatkräftig unterstützt. Diese Strukturen, einschließlich der föderalen Prinzipien, und insbesondere die liberale Verfassung unseres Grundgesetzes haben sich bewährt.

Nächstes Jahr können wir nicht ohne Stolz auf 50 Jahre Bundesrepublik in Frieden und Freiheit zurückschauen. Frieden und Freiheit, die auch durch den kühnen Entschluß, ein Drittel des britischen Heeres permanent in Deutschland zu stationieren, gewährleistet wurden. Wohl am deutlichsten wurde das im Schicksalsjahr 1948, als die von Briten initiierte Luftbrücke Überleben und Freiheit der Berliner sicherte. Wir gedenken der dabei ums Leben gekommenen Flieger und Helfer auch heute noch in tiefer Dankbarkeit.

Überhaupt markiert die Nachkriegszeit einen Neubeginn in den britisch-deutschen Beziehungen. Alte Wurzeln brachten frische Triebe hervor, neue Verbindungen wurden aufgenommen, so daß man heute getrost von einem dichten Netzwerk an Kontakten sprechen darf. "Networking" im besten Wortsinne wurde und wird zwischen unseren Ländern auf den unterschiedlichsten Ebenen betrieben: politisch, wirtschaftlich, geistig-kulturell, persönlich. Gesellschaften wie die British-German Association in Großbritannien und die Deutsch-Englische Gesellschaft in Deutschland haben wesentlichen Anteil daran. Unschätzbar und einmalig in seiner Art ist das Wirken der Königswinter-Konferenzen. Das Modell wurde oft kopiert und nie mehr richtig erreicht. Der vielbeschworene "Geist von Königswinter" befruchtet das Denken der Eliten unserer Länder und steht seit fast einem halben Jahrhundert als Markenzeichen für Qualität und Kontinuität des deutsch-britischen Gedankenaustausches.

Das Netzwerk der Beziehungen hat gerade in der gegenseitigen geistig-kulturellen Durchdringung tiefe Spuren hinterlassen: Britische Architektur und Popmusik stehen in Deutschland in ebenso hohem Ansehen wie deutsche klassische Musik und zeitgenössische Kunst in Großbritannien. Francis Bacon, die Beatles oder Baby Spice sind bei uns gleichermaßen bekannt wie Bach und Baselitz bei Ihnen. Das zukünftige Haus und Wahrzeichen der deutschen parlamentarischen Demokratie, den umgebauten Reichstag, hat der britische Architekt Sir Norman Foster architektonisch auf seine neue Aufgabe vorbereitet und er hat ihn mit einer gläsernen Kuppel als Symbol von Transparenz und Weltoffenheit gekrönt.

Auch Europa ist ein Projekt, das Briten und Deutsche in tieferen Schichten vereint, als die zuweilen leidenschaftlichen Debatten der Europapolitik vermuten lassen. Ich habe mit Freude gehört, daß die britische Regierung sich auf eine führende Rolle in Europa vorbereitet. Mit Freude ? denn wir brauchen Großbritanniens aktiven Beitrag auch in der Zukunft; nur so wird Europa im nächsten Jahrhundert bestehen können. Und das wiederum schulden wir der Jugend unserer Länder, der wir einmal die Pflege der deutsch-britischen Beziehungen übergeben müssen.

In der Partnerschaft und Freundschaft seit den Tagen der Berliner Luftbrücke haben Briten und Deutsche viel voneinander gelernt und sicher auch manches voneinander übernommen. Es ist vielleicht noch zu früh, um empirisch zu untersuchen, ob Goethes Wunsch "Könnte man nur den Deutschen, nach dem Vorbild der Engländer, weniger Philosophie und mehr Tatkraft, weniger Theorie und mehr Praxis beibringen" schon voll in Erfüllung gegangen ist. Ich habe auch meine Zweifel, ob wir uns eine Einebnung aller Unterschiede wirklich zum Ziel setzen sollten. Daß man nicht in allen Fragen einer Meinung ist, daß man gar das fremde Wesen auf der anderen Seite mitunter voll Neugier beäugt - das macht doch gerade den Reiz des Zusammenlebens aus. Britischer Pragmatismus und deutscher Idealismus ? so sie denn in Reinform überhaupt vorkommen sollten ? sind zwar Gegensätze, aber solche, die sich hervorragend ergänzen. Und wenn es um die idealistische Vision Europas geht, so verdanken wir ihre eindrucksvollste Formulierung ja gerade einer Rede, die 1946 in Zürich von dem Briten Winston Churchill gehalten wurde. Sein historischer Appell hat nichts von seiner Überzeugungskraft verloren. Nur haben wir inzwischen gelernt, uns der Erfüllung dieser Vision mit britischem Pragmatismus zu nähern. Eine gute Freundschaft zeichnet sich gerade dadurch aus, daß Meinungsverschiedenheiten durch Kompromisse überwunden und Durststrecken gemeinsam durchgestanden werden. Der in Wien geborene britische Philosoph Sir Karl Popper hat das so ausgedrückt ? ich zitiere: "Ich mag unrecht haben und Du magst recht haben; und wenn wir uns bemühen, dann können wir zusammen vielleicht der Wahrheit etwas näher kommen."

Ich bitte Sie alle mit mir das Glas zu erheben auf das Wohl Ihrer Majestät der Königin und des Herzogs von Edinburgh, auf die bewährte Freundschaft zwischen dem britischen und dem deutschen Volk und auf die Jugend in Großbritannien und Deutschland und ihre gemeinsame Zukunft in Europa:

The Queen!