Ansprache von Bundespräsident Roman Herzog anläßlich des Banketts der Corporation of London in der Guildhall in London

Schwerpunktthema: Rede

London, , 2. Dezember 1998

Änderungen vorbehalten. Es gilt das gesprochene Wort.

My Lord Mayor,
Your Royal Highnesses,
Your Excellencies,
My Lords, Aldermen and Sheriffs,
Ladies and Gentlemen,

es ist meiner Frau und mir Ehre und Vergnügen zugleich, heute abend bei Ihnen Gast zu sein. Haben Sie hierfür herzlichen Dank, auch im Namen unserer Begleitung.

Die Guildhall mit ihren Bauelementen aus den verschiedensten Epochen ist wie kaum ein anderer Ort in der City of London Symbol für die Mischung von Tradition und Moderne. Gesundes Selbstbewußtsein, gleichzeitig aber Bereitschaft zur Anpassung an die sich verändernde Welt, Liebe für das Hergebrachte, das die eigene Identität formt, gleichzeitig aber Weltoffenheit: das ist es, was das Herz Londons schlagen läßt und was die City zum "Powerhouse of World Finance" gemacht hat.

Die Geschichte hat unsere beiden Völker ganz verschieden geformt. Großbritannien ist als Nationalstaat groß geworden. Deutschland blickt auf eine Geschichte der Spannung zwischen Vielfalt und Einheit zurück. Großbritannien hat eher aus Einsicht denn aus Begeisterung Teile seiner Souveränität in die Europäische Union eingebracht. Für Deutschland war der Weg in die Europäische Union leichter. Er war nicht nur Symbol für die Wiedereingliederung in die westliche Staatengemeinschaft, sondern auch die ganz natürliche Fortsetzung einer geschichtlichen Gewöhnung an föderale Muster. In der deutschen Bevölkerung wird die Europäische Union und die Entwicklung, die sie in den vergangenen Jahrzehnten genommen hat, als Glücksfall der Geschichte empfunden, ein Glücksfall, der uns auch einen nie dagewesenen Wohlstand beschert hat.

Obwohl Briten und Deutsche also von unterschiedlichen emotionalen Voraussetzungen ausgehen, haben sich unsere Standpunkte in den letzten Jahren angenähert. So waren wir in der innereuropäischen Debatte über die Zukunft Europas schon immer verbündet im Eintreten für ein Europa des freien Handels. An der Vision der politischen Union halten wir seit Maastricht gemeinsam fest, aber wir nähern uns der Verwirklichung dieser Vision mit einer britischen Tugend, nämlich mit Pragmatismus.

Wir sehen uns konfrontiert mit der Globalisierung der Märkte, einem dynamischen Prozeß, der Herausforderungen mit sich bringt, vor allem aber auch Chancen. Die Globalisierung eröffnet für die Staaten der unterschiedlichen Weltregionen zugleich die Chance, sich über gemeinsame Werte und Handlungsansätze zu verständigen. Sie verlangt von uns Weltläufigkeit und Weltoffenheit. Aber sie zeigt auch unsere Mängel auf. Wer heute global bestehen will, muß seine Hausaufgaben machen. An welchem Ort könnte ich mehr Verständnis dafür erwarten als in der Guildhall der City of London.

Die Faszination der Globalisierung darf uns freilich nicht den Blick auf die unmittelbaren Belange und Sorgen unserer Bürger verstellen. Ihr Vertrauen brauchen wir in diesem Moment, in dem es um ihre Zukunft, um das Schicksal Europas im nächsten Jahrhundert geht. Natürlich ist es für einen funktionierenden Binnenmarkt notwendig, daß Tausende von nationalen Regulierungen angepaßt werden müssen, um nichttarifäre Hemmnisse zu beseitigen. Die daraus erwachsende wirtschaftliche Dynamik ist für uns unverzichtbar. Aber wir müssen uns eben auch fragen, ob es notwendig ist, nationale Überregulierungen durch europäische Überrregulierungen zu ersetzen.

Ich sehe daher für die Zukunft im europäischen Kontext zwei große Aufgaben: einerseits die Europäische Union bürgernäher, effizienter zu machen, andererseits aber auch immer wieder bei der eigenen Bevölkerung Verständnis für die Schwierigkeit der Aufgabe und die Notwendigkeit von Kompromissen zu wecken. Nur wenn uns das gelingt und wenn wir der Versuchung widerstehen, eigene Versäumnisse der Europäischen Union anzulasten, ist eine konstruktive Europapolitik möglich.

