Bundespräsident Steinmeier gratuliert Gesine Schwan

Schwerpunktthema: Pressemitteilung

19. Mai 2023


Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat der Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan zum 80. Geburtstag am 22. Mai gratuliert. Der Bundespräsident schreibt:

Bei dieser Gratulation denke ich nicht nur an Ihre öffentlichen Ämter und die damit verbundenen Leistungen, die Ihnen gelungen, und an die Ehrungen, die Ihnen zuteil geworden sind. Mehr noch denke ich an eine Haltung, die Sie verkörpern und die ihre Quellen im christlichen Menschenbild und in einem tief verwurzelten bürgerschaftlichen Ethos hat.

'Aufstehen, selbst wenn 99 Leute anders denken', das ist Ihr Motto, das ist gleichsam der kategorische Imperativ, der sich wie ein roter Faden durch Ihr Leben zieht. Es war deshalb nur folgerichtig, dass Sie Ihre Dissertation über den polnischen Philosophen und Friedenspreisträger Leszek Kołakowski geschrieben haben – jenen Philosophen, der gegen alle Widerstände seinen Weg ging, der nie bereit war, an die Unbelehrbarkeit der Menschen zu glauben und für den Offenheit des Denkens und Mut zur Wahrheit Voraussetzung aller gedanklichen Existenz waren.

Schon früh, als junge Professorin am Otto-Suhr-Institut und später als Präsidentin der Europa-Universität Viadrina und als Gründerin der Humboldt-Viadrina School of Governance waren Sie eine überzeugende und unbestechliche Mahnerin für Demokratie und Freiheit. Wahre Gerechtigkeit gibt es für Sie nicht ohne politische Freiheit und politische Freiheit nicht ohne Demokratie. Das eine ist ohne das andere nicht denkbar.

Klug, leidenschaftlich, unerschrocken und fair kämpfen Sie als Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission für Ihre Überzeugungen. Das erregt oftmals Aufsehen. Hier ist eine Politikerin, die der Freiheit des Einzelnen höchsten Wert zumisst und die von der Fähigkeit der Menschen zur Selbstverantwortung überzeugt ist, die aber zugleich energisch darauf pocht, dass der Staat die Voraussetzungen dafür sichern muss, dass Freiheit und Selbstverantwortung auch wirklich gelebt werden können.

Mit Ihrem Sinn für Gerechtigkeit und Ihrem Eintreten für Solidarität und Mitmenschlichkeit ermutigen Sie viele Menschen, Freiheit und Demokratie zu leben. Das Gebäude der Demokratie ist nie ganz vollständig errichtet. Es ist gerade die Stärke der Demokratie, dass sie fähig zur Selbstkritik und zur Selbstverbesserung ist.

Wer Ihnen begegnet, spürt diese große Aura der inneren Unabhängigkeit, die Sie ausstrahlen. Sie stellen radikale Fragen an das Leben, auch an Ihr eigenes. Sehr genau zu beobachten und zu hinterfragen, auch sich selbst, das zeichnet Sie aus, und das geben Sie auch der nachwachsenden Generation mit auf den Weg: niemals ersten Eindrücken zu trauen, immer auch nach anderen, nach neuen Möglichkeiten der Deutung zu suchen, kritisch zu sein, eigene Urteile radikal in Frage zu stellen und damit auf eine sehr radikale Art frei zu sein.

Dafür und für so vieles mehr sage ich Ihnen heute meinen Dank. Ich würde mich freuen, wenn Sie auch weiterhin mit Ihrer Stimme und Ihrer Autorität mithelfen, die Grenzen und Erfahrungsräume der Demokratie zu erweitern.