Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ruft zum Europatag am 9. Mai die Bürgerinnen und Bürger dazu auf, sich aktiv an der Konferenz über die Zukunft Europas zu beteiligen. Gemeinsam mit den anderen zwanzig gewählten Staatsoberhäuptern der EU-Mitgliedstaaten lädt der Bundespräsident alle EU-Bürgerinnen und -Bürger dazu ein, diese neue und besondere Gelegenheit zur Mitgestaltung der Zukunft Europas zu nutzen.
Ab dem 9. Mai 2021 finden über einen Zeitraum von etwa einem Jahr zahlreiche Bürgerforen und Debatten auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene statt, in denen die Bürgerinnen und Bürger Handlungsempfehlungen in Bereichen wie Nachhaltigkeit und Klimaschutz, Digitalisierung und Europas Rolle in der Welt entwickeln. Darüber hinaus können Ideen auf einer Online-Plattform ausgetauscht werden. Die Empfehlungen sollen den europäischen Institutionen als Grundlage für die Weiterentwicklung und künftige Ausrichtung der Europäischen Union dienen.
Auf Initiative Sloweniens, das mit Deutschland und Portugal von Juli 2020 bis Dezember 2021 die Trio-Ratspräsidentschaft der EU bildet, wollen sich die Staatsoberhäupter dafür einsetzen, möglichst viele Menschen in die weitere Entwicklung der Europäischen Union einzubinden.
Bundespräsident Steinmeier und seine Amtskolleginnen und Amtskollegen schreiben:
Lasst uns über Europa reden!
Zum Europatag übermitteln wir allen europäischen Bürgerinnen und Bürgern unsere besten Wünsche.
Dieser Europatag ist ein besonderer. Bereits im zweiten Jahr in Folge begehen wir ihn unter den herausfordernden Bedingungen der Covid-19-Pandemie. Wir fühlen mit allen, die aufgrund dieser Pandemie Leid erfahren haben.
Dieser Europatag ist aber auch deshalb ein besonderer, weil er den Auftakt der Konferenz über die Zukunft Europas bildet. Wir rufen alle Bürgerinnen und Bürger der EU dazu auf, von dieser einmaligen Möglichkeit Gebrauch zu machen, unsere gemeinsame Zukunft mitzugestalten.
Die Umstände, die diese Debatte über die Zukunft Europas begleiten, unterscheiden sich stark von denen früherer Jahre. Es mag aussehen, als bliebe in der gegenwärtigen Lage nicht genug Zeit für eine tiefgehende Erörterung der Zukunft Europas. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Covid-19-Pandemie hat uns daran erinnert, was im Leben wirklich zählt: unsere Gesundheit, unser Verhältnis zur Natur, unser Verhältnis zu unseren Mitmenschen, gegenseitige Solidarität und Zusammenarbeit. Sie hat Fragen aufgeworfen, die unsere Art zu leben betreffen. Sie hat die Stärken der europäischen Integration aufgezeigt, aber auch ihre Schwächen. Über all das müssen wir reden.
Die Herausforderungen, vor denen wir als Europäerinnen und Europäer stehen, sind vielgestaltig. Sie reichen von der Bewältigung der Klimakrise und dem Aufbau grüner Volkswirtschaften über das Bemühen um Ausgleich im zunehmenden Wettbewerb der globalen Akteure bis hin zum Einsatz für die Digitalisierung unserer Gesellschaften. Wir werden an neuen Methoden und neuen Lösungen arbeiten müssen. Unsere Stärke als Demokratien liegt darin, unsere vielstimmigen Gesellschaften in die Suche nach dem besten Weg in die Zukunft einzubinden. Je mehr Menschen sich an einer breit angelegten, offenen Debatte beteiligen, umso besser für unsere Union.
