UNICEF-Neujahrsgespräch

Schwerpunktthema: Bericht

21. Januar 2014

Daniela Schadt hat am 21. Januar zum UNICEF-Neujahrsgespräch "Kein Kind darf zurückbleiben" ins Schloss Bellevue eingeladen. In ihrer Ansprache sagte sie: "Auch in einem reichen Industrieland ist es nicht automatisch gegeben, dass alle jungen Menschen gut versorgt sind und optimal gefördert werden. Wir müssen etwas dafür tun – wir müssen dafür mehr tun. Dabei geht es nicht nur darum, dass alle Mädchen und Jungen ein Dach über dem Kopf und genug zu essen haben – oder eine Playstation. Es geht um Lebensqualität, um faire Chancen, um die Möglichkeit, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben."

Daniela Schadt verfolgt die Gesprächsrunde beim UNICEF-Neujahrsgespräch zum Thema 'Kein Kind darf zurückbleiben'

Daniela Schadt hat am 21. Januar zum Neujahrsgespräch mit UNICEF ins Schloss Bellevue eingeladen. Experten aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft diskutierten unter dem Titel "Kein Kind darf zurückbleiben" über Bildungsgerechtigkeit und die Verbesserung der Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen.

Ansprache von Daniela Schadt:

Ich freue mich sehr, dass so viele von Ihnen der Einladung zum Neujahrsgespräch gefolgt sind – herzlich willkommen in Schloss Bellevue. Mein besonderer Dank gilt Sebastian Krumbiegel, den viele von Ihnen von der Gruppe Die Prinzen bestens kennen, für diesen gelungenen Einstieg in unser heutiges Thema. Dieses Gefühl, "keine Lust mehr" zu haben, irgendwie "am Limit" zu sein, kennen leider viele junge Menschen. Der Titel dieser Veranstaltung lautet: "Kein Kind darf zurückbleiben". Er beinhaltet schon eine Feststellung: dass es nämlich Kinder und Jugendliche in unserem Land gibt, denen genau dies passiert. Ich wurde letzte Woche von einem engagierten Jugendlichen gefragt, was für mich soziale Gerechtigkeit sei. Ich habe versucht, diesen wissenschaftlich divers diskutierten Begriff anhand eines 800-Meter-Laufes mit unterschiedlichen Ausgangsvoraussetzungen zu verdeutlichen.

Wie können wir verhindern, dass es so weit kommt, dass sich schon junge Leute abgehängt und "am Limit" fühlen? Was ist notwendig, damit Kinder, Jugendliche und junge Heranwachsende die Herausforderungen ihres Lebens auch dann schaffen können, wenn ihre Startbedingungen alles andere als günstig sind? Das ist ein Thema, das mich besonders beschäftigt und dem ich in meiner Aufgabe an der Seite des Bundespräsidenten besondere Aufmerksamkeit widme. Wie gut es unseren Kindern und Jugendlichen geht und wie stark wir sie machen, das ist für mich ein Gradmesser für das Funktionieren unserer Gesellschaft.

Wir alle wissen: Wohlstand ist nicht gleich Wohlbefinden. Auch in einer Familie ohne finanzielle Sorgen kann es Vernachlässigung, Lieblosigkeit oder Gewalt geben. Auch in einem reichen Industrieland ist es nicht automatisch gegeben, dass alle jungen Menschen gut versorgt sind und optimal gefördert werden. Wir müssen etwas dafür tun – wir müssen dafür mehr tun. Dabei geht es nicht nur darum, dass alle Mädchen und Jungen ein Dach über dem Kopf und genug zu essen haben – oder eine Playstation. Es geht um Lebensqualität, um faire Chancen, um die Möglichkeit, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Ich freue mich sehr, dass Professor Bertram heute hier ist und gleich mehr dazu sagen wird, was Teilhabe für Kinder und Jugendliche heißt und wie sie erreicht werden kann.

Früher gab es sozusagen eine Zweiteilung der Zuständigkeit für Kinder: Auf der einen Seite die Familie, die sich liebevoll um den Nachwuchs kümmern soll, auf der anderen Seite der Staat, der für die Bildung zuständig ist und ansonsten im Notfall eingreifen soll. In den letzten Jahrzehnten hat sich viel verändert, etwa die Struktur der Familien. Für Mütter wird Berufstätigkeit Normalität – für viele eine Selbstverständlichkeit und auch eine Notwendigkeit. Es ist gut, dass der Staat niemandem mehr vorschreiben will, wie sie oder er zu leben oder zu arbeiten hat. Wer heute Ja sagt zu dieser Wahlfreiheit sagt Ja zu einer kinder- und familienfreundlichen Gesellschaft.

