"Ich vertraue unserer Polizei" – Schreiben des Bundespräsidenten an Lehrende und Studierende der Deutschen Hochschule der Polizei

Schwerpunktthema: Pressemitteilung

15. Oktober 2020


Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat heute an die Lehrenden und Studierenden der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster geschrieben und mit einigen von ihnen telefoniert. Einen für den heutigen Donnerstag geplanten Termin an der Hochschule hatten der Bundespräsident und die Hochschule aufgrund der Corona-Lage absagen müssen.

In seinem Schreiben geht der Bundespräsident vor allem auf aktuelle Herausforderungen der Polizeien von Bund und Ländern – auch innerhalb der eigenen Organisationen – ein sowie auf ihre tägliche Arbeit zum Schutz von Bürgerinnen und Bürgern und der Demokratie. Der Bundespräsident schreibt:

Liebe Lehrende und Studierende der Deutschen Hochschule der Polizei,

wie gern wäre ich diese Woche bei Ihnen in Münster gewesen, aber Corona hat uns diesen Plan nun schon zum zweiten Mal durchkreuzt. Die Pandemie stellt uns alle vor schwierige Aufgaben, und gerade jetzt sind die Polizeien von Bund und Ländern auf vielfache Weise gefragt. Extra-Schichten, Unmut und Aggressionen von Corona-Müden: All dem müssen Sie begegnen. Dafür hätte ich Ihnen gern persönlich gedankt, denn nach vielen Gesprächen mit Polizistinnen und Polizisten ist mir sehr bewusst, wie aufreibend diese Arbeit sein kann. Wer sich im Berufsalltag anpöbeln und anspucken lassen muss, erlebt unser Land zuweilen von seiner schlechtesten Seite. Als ich Einsatzkräfte nach dem G20-Gipfel in Hamburg getroffen habe, waren wir gemeinsam fassungslos über das Ausmaß von rasender Zerstörung. Auch bei den jüngsten Corona-Protesten in Berlin wurden Tabus gebrochen. Dass es dabei ausgerechnet den Deutschen Bundestag, die Herzkammer unserer Demokratie traf, beschäftigt mich noch heute.

Ich vertraue unserer Polizei. Ich vertraue den vielen Beamtinnen und Beamten, die täglich für Recht und Demokratie einstehen und die stolz darauf sind, die Freiheit zu schützen. Sie brauchen dieses Vertrauen, und sie verdienen es. Das sage ich öffentlich und hätte es Ihnen gerne in Münster auch persönlich zum Ausdruck gebracht und meinen Respekt vor Ihrer Arbeit versichert.

Gleichzeitig ist das Thema ‚Rechtsextremismus‘ seit dem Mord an Walter Lübcke, den Attentaten von Halle und Hanau erneut ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Ein Land mit unserer Geschichte darf die dazu notwendige Diskussion nicht verdrängen. ‚Wegschauen ist nicht erlaubt‘, habe ich in meiner Gedenkrede vergangene Woche in Halle gesagt.

Die Polizei betrifft diese Diskussion nach Aufdeckung von rechtsextremen Vorfällen und Netzwerken in einzelnen Landespolizeien. Klar ist: Feinde der Freiheit und der Demokratie dürfen in der Polizei nicht geduldet werden. Es muss jede Anstrengung unternommen werden, rechtsextreme Netzwerke zu enttarnen, wo es sie gibt. Die Polizeiführungen und die politisch Verantwortlichen dürfen kein Klima dulden, in dem sie entstehen und von anderen gedeckt werden können.

Gern hätte ich Ihnen vor Ort gesagt, wie unverzichtbar die Arbeit der Deutschen Hochschule der Polizei ist. In Münster werden Führungskräfte ausgebildet, die demnächst in Leitungsstäben, perspektivisch vielleicht für ganze Abteilungen oder Dezernate Verantwortung tragen. Ich setze auf Sie, liebe Studierende! Denn Sie sind es, die das prägen werden, was man Organisationskultur nennt. Durch Ihre eigene Vorbildwirkung. Aber vor allem durch die Art der Kommunikation, die Sie in Ihrem Einflussbereich erlauben und fördern. Schweigekartelle, die Raum für Straftaten eröffnen, darf es nicht mehr geben.

Die Deutsche Hochschule der Polizei bereitet Sie intensiv auf Ihre neuen Aufgaben vor, deshalb bin ich sehr dankbar, dass wir diese zentrale universitäre Einrichtung haben. Ich kann Sie alle – die Lehrenden eingeschlossen – nur ermutigen, weiterhin das große Ganze in den Blick zu nehmen. Das betrifft die allgegenwärtigen Folgen des gesellschaftlichen Wandels wie Globalisierung, Europäisierung und Digitalisierung, die auch die polizeiliche Arbeit maßgeblich verändern. Aber es betrifft ebenso die Analyse von Bedrohungen, die zeitweise nicht so im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte stehen. Auch wenn das rechte Spektrum derzeit die Agenda dominiert, dürfen wir den Extremismus aus anderen Richtungen nicht aus den Augen verlieren. Die Ausschreitungen in Leipzig-Connewitz und in der Berliner Liebigstraße haben das kürzlich wieder bewiesen. Solche Gewaltausbrüche sind Straftaten, keine Bagatelldelikte. Und auch wenn es um Anschläge des islamistischen Extremismus ruhiger geworden zu sein scheint, wissen Sie und sollten wir alle nicht vergessen: Die Gefahr ist nicht gebannt.

Liebe Studierende, liebe Lehrende, meine herzliche Bitte lautet: Lassen Sie sich durch Corona von Ihren wichtigen Themen und vom geplanten Ausbau der Hochschule nicht abbringen. Deutschland braucht Ihre Expertise – gerade jetzt!