Das europäische Projekt ist in der Geschichte beispiellos. Siebzig Jahre sind seit der Unterzeichnung des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vergangen, 64 seit der Geburtsstunde der Europäischen Gemeinschaft in Rom. Zu jener Zeit gelang es den europäischen Staats- und Regierungschefs, ein vom Krieg zerrissenes Europa zu einen. Vor dreißig Jahren begannen der Osten und der Westen Europas, sich einander verstärkt anzunähern. Ganz unterschiedliche Länder fanden sich zur Europäischen Union zusammen. Jedes von ihnen hat eigene historische Erfahrungen gemacht, trägt seine eigene Last aus der Vergangenheit; jedes setzt sich damit allein und in seinen Beziehungen zu anderen Ländern auseinander.
Von Anbeginn war das europäische Projekt ein Projekt des Friedens und der Versöhnung, und das ist es bis heute. Wir setzen uns für eine gemeinsame strategische Vision eines geeinten, friedlichen und freien Europas ein.
Sämtliche Grundsätze der europäischen Integration haben auch heute noch dieselbe außerordentliche Relevanz wie vormals: Freiheit, Gleichheit, Achtung der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der Meinungsfreiheit, Solidarität, Demokratie und Loyalität zwischen den Mitgliedstaaten. Wie können wir gemeinsam sicherstellen, dass diese fundamentalen Grundsätze der europäischen Integration auch mit Blick auf die Zukunft relevant bleiben?
Wenngleich es manchmal scheint, als sei die Europäische Union für die zahlreichen über das letzte Jahrzehnt entstandenen Herausforderungen – von der Wirtschafts- und Finanzkrise über die Schaffung eines gerechten und ausgewogenen EU-weiten Migrationssystems bis zur aktuellen Pandemie – unzureichend gerüstet, so sind wir uns bewusst, dass es ungleich schwerer wäre, stünde jeder von uns allein. Wie können wir die europäische Zusammenarbeit und Solidarität am besten stärken und dafür sorgen, dass wir aus der Gesundheitskrise auf eine Weise hervorgehen, die uns künftigen Herausforderungen gegenüber widerstandsfähiger macht?
Wir brauchen eine starke, handlungsfähige Europäische Union – eine Europäische Union, die den Übergang zu nachhaltiger, klimaneutraler und digital gestützter Entwicklung weltweit anführt. Wir brauchen eine Europäische Union, mit der wir uns alle identifizieren können, sicher in dem Wissen, dass wir unser Bestes für künftige Generationen gegeben haben. Gemeinsam kann uns das gelingen.
Die Konferenz über die Zukunft Europas wird die Gelegenheit bieten, offen über die Europäische Union zu reden und unseren Bürgerinnen und Bürgern, allen voran den jungen Menschen, zuzuhören. Sie schafft einen Raum für Dialog, Gespräche und Debatten über das, was wir morgen von der EU erwarten und was wir bereits heute dafür tun können.
Wir müssen über unsere gemeinsame Zukunft nachdenken, und daher laden wir Sie ein, sich an der Diskussion zu beteiligen, damit wir zusammen einen Weg nach vorn finden.
Frank-Walter Steinmeier, Präsident der Bundesrepublik Deutschland
Rumen Radev, Präsident der Republik Bulgarien
Kersti Kaljulaid, Präsidentin der Republik Estland
Sauli Niinistö, Präsident der Republik Finnland
Emmanuel Macron, Präsident der Französischen Republik
Katerina Sakellaropoulou, Präsidentin der Hellenischen Republik
Michael D. Higgins, Präsident von Irland
Sergio Mattarella, Präsident der Italienischen Republik
Zoran Milanović, Präsident der Republik Kroatien
Egils Levits, Präsident der Republik Lettland
Gitanas Nausėda, Präsident der Republik Litauen
George Vella, Präsident der Republik Malta
Alexander Van der Bellen, Bundespräsident der Republik Österreich
Andrzej Duda, Präsident der Republik Polen
Marcelo Rebelo de Sousa, Präsident der Portugiesischen Republik
Klaus Johannis, Präsident von Rumänien
Zuzana Čaputová, Präsidentin der Slowakischen Republik
Borut Pahor, Präsident der Republik Slowenien
Miloš Zeman, Präsident der Tschechischen Republik
János Áder, Präsident von Ungarn
Nikos Anastasiades, Präsident der Republik Zypern