Noch ein Wort zum Euro: Die Eurozone wird ein einheitlicher Markt mit einer gemeinsamen Währung von zunächst rund 300 Millionen Menschen und einem Anteil von 20 Prozent am Welteinkommen sein ? vergleichbar mit dem der Vereinigten Staaten von Amerika. Und die Voraussetzungen für eine stabile europäische Währung waren noch nie so gut wie heute. Diese positive Entwicklung ist das Ergebnis beeindruckender Konvergenzanstrengungen in den Mitgliedsländern. Ich finde, auf diesem Weg müssen wir fortschreiten. Neben dem Meer gefährlicher Währungsturbulenzen um uns herum wirkt "Euroland" schon jetzt wie ein schützender Hafen. Wir hoffen, daß auch Großbritannien bald in diesem Hafen anlegen kann. Wir werden niemanden überreden wollen, aber wir hoffen und wünschen es uns. Denn ohne Ihr Land, ohne Ihre Finanzkraft ist die Wirtschafts- und Währungsunion nicht vollständig. Sie wird erst mit Großbritannien ihr volles Potential entfalten.

Eine der vielen positiven Wirkungen der Europäischen Union ist es, daß sich ein Netzwerk von Partnerschaften zwischen den Mitgliedstaaten gebildet hat, und zwar nicht nur zwischen den Regierenden und den Beamten, sondern vor allem auch zwischen den Bürgern. In solche Beziehungen muß Zeit, Geld und politisches Kapital investiert werden. Das zahlt sich aus. Man kommt sich näher, man versteht einander besser und gewinnt in der Bevölkerung den notwendigen emotionalen Rückhalt für eine Zusammenarbeit.

Zentral für die Beziehungen zwischen unseren beiden Staaten ist natürlich die enge wirtschaftliche Verflechtung. Ich möchte deshalb ausdrücklich den von britischen wie deutschen Wirtschaftsunternehmen geleisteten Beitrag würdigen. Britische Firmen haben durch ihre Direktinvestitionen an vorderster Stelle zum Aufbau in unseren östlichen Bundesländern beigetragen. Dafür sind wir besonders dankbar. Hervorheben möchte ich aber auch das aktive Engagement deutscher Unternehmen hier in Großbritannien, das auch die Unterstützung kultureller Veranstaltungen umfaßt. Dieses Engagement hat sich zu einem festen Pfeiler der deutsch-britischen Beziehungen entwickelt.

Auch zwischen deutschen und britischen Städten gibt es eine Vielzahl von Partnerschaften. Aber ich finde, wir sollten noch mehr dafür tun, daß unsere Jugendlichen sich kennenlernen und eigene Erfahrungen über das jeweils andere Land und seine Bewohner sammeln können. Nur so lassen sich Informationsdefizite und Vorurteile abbauen. Und ich sage: Investitionen in die Jugend zahlen sich immer aus. Winston Churchill hat das in seiner unnachahmlichen Art einmal so ausgedrückt: "There is no finer investment for any community than putting milk into babies."

Ich habe über die Motivation der Nachkriegsgeneration bei Gründung der Europäischen Union gesprochen. Wir müssen sicherstellen, daß künftige Generationen ein ebenso positives Verhältnis zur Idee eines gemeinschaftlichen Europas gewinnen wie wir. Dazu gehört ganz generell, daß wir verstärkt versuchen, unserer Jugend Europa zu erklären, es ihr näher bringen. Eine proeuropäische Haltung muß mit Argumenten und Taten, aber eben auch aufgrund persönlicher Erfahrungen jedes Einzelnen errungen werden ? in Deutschland wie in Großbritannien.

Deutschland hat eine neue Regierung. Im nächsten Jahr zieht diese nach Berlin um. Die Grundkoordinaten der deutschen Politik werden sich aber nicht ändern. Wir werden weiterhin eine aktive, auf Zusammenarbeit und Multilateralität ausgerichtete Außenpolitik betreiben.

Wir verstehen uns als Teil einer weltweiten Schicksalsgemeinschaft. Wir sind uns bewußt, daß viele Probleme im Zeitalter der Globalisierung nur noch gemeinsam zu lösen sind.

Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, mit mir zu trinken auf das Wohl unserer heutigen Gastgeber:

The Lord Mayor and Corporation of London!