Bundespräsident Steinmeier veröffentlicht Videobotschaft zur digitalen Eröffnung der Ausstellung "Hölderlin, Celan und die Sprachen der Poesie" am 23. Mai im Deutschen Literaturarchiv Marbach

Schwerpunktthema: Pressemitteilung

22. Mai 2020


Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gibt zur Eröffnung der Ausstellung "Hölderlin, Celan und die Sprachen der Poesie" am 23. Mai im Deutschen Literaturarchiv Marbach eine Videobotschaft heraus. Die Ausstellungseröffnung sollte eigentlich bereits im März stattfinden, musste aber aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt werden und findet nun in einem digitalen Format über die Internetseite des Deutschen Literaturarchivs statt.

Die Videobotschaft des Bundespräsidenten ist auf der Internetseite des Bundespräsidenten (www.bundespräsident.de) veröffentlicht.

Die für die Eröffnung ursprünglich vorbereitete Rede des Bundespräsidenten steht über folgenden Link zur Verfügung: www.bundespräsident.de/hölderlin-celan

Das Videomaterial steht über folgenden Link zur Verfügung:
www.bundespräsident.de/videobotschaft-hölderlin-celan. [HD-Video auf Anfrage]

Wortlaut der Videobotschaft:

Liebe Freunde der Literatur,

vor rund vierzig Jahren, so erzählt der Schriftsteller und Journalist Kurt Oesterle, und der hat es selbst gesehen, stand in einem kleinen Ort in Baden-Württemberg ein buntbemalter VW-Bus. Ein junges Paar wollte damit zu einer Weltreise aufbrechen. Und auf der orangefarbenen Seitentür stand in schwarzen Buchstaben:

‚Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,
Daß er, kräftig genährt, danken für Alles lern,
Und verstehe die Freiheit,
Aufzubrechen, wohin er will.‘

Das ist von Hölderlin, wie Sie alle wissen. Und das ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie man große Kunst ins alltägliche Leben holen kann.

‘Aufzubrechen, wohin er will’: diese Freiheit haben wir in den vergangenen Wochen vermisst. Und auch die Möglichkeit, der Kunst im alltäglichen Leben unmittelbar zu begegnen.

Jetzt geht es langsam wieder los. Zum Beispiel in Marbach. Dafür können wir alle nur dankbar sein. Wir haben ja gerade in dieser Zeit gespürt, wie sehr Kunst und Kultur buchstäblich Lebensmittel sind, ohne die wir nicht sein wollen und nicht sein können.

Sicher: Wir haben im Internet eine unglaubliche Fülle von kreativen Möglichkeiten kennenlernen dürfen, so dass wir nicht ganz abgeschnitten waren vom kulturellen Leben. Viele Künstler, viele Institutionen, Festivals, die oft in ihrer Existenz bedroht sind, haben mit tausenden Ideen dafür gesorgt, dass Kultur wenigstens digital Teil unseres Alltags sein kann.

Aber Kultur ist – und auch das haben wir gemerkt – ihrem eigentlichen Wesen nach etwas, das nicht einfach frei Haus geliefert wird. Zu einer tiefen kulturellen Erfahrung, die unser Innerstes berührt, die uns verändert und reicher macht – zu einer solchen kulturellen Erfahrung muss man sich aufmachen, dahin muss man sich in Bewegung setzen. Nur dann kann sie uns auch selber wirklich bewegen.

Man muss hingehen können: ins Theater, ins Kino, zu Lesungen, in Ausstellungen, in Museen – man muss mit eigenen Augen, Ohren und Herzen erleben, was jetzt, hier und unvermittelt in unserer Gegenwart geschieht. Und man muss dieses Erlebnis unmittelbar mit anderen teilen können, sich gemeinschaftlich und miteinander kulturellem Zuspruch und kulturellem Anspruch aussetzen.

Noch leben wir mit den Einschränkungen und wir werden Geduld und Gelassenheit brauchen, um sie hinter uns lassen zu können. Dass ein erster vorsichtiger Wiederanfang unseres kulturellen Lebens ausgerechnet mit zweien unserer größten und meistdiskutierten Dichter zu tun hat, nehme ich als Symbol: So sehr gerade die Literatur oft vom Einzelnen zum Einzelnen spricht – so ist sie doch auch immer Anlass für Gespräch und gemeinschaftliche Selbstverständigung.

Was ich zu Hölderlin vor allem, aber auch zu Paul Celan und zur möglichen Bedeutung ihres Werkes sagen wollte, können Sie ab heute nachlesen. Die Rede, die ich vorbereitet hatte, werde ich unverändert so lassen, ohne angestrengte Bezüge zur aktuellen Situation zu konstruieren.

Aber einer der berühmtesten Sätze Hölderlins darf zum Abschluss nicht fehlen, weil er Hoffnung gibt in diesen aufgewühlten Zeiten, und Zuversicht vermittelt:

‘Wo aber Gefahr ist, wächst
das Rettende auch.’

Ich wünsche der Ausstellung viel Erfolg und allen ihren Besuchern neue und tiefe Erfahrungen mit den Sprachen der Poesie.