Interview mit der Bild am Sonntag

Schwerpunktthema: Interview

20. September 2015

Daniela Schadt hat der Bild am Sonntag ein Interview gegeben, das am 20. September erschienen ist. Darin heißt es zum Thema Flüchtlinge: "Die politische Lage ist äußerst komplex. Die Hilfsbereitschaft der Bürger ist aber ungebrochen und das sollten wir nutzen, Strukturen schaffen, in denen die Hilfsbereitschaft sich entwickeln kann und nicht abreißt. Ich sehe jetzt gute Chancen, dass sich staatliche Strukturen, Hilfsorganisationen und Helfer zusammenfinden und flexible Lösungen finden."

Daniela Schadt im Gespräch (Archiv)

Daniela Schadt hat der Bild am Sonntag ein Interview gegeben, das am 20. September erschienen ist.

Frau Schadt, Sie sind im hessischen Hanau geboren, haben 26 Jahre in Nürnberg als Journalistin gearbeitet und sind dann 2012, als Ihr Lebensgefährte Joachim Gauck Bundespräsident wurde, für ihn nach Berlin gezogen. Wo fühlt sich die First Lady von Deutschland Zuhause?

Wo meine Heimat ist, kann ich nicht mit nur einem Ort beschreiben, es ist auch ein Gefühl. Mittlerweile habe ich so eine Art gedritteltes Heimatgefühl: Hanau ist die Heimat meiner Kindheit, später kamen dann Nürnberg und Berlin hinzu. In Hanau bin ich sehr geborgen in einer Großfamilie aufgewachsen, mit vielen Onkeln, Tanten, Cousins und Cousinen. Wenn im Sommer einer spontan abends gegrillt hat, saßen oft gleich zwanzig Leute um den Tisch. Heimat ist dort, wo ein Mensch ohne Angst sein kann, weil jemand für ihn da ist, weil er oder sie die Umgebung, die Menschen und ihre Umgangsformen kennt.

Was verbinden Sie mit Nürnberg?

Es ist der Ort meiner Tätigkeit als Redakteurin, der Ort, wo viele wertvolle Freundschaften entstanden sind. Wenn ich irgendwo auf der Welt einen fränkischen Zungenschlag höre, dann macht mein Herz sofort einen kleinen Hüpfer. Ich freue mich und höre automatisch hin. Bei einem Empfang neulich stand ich zwischen einem Hessen und einem Franken. In dem Gespräch bin ich dann ständig zwischen Hessisch und Fränkisch hin und her gewechselt. Das hatte Etwas…

Ist Berlin schon Zuhause?

Ja, ich bin hier angekommen. Berlin mit seiner Lebendigkeit und Vielseitigkeit ist schon etwas ganz Besonderes. Ich habe also mindestens drei Heimaten, eigentlich sogar eine vierte an der Ostseeküste von Mecklenburg. Von dort stammt Joachim Gauck, dort hat die Familie ein Ferienhaus, in dem wir unsere Urlaube verbringen. An all meinen Heimaten hänge ich und keine steht in Konkurrenz zur anderen.

Können Sie Migranten verstehen, die sich nicht zwischen der Nationalität ihres Geburtslandes und Deutschlandes entscheiden wollen und gerne beide Pässe haben?

Emotional kann ich das ausgesprochen gut verstehen. Allerdings glaube ich auch, dass ein Mensch seine Wurzeln nicht unbedingt verliert und zu ihnen stehen kann, auch wenn er sich für die Staatsbürgerschaft des Landes entschieden hat, in dem er jetzt zuhause ist.

Es flüchten sehr viele Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten nach Deutschland. Wie können wir helfen, dass sie hier eine Heimat finden?

Wir sind schon dabei. Ganz, ganz viele Menschen sind in dieser Notsituation spontan zum Bahnhof gefahren und haben die ankommenden Flüchtlinge begrüßt. In ihrer Freizeit packen sie in Flüchtlingseinrichtungen an, verteilen Essen, bauen Betten auf. Diese Hilfsbereitschaft hat ganz Europa beeindruckt. Es zeigt mir auch: Wir sind keine Ellenbogengesellschaft. Was mich irritiert, ist die Kritik, Deutschland würde sich jetzt zu sehr selber feiern. Ich finde es jedenfalls sehr schön, dass so viele Menschen den Schritt zum Helfen gemacht haben. Seine Freizeit und Kraft für Flüchtlinge zu geben, ist ein herzbewegender Schritt, ein im Wortsinne herzliches Willkommen für die bei uns ankommenden Menschen. Damit helfen wir aber nicht nur ihnen, wir entdecken auch uns selbst neu.

Und was lernen wir da kennen?

Unsere optimistische und hilfsbereite Seite. Natürlich wird es uns und unserem Land viel abverlangen, die vielen Menschen, zu integrieren, und es gibt auch viele Sorgen, wie es weitergehen soll. Aber trotzdem haben wir uns selbst gesagt: Ja, wir schaffen das! Wer sich aufgemacht hat in die Erstaufnahmeeinrichtung, um zu helfen, der sieht nicht einfach nur eine große Zahl von Neuankömmlingen, sondern er begegnet dort Menschen – Männern, Frauen, Kindern, die ihn anschauen, die ganz individuelle Gesichter haben. Die Hilfsbereitschaft ist ein großer Kraftschub für unser Land: Jeder Helfer merkt, was er alles kann, wie stark er ist.

Ist das Volk weiter als die Politik, die gerade die Bedenken voranstellt und die Grenzen schließt?

Die Grenzen sind nicht geschlossen, sondern es gibt in der akuten Situation Grenzkontrollen. Die politische Lage ist äußerst komplex. Die Hilfsbereitschaft der Bürger ist aber ungebrochen und das sollten wir nutzen, Strukturen schaffen, in denen die Hilfsbereitschaft sich entwickeln kann und nicht abreißt. Ich sehe jetzt gute Chancen, dass sich staatliche Strukturen, Hilfsorganisationen und Helfer zusammenfinden und flexible Lösungen finden. Diese Spontaneität, die wir in dieser Notsituation gezeigt haben, tut uns gut.

Wie werden die Flüchtlinge unser Land verändern?

Zunächst: Wir machen uns keine Vorstellung davon, wie viel Kraft es braucht, tausende Kilometer weit zu fliehen. Die Frauen, Männer und Kinder haben auf der Flucht körperlich und mental extrem viel ausgehalten, um hier Zuflucht zu finden. Das sollten wir uns immer vor Augen halten. Natürlich verläuft die Aufnahme und Integration sehr vieler Menschen nicht ohne Schwierigkeiten. Und sie bringt auch Konflikte mit sich. Trotzdem bedeutet der Zuzug so vieler unterschiedlicher Menschen, mit ihren persönlichen Geschichten, Potentialen und Fähigkeiten, dass unser Land nicht nur vielfältiger wird, sondern uns, unterm Strich, auch bereichert. Gewiss, Umbrüche, wie wir sie derzeit verstärkt erleben, sind anstrengend. Aber diese Anstrengung wird sich, da bin ich zuversichtlich, lohnen. Außerdem sollten wir sehen: Sehr vielen positiven gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen, gingen große Diskussionen, auch Auseinandersetzungen und damit Umbrüche voraus.

Was meinen Sie konkret?

Nur eines von zahlreichen Beispielen: Die Gleichberechtigung der Frauen ist für uns heute nicht mehr verhandelbar. Aber wie lange haben wir darüber diskutiert! Bis in die 1970er Jahre brauchten Frauen die Genehmigung ihres Ehemannes, wenn sie arbeiten wollten. Überhaupt war die Geschichte der Bundesrepublik kein Kuschelkurs. Der Mauerbau 1961 hat viele Menschen enorm besorgt. Oder später: Die Zechenstilllegungen und der Wandel der Industriegesellschaft. Und haben wir wirklich vergessen, wie furchtbar die bleierne Zeit des RAF-Terrorismus war? Die Auseinandersetzungen haben damals ganze Familien und Freundeskreise gespalten. Die Bundesrepublik ist durch etliche Konflikte durchgegangen. Das hat uns Kraft gekostet, aber am Ende auch gestärkt. Nun stehen wir wieder vor einer großen Veränderung – und über diese müssen wir natürlich diskutieren. Aber wenn ich mich momentan so umgucke, bin ich optimistisch, dass wir auch die Herausforderungen der Flüchtlingskrise meistern werden.

Wo ist der meckernde Deutsche geblieben?

Ach, ich habe da die Deutschen schon immer verteidigt. Na klar, schimpfen wir gerne darüber, was alles nicht klappt und nehmen der Welt übel, wenn sie nicht perfekt ist. Aber wenn es wirklich wichtig wird und Taten gefragt sind, dann sind Deutsche zur Stelle. Nehmen Sie nur die beiden Hochwasserkatastrophen in Ostdeutschland. Mitten in der Stimmung von "Jammer-Ossi" und "Besser-Wessi" brechen die Deiche und dann stehen wir dort gemeinsam und befüllen Sandsäcke. Wenn es darauf ankommt, zeigen wir Deutsche – und derzeit übrigens auch etliche, die selbst einmal Einwanderer waren – Mitgefühl und spontane Tatkraft.

Was sagen Sie den Menschen, die klagen: Jetzt ist nur noch Hilfe für die Flüchtlinge da, aber unsere eigenen benachteiligten Kinder vergessen wir?

Den Menschen, die an dieser Stelle Zweifel haben, möchte ich sagen, dass auch künftig keiner vergessen werden wird. Natürlich wird der Staat das Geld auf mehr Projekte verteilen müssen. Aber gleichzeitig hat die Flüchtlingskrise ein extremes Maß an freiwilligem Engagement ausgelöst. Und ich glaube, dass diese besondere Hilfsbereitschaft für ein neues Miteinander aller in unserer Gesellschaft steht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Helfer zwar bereit sind, Flüchtlingskindern bei den Hausaufgaben zu helfen, aber nicht dem kleinen deutschen Nachbarjungen, der aus schwierigen sozialen Verhältnissen kommt. Wenn das Mitgefühl erst mal da ist, dann geht es weiter. Klar ist: Der Staat wird nicht alles regeln können, die ehrenamtlichen Helfer bleiben bedeutend.

Aktuell konzentrieren sich die Helfer auf Flüchtlinge...

Für die bereits hier lebenden Kinder und Jugendlichen kann darin sogar eine Chance liegen, weil wir soziale Probleme wieder stärker in den Blick nehmen. Ich wünsche mir, dass wir gar nicht so feinsäuberlich zwischen Flüchtlingshilfe und Projekten für benachteiligte Kinder unterscheiden, sondern das möglichst zusammenführen. Davon haben alle etwas.

Sie waren immer eine selbstständige Frau, haben als Journalistin Ihr eigenes Geld verdient. Haben Sie schon mal bereut Ihr eigenes Leben aufgegeben zu haben, um "ehrenamtlich" als First Lady zu arbeiten?

Ein klares Nein. Natürlich vermisse ich meinen Beruf manchmal. Beim Nachrichtensehen rege ich mich dann über das ein oder andere Thema auf und denke: Ach, wie gerne würde ich darüber jetzt etwas schreiben. Aber in meiner jetzigen Funktion mache ich ganz neue Erfahrungen: Als Journalistin schreibst du über das, was schief läuft. An der Seite des Bundespräsidenten lerne ich hingegen immer gleich die Leute kennen, die sich um das Problem kümmern. Das ist unglaublich aufbauend.

Haben Sie Lust, irgendwann später, nach der Zeit als First Lady wieder zu schreiben?

Ja, das Schreiben fehlt mir schon. Aber ich müsste mir wohl einen anderen Schwerpunkt als die Politik suchen. Sonst würde jeder meiner Kommentare nie nur mir, sondern immer auch Joachim Gauck zugerechnet werden.

Sie wirken sehr lebensbejahend. Haben Sie ein Motto?

Kein Motto. Aber die Grunderfahrung in meiner Großfamilie war rundum positiv. Da habe ich ein Grundvertrauen in die Welt mitbekommen. Klar flogen bei politischen Diskussionen auch mal die Fetzen, aber kurz darauf saßen wir wieder vergnügt bei Handkäs und Äppelwoi. Ich hatte auch nie Angst, dass bei Konflikten etwas zerbrechen könnte. Ich käme gar nicht auf die Idee, dass man, nur weil man unterschiedlicher Meinung ist, hinterher nicht mehr miteinander spricht. Dieser grundsätzliche Optimismus ist in meiner Kindheit beheimatet.

Kennen Sie keinen brennenden Zweifel?

Was mir sehr auf der Seele brennt, ist, was Krieg und Verfolgung mit den Seelen der Kinder macht. Als Unicef-Schirmherrin habe ich in Amman zwei geflüchtete syrische Mädchen getroffen. Die eine erzählt mir, sie wolle Ärztin werden, die andere Architektin. Und ich sehe diese fröhlichen achtjährigen Mädchen und denke für mich: Hoffentlich erfüllen sich ihre Wünsche und den Mädchen bleibt eine Enttäuschung erspart. Das tut mir so weh. Kinder, die in ihren ersten Lebensjahren keine Sicherheit erlebt haben, brauchen besondere Zuwendung. Wir müssen herausfinden, wie wir diesen traumatisierten Kindern helfen, das Gefühl der Sicherheit womöglich nachholen können.

Haben Sie eine Idee?

Konkret wünsche ich mir, dass sich die Menschen, die zu uns kommen sich auch gegenseitig umeinander kümmern und sich so auch etwas Heimat und Sicherheit geben. Dass zum Beispiel die, die syrisches Arabisch sprechen, sich auch um diese Flüchtlinge kümmern. Ja, die Menschen sollen so schnell wie möglich deutsch lernen. Aber zwischendurch, zur Erholung, brauchen sie auch mal ihre Muttersprache, um sich die Dinge von der Seele zu reden.

Als Sie First Lady wurden, waren Staatsempfänge für Sie völlig fremd. Gab es mal eine richtige Panne?

Ja, die gab es: Der legendäre Moment als ich der Fürstin von Monaco vor laufenden Kameras für eine Zehntelsekunde auf die Schleppe trat. Sie hat es mir mit einem Lächeln verziehen. Glücklicherweise gab es nicht mehr von diesen Momenten oder ich habe sie einfach vergessen.

Die Fragen stellten: Marion Horn und Angelika Hellemann