Wie viel dafür noch zu tun ist, sehen wir übrigens nach wie vor an den Geburtszahlen: Insgesamt werden in Deutschland immer weniger Kinder geboren und diese wachsen zu einem immer größeren Teil in Großstädten auf. In unseren Städten gibt es oft einerseits behütete und geförderte, aber auch vernachlässigte und in der Schule abgehängte Kinder. Manchmal direkt nebeneinander. Die sozialen Gegensätze innerhalb einer Stadt lassen sich zum Beispiel hier in Berlin gut beobachten. Ich bin besonders gespannt darauf, was Lisa-Marie Staks dazu zu sagen hat, denn sie besucht eine Gemeinschaftsschule in Berlin-Moabit und nimmt am Coachingprogramm der Initiative "Rock your life" teil. Eine erfolgreiche Initiative für Kinder in sogenannten sozialen Brennpunkten ist zum Beispiel "Kinder beflügeln", deren Projektleiterin Claudia Lukat heute hier ist. Auch ihre Erfahrungen werden uns wertvolle Hinweise geben.

Ich persönlich bin ein Stadtmensch und liebe Berlin und andere unserer großen Städte. Aber manchmal sind große Städte schon auch laut, hektisch oder anonym. Nicht immer bieten sie das, was sich viele unter einer idealen Umgebung für Kinder vorstellen. Unsere Antwort darauf sollte nicht sein, in die Idylle, zur Romantik zu flüchten, sondern unsere Antwort muss sein, dafür zu sorgen, dass unsere Städte trotzdem zu einem "kinderfreundlichen" Ort werden. Was genau in diesem Zusammenhang "kinderfreundlich" heißt, wie die Umsetzung in der Praxis aussehen kann und was die Herausforderungen sind, darüber kann uns die langjährige Präsidentin des Deutschen Städtetags, Frau Dr. Petra Roth, viel erzählen.

Mir erscheint zweierlei wichtig: Dass wir es erstens als unsere gemeinsame Verantwortung und Aufgabe betrachten, dass es Kindern und jungen Menschen in Deutschland gut geht und sie ihr volles Potential entfalten können. Ich bin davon überzeugt, dass wir dazu vor allem das Zutrauen der Kinder und Jugendlichen in ihre eigenen Fähigkeiten fördern müssen. Es geht darum, allen Kindern und Jugendlichen die Perspektive zu geben, durch eigene Anstrengung aus ihrem Leben etwas machen zu können – unabhängig von ihrer Herkunft. Zweitens müssen wir die gesamte Kindheit, Jugend und das junge Erwachsenenalter im Blick behalten und nicht die einzelnen Phasen – frühkindliche Entwicklung, Schulzeit, Berufsausbildung – getrennt betrachten. Der Fokus auf die frühkindliche Bildung ist zweifellos von besonderer Bedeutung. Wir dürfen darüber aber nicht vergessen, dass auch die Jugendlichen gerade in der schwierigen Phase der Pubertät unsere Unterstützung brauchen. Wir müssen Institutionen wie Kindergärten und Schulen aber auch außerschulische Angebote so gestalten, dass sie die besonderen Erschwernisse und Belastungen vieler Kinder heute besser auffangen und sie ermutigen können. Darüber hinaus sind wir alle gefragt: als Verwandte, als Freunde, als Nachbarn, als Menschen in einem Stadtviertel. Das soll weder heißen, dass wir uns ungefragt in die Erziehung der Eltern einmischen noch den Staat aus seiner Verantwortung entlassen. Aber ich würde mir wünschen, dass wir genauer hinsehen, Hilfe anbieten, dass noch mehr Menschen sich ehrenamtlich in die Gemeinschaft einbringen. Kinder sind oft stärker als wir glauben.

Der heutige Gesamtbetriebsrat von Porsche, Uwe Hück, ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein junger Mensch trotz schwieriger Startbedingungen seinen Weg gehen kann. Lieber Herr Hück, ich wünsche mir, dass Sie viel von Ihren Erfahrungen weitergeben können! In unserer komplizierten Welt sind gradlinige Biografien inzwischen eher selten – aber das kann auch neue Türen öffnen. Ich möchte deshalb dafür plädieren, jedem Kind und jedem Jugendlichen eine zweite und wenn nötig auch eine dritte oder vierte Chance einzuräumen. Denn: Kein Kind darf zurückbleiben! Vielen Dank!