Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 13. Februar dem Fernsehsender n-tv nach der Wiederwahl durch die Bundesversammlung im Paul-Löbe-Haus ein Interview gegeben.
Herzlich willkommen, Herr Bundespräsident, und herzlichen Glückwunsch zur Wiederwahl. Sie haben es in Ihrer Antrittsrede erwähnt, die Ukraine, Russland, der Ernst der Lage, aber glauben Sie wirklich, dass die Menschen in Deutschland Angst haben müssen vor Krieg in Europa, so richtig mit Panzern und Kanonen?
Na, das hoffe ich nicht. Ich habe in meiner Rede auch gesagt, wir haben uns daran gewöhnt, dass der Frieden in Europa bewahrt ist und bewahrt bleibt. Das war offensichtlich ein Irrtum. Jedenfalls die Warnungen davor, dass wir zurückfallen könnten in den Kalten Krieg, waren zu harmlos. Wir stehen vor der Gefahr einer militärischen Auseinandersetzung an der Grenze Russland zu Ukraine, das müssen wir mindestens wahrnehmen, und andererseits alles dafür tun, dass sie nicht zustande kommt. Ich bin den Hauptstädten Berlin, Paris, Washington wirklich dankbar, dass sie das Mögliche tun, um das Schlimmste zu verhindern.
Aber im Kalten Krieg, den Sie erwähnen, war die Abschreckung, auch die militärische Abschreckung des Westens gegen den Osten und umgekehrt der Garant für eine Stabilität. Funktioniert die westliche Abschreckung nicht mehr, wenn wir jetzt in so einer Lage sind, wo Sie vor Krieg warnen?
Die internationale Architektur hat sich verändert. Im Kalten Krieg gab es zwei Militärblöcke, die sich gegenüberstanden. Wir haben eine völlig veränderte Welt inzwischen. Die Bilder, die wir aus Peking gesehen haben, sind ein Hinweis darauf, dass ein neuer Machtfaktor hinzugekommen ist, und natürlich auch für Russland andere Spielräume eröffnet. Gleichwohl hoffe ich darauf, dass die Initiativen, die jetzt ergriffen worden sind, Gespräche, die stattfinden, die offenbar schwierig sind, immer noch dazu führen, dass eine militärische Auseinandersetzung, eine militärische Konfrontation an der Grenze, in der Nähe der Grenze verhindert werden kann. Es muss alles getan werden. Ich glaube, es ist nicht zu spät, aber das setzt Gesprächsbereitschaft auch in Moskau voraus. Und es setzt auch voraus, dass dort Bereitschaft besteht, die Situation zu deeskalieren. Das kann im Augenblick nur Russland tun, deshalb erwarten wir von dort ein Zeichen.
Kann der Bundeskanzler, die Bundesregierung dabei eine entscheidende Rolle spielen in diesem Ringen um Frieden?
Ich glaube, wir dürfen unsere eigene Rolle auch nicht völlig unterschätzen. In der Ukraine weiß man schon – ich kenne mich da ein bisschen aus – dass die Ukraine diesem Land, Deutschland, nie gleichgültig war. Ich erinnere mich an 2014, als auf dem Maidan geschossen wurde, jeden Tag 40, 50, bis 70 Tote, wir haben damals von deutscher Seite immerhin helfen können, das Morden zu beenden. Dann die Minsker Abkommen 2014 und 2015, die auch mit deutscher Unterstützung, vor allem mit der Unterstützung der Bundeskanzlerin zustande gekommen sind, die Gründung des Normandie-Formats, die wirtschaftlichen Hilfen, die seit der Zeit in Richtung Ukraine fließen: ich glaube, das Vorurteil, dass Deutschland nicht genügend tut für die Ukraine, ist mindestens ein Vorurteil, das der Überprüfung bedarf.
Herr Bundespräsident, sind wir mittlerweile nicht so eng verwoben mit der russischen Wirtschaft, dass wir nicht sogar abhängig sind von der russischen Wirtschaft? Vom russischen Gas, von russischer Energie?
Wir sind zum Teil sicherlich abhängig von russischen Energieressourcen, das ist gar keine Frage. Im Gasbereich sind es um die 40 Prozent. Wenn wir weltweit schauen, sind die Gaslieferanten gar nicht so zahlreich. Wir sind über Pipelines mit Norwegen verbunden. Norwegen fördert im Moment im Grenzbereich und ist nicht weiter steigerungsfähig. Wenn wir die Alternativen beim Flüssiggas sehen, dann kommt Katar in Betracht. Katar ist sehr im Geschäft mit Ostasien, insbesondere mit China. Wir dürfen uns also nicht vorstellen, dass die Ressourcen sozusagen auf der Straße liegen. Damit eine klare Antwort auf Ihre Frage: Ja, wir sind, mindestens was Energielieferungen angeht, zurzeit zu einem Anteil etwa in der Größenordnung von etwa 35 bis 40 Prozent von Russland abhängig.
Es heißt immer, man droht den Russen mit Sanktionen, Präsident Putin müsse wissen, worauf er sich da einlässt, aber können wir uns das leisten oder schneiden wir uns womöglich auch ins eigene Fleisch und ist das auch der Grund, warum in diesem Fall die Bundesregierung so zögerlich ist?
Ich weiß gar nicht, ob das Urteil gerechtfertigt ist, ob sie zögerlich ist. Was ich jedenfalls gehört habe aus den Gesprächen, die in Washington zwischen Bundeskanzler Scholz und Präsident Biden stattgefunden haben, ist, dass man sich in der Frage möglicher Reaktionen auf eine russische Invasion gemeinsam vorbereitet, auch die Maßnahmen abstimmt, und solange das gilt, habe ich keinen Zweifel, dass Deutschland da eine Sonderrolle spielt.
Sie haben in Ihrer Rede auch angesprochen, dass womöglich der Klimaschutz und der Streit, wie viel Klimaschutz richtig und nötig ist, die nächste große gesellschaftliche Auseinandersetzung werden könnte, nach Corona und nach den Querdenkern und nach der Ausländerpolitik. Was befürchten Sie da?
Zunächst einmal bevor ich zu der Befürchtung komme, wir müssen auch ein bisschen unsere Sprache selbst überprüfen. Die Sprache von der gespaltenen Gesellschaft ist nicht ganz zutreffend. Jedenfalls ist es ungerecht gegenüber den 80 Prozent, die sich verantwortungsvoll, solidarisch verhalten, deshalb zunächst auch mal ein Dank an diejenigen. Aber wir sehen auch auf den Straßen, auch heute wieder große Demonstrationen, dass sehr gezielt Ängste und Vorbehalte ausgenutzt werden von Organisationen am rechtsextremen Rand, die sich ihr eigenes Wachstum und Unterstützung erwarten. Und in der Tat, mein entscheidender Befund, den ich heute in der Rede auch mitgeteilt habe, ich befürchte diese Art des Protestes, der sich zum Teil eben auch gegen Demokratie und demokratische Entscheidungsprozesse richtet, dass dieser Protest nicht zu Ende sein wird mit dem Ende der Pandemie. Sondern dass die Organisationen, von denen ich spreche, schon auf der Suche nach neuen Themen sind, auch nach neuen Ängsten, die es gibt in der Gesellschaft, um sie für ihre Zwecke auszunutzen. Dazu könnte in der Tat auch der Kampf gegen den Klimawandel bzw. die Maßnahmen, die zu dieser Politik gegen den Klimawandel gehören.
Sie haben die Hand ausgestreckt in beide Richtungen, aber was kann der Bundespräsident tun, ganz konkret, wenn wir bei diesem Bild bleiben, beim Gräben wieder zuschütten, beim Heilen. Was können Sie tun außer zu reden?
Der Bundespräsident hat keine Gesetzgebungszuständigkeit, das wissen die Menschen, das hat die Bundestagspräsidentin auch heute noch einmal angesprochen. Aber er hat einerseits die Möglichkeit seiner Rede, und er hat die Möglichkeit, seine eigene persönliche Glaubwürdigkeit einzubringen in Gespräche, wie ich sie in der Vergangenheit in zahlloser Weise geführt habe. Eine Ihrer Kolleginnen hat mich mal gefragt, bedauern Sie eigentlich, dass zwei Jahre Ihrer Amtszeit durch die Pandemie belastet sind. Ich habe einen Augenblick überlegt und gedacht, eigentlich ist das Gegenteil der Fall. Vielleicht hat man nie so deutlich gemerkt wie in dieser Pandemie wie sehr der Bundespräsident gebraucht wird. Und das sage ich nicht nur mit Blick auf Gedenkfeiern, in denen wir an Tote erinnert haben, sondern an viele, unglaublich viele Gespräche an runden und an eckigen Tischen, die wir geführt haben mit Lkw-Fahrern, Verkäuferinnen, Krankenschwestern, Pflegern, aber eben auch mit Angehörigen, die Töchter, Söhne, Väter während dieser Pandemie verloren haben. Also, die Möglichkeit des Wortes, die Möglichkeit, die eigenen Glaubwürdigkeit einzubringen, ist aus meiner Sicht etwas wert, kann helfen, Gräben zuzuschütten. Aber ich habe sehr realistisch heute gesagt, das braucht Zeit und es bedarf der Entscheidung, sich diese Zeit auch zu nehmen. Ich will das tun.
Was ist dann Ihr Wort an jüngere Generationen, von denen sich jetzt auch im Ringen um Klimaschutz Einzelne an Autobahnen festkleben, um die Autobahn zu blockieren? Ist das ein legitimes Mittel aus Ihrer Sicht und was würden Sie denen sagen?
Bevor ich zur Legitimität komme, würde ich zunächst mal feststellen, wenn ich in die Öffentlichkeit hineinschaue und Reaktionen auf diese Form der Demonstration sehe, ich mir nicht sicher bin, ob die Aktivisten die unterwegs sind und sich dort festkleben, ihren eigenen Zielen wirklich nutzen, weil es – bisher jedenfalls – wenig verstanden wird. Das zweite ist, wir haben genügend legitime Protestformen in Deutschland. Drittens: der zivile Ungehorsam, auf den man sich beruft, ist nichts Neues. Das hat es immer wieder gegeben in der Geschichte der Bundesrepublik, aber es bedarf eben auch des Hinweises, dass Artikel 8 des Grundgesetzes, die Versammlungsfreiheit einen sehr weiten Schutzbereich hat, aber keine Straffreiheit begründet. Das heißt, auch während Demonstrationen können Straftaten begangen werden und wer zivilen Ungehorsam leistet, muss sich auch darauf einstellen, dass solche Straftaten verfolgt werden.
Herr Bundespräsident, wir wollten eigentlich ein etwas innenpolitischeres Interview führen, die Nachrichtenlage ist eine andere. Aber wir möchten Sie ungern gehen lassen, ohne eine Frage zu stellen, die uns beiden wirklich am Herzen liegt. Wenn Sie wählen können aus dem Kreis der Wahlmänner und Wahlfrauen – und wir denken nicht an einen Politiker – mit wem hätten Sie mal am liebsten eine Verabredung zum Abendessen?
Also, wenn ich mich erinnere an den Blick, den ich heute habe in die Runde schweifen lassen während meiner Rede, würden mir spontan zehn einfallen, die ich Ihnen nennen könnte…
Sie dürfen nur einen nennen.
Wenn ich nur einen nennen darf, dann ist das jemand, der eine Reise gemacht hat