Ein mächtiges, stampfendes Wummern empfängt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, als er die Tür zur Völklinger Sporthalle öffnet. Es klingt gefährlich, bei jedem Schlag wackelt das Türblatt ein wenig. Hier trainiert der Boxclub 82 Völklingen. Als erster Bundespräsident überhaupt besucht Steinmeier einen Boxverein.
Die schweren Schläge kommen von dem Medizinball, den eine junge Frau auf eine Matte drischt. Weiter hinten in der Halle trainieren die Boxer, die Seile der beiden Boxringe sind schwarz-rot-golden lackiert. In Völklingen boxt man mit Ehrgeiz und mit Zuversicht. Der Verein hat schon Olympiateilnehmer hervorgebracht.
Aber dieser Boxverein steht auch noch für etwas anderes: Zusammenhalt und Akzeptanz. Für viele Jugendliche ist die Trainingshalle ein Ort der Begegnung. Viele bei uns haben Migrationshintergrund. Aber bei uns steht das Boxen im Vordergrund. Jeder wird gleich behandelt
, sagt die 22-jährige Nadine Forse.
Vereine sind mit ihren ehrenamtlich Engagierten das Rückgrat der Gesellschaft. Im Saarland ist die Dichte höher als in jedem anderen Bundesland. Auf tausend Bewohner kommen elf Vereine.
"Wir gehen dorthin, wo Umbrüche stattfinden"
Die Ortszeit
in Völklingen ist die sechste Reise des Bundespräsidenten in diesem Format. Die Arbeiterstadt mit ihren knapp 40.000 Einwohnern hat den Aufschwung, aber auch den Abschwung der Montanindustrie erlebt. Die finanzielle Lage der Kommune ist prekär, die Arbeitslosigkeit liegt mit 11,3 Prozent weit über dem Bundesschnitt.
Völklingen steht für viele andere Industriestädte, die Umbruch erleben oder erlebt haben
, sagt der Bundespräsident kurz nach seiner Ankunft. Stahl und Kohle haben diese Region geprägt, Völklingen hat aber wie viele andere Industriestädte in Deutschland den Wandel erlebt und ist dabei, sich neue Zukunft für die Menschen in dieser Stadt zu verschaffen. Wie das hier passiert, welche Entscheidungen dazu getroffen werden, das interessiert mich; viel von den Eindrücken will ich mit nach Berlin nehmen.
Gleichzeitig sei es ihm wichtig, Themen bekannter zu machen, die nicht in den überregionalen Abendnachrichten vorkommen – aber die für die Menschen in der jeweiligen Region wichtig sind. Demokratie braucht Austausch, Austausch braucht Nähe, Nähe braucht Begegnung, und Begegnung braucht Zeit.
Wir gehen mit der Ortszeit nicht in Regionen, in denen schon alles stimmt und keine Sorgen bestehen
, sagt Steinmeier am nächsten Tag bei einem Besuch der Saarstahl AG, dem größten Arbeitgeber der Stadt. Wir gehen dorthin, wo Umbrüche stattfinden, und schauen uns an, wie Regionen und Städte mit diesen Umbrüchen fertig werden.
"Es muss einfach weitergehen"
Es ist heiß, staubig und laut im Stahlwerk, in dem sich der Präsident zeigen lässt, wie das Unternehmen sich fit für die Zukunft machen will und was die Beschäftigten umtreibt. Bis 2027 möchte das Unternehmen so weit sein, CO2-freien Stahl mit Energie aus regenerativ erzeugtem Wasserstoff herzustellen. Im Gespräch mit den Betriebsräten wird nicht nur die Zuversicht und Veränderungsbereitschaft der Beschäftigten deutlich. Zu spüren ist auch die enge Verbindung der Völklinger mit dem Unternehmen, dessen Geschicke untrennbar mit denen der Stadt verwoben sind. Vor einem halben Jahrhundert waren hier 17.000 Menschen beschäftigt, heute sind es 6.400. So gründet sich die Zuversicht der Beschäftigten auch auf das Wissen, dass das Stahlwerk für Völklingen unabdingbar ist.
Alex Schmitt, Betriebsrat und seit 44 Jahren bei der Saarstahl beschäftigt, fasst diese Form der Zuversicht im Gespräch mit dem Bundespräsidenten in vier Worte: Es muss einfach weitergehen.
Neue Zuversicht schaffen
Wie sehr die Völklinger bereit sind, für die gemeinsame Zukunft anzupacken, das erfährt der Bundespräsident an vielen Stationen seines Besuches. Man habe, so Steinmeier, die gemeinsame Aufgabe, immer wieder neue Zuversicht und das Vertrauen auf die Zukunft zu schaffen
.
Im Gespräch mit Kommunalpolitikern berichten die Stadträte von sozialen Problemen, Aufgaben der Integration und Herausforderungen bei der Bildung – aber vor allem von der prekären finanziellen Lage, die der Kommune kaum Gestaltungsspielräume lässt. Gleichzeitig gelingen trotzdem immer wieder Erfolge, so wie der Erhalt und die Sanierung des Stadtbades im Ortszentrum. Wenn der Bundespräsident sich mit Kommunalpolitikern trifft, dann auch immer, um zu lernen und die Lage vor Ort besser zu verstehen. Gleichzeitig ist das Treffen für ihn ein wichtiges Mittel, um das für die Demokratie unabdingbare kommunalpolitische Engagement der Vielen zu würdigen.
Wie bei jeder Ortszeit lädt das Staatsoberhaupt auch in Völklingen einige Bürgerinnen und Bürger zur Kaffeetafel kontrovers
. Zweieinhalb Stunden wird im Alten Rathaus bei Kaffee und Kuchen debattiert und zugehört. Es war eine lockere Atmosphäre, aber eine Genauigkeit, die mir gutgetan hat
, sagt Hans Agostini, ein Unternehmer.
Ein hervorragendes Beispiel für Zusammenhalt findet der Bundespräsident bei seinem Besuch bei den Stadtteilmüttern. In dieser Gruppe haben sich Frauen mit Migrationsgeschichte zusammengetan. Sie kümmern sich auf der Basis ihrer eigenen Erfahrungen und mit ihrem Wissen vom schwierigen Ankommen um Menschen, die gerade erst zugewandert sind. Die Stadtteilmütter helfen bei Behördengängen, Arztbesuchen, Formularen und Formalitäten und überwinden so mit den Neuankömmlingen schwierige Hürden. Der Bundespräsident zeigt sich beeindruckt vom ehrenamtlichen Engagement der Frauen.
Auch andere ehrenamtlich Engagierte besucht das Staatsoberhaupt – und zieht dafür das Jackett aus und die Schürze an. Denn jeden Donnerstag wird in den Emmaus-Stuben der katholischen Gemeinde St. Eligius ein dreigängiges Menü für bedürftige Menschen serviert. An diesem Tag bringt nun Frank-Walter Steinmeier Suppe, Salat und Dessert. Und er hört auch hier zu.
Es ist der letzte Termin dieses Besuchs für den Bundespräsidenten. Kurz zuvor hat er noch – das ist schon Tradition bei der Ortszeit
– elf verdiente Bürgerinnen und Bürger mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Mit welchen Gedanken fährt Frank-Walter Steinmeier zurück nach Berlin? Was ich in diesen drei Tagen gesehen habe, hätte ich ohne die Reihe 'Ortszeit' nie in der Dichte und Nähe erfahren
, sagt der Bundespräsident. Er gehe mit vielen Eindrücken, Stoff zum Nachdenken und Dankbarkeit für die Gastfreundschaft, die ich hier erlebt habe
, sagt er bei der Ordensverleihung. Er habe viel darüber gelernt, was die Menschen in der Region beschäftige und bewege. Die Völklinger hätten immer wieder tiefgreifende Umbrüche erlebt. Ich habe in den vergangenen Tagen aber auch gehört und gespürt, wie viel Hoffnung, Ideen, Pläne und Träume, wie viel Engagement es hier gibt
, so der Bundespräsident. Und das hat mich zutiefst beeindruckt.
Besuchsprogramm
Dienstag, 7. März
- Völklingen, Neues Rathaus
Ankunft am Rathaus und Begrüßung durch Oberbürgermeisterin Christiane Blatt - Gespräch mit der Oberbürgermeisterin
- Eintrag ins Goldene Buch der Stadt
- Gespräch mit Vertreterinnen und Vertretern der Kommunalpolitik
- Begegnung mit der Presse vor dem Rathaus
- Altes Rathaus, Bismarckstraße 1
Amtsgeschäfte des Bundespräsidenten - Hermann-Neuberger-Halle, Stadionstraße 44
Besuch eines Boxtrainings des Boxclub 82 und Gespräch mit Jugendlichen
Mittwoch, 8. März
- Saarstahl AG, Im Alten Brühl, Tor 11
Besuch der Saarstahl AG – Rundgang durch die Produktion in Begleitung der Ministerpräsidentin des Saarlandes, Anke Rehlinger - Gespräch mit Unternehmensleitung, Betriebsrat, Mitarbeitenden und Auszubildenden über die Zukunft des Stahlwerks und der Stahlproduktion
- Begegnung mit der Presse
- Altes Rathaus, Bismarckstraße 1
Kaffeetafel kontrovers
des Bundespräsidenten, Diskussion mit Bürgerinnen und Bürgern - Begegnung mit der Presse
- Stadtteilbüro, Kreppstraße 5
Gespräch mit sozial engagierten Frauen, den Stadtteilmüttern
Donnerstag, 9. März
- Weltkulturerbe Völklinger Hütte, Rathausstraße 75-79
Besuch der AusstellungJulian Rosefeldt. When we are gone
- Ordensverleihung an engagierte Bürgerinnen und Bürger aus dem Saarland
- Katholisches Pfarramt St. Eligius, Rathausstraße 22
- Ausgabe von Mittagessen an Bedürftige beim wöchentlichen Beisammensein in der Emmaus-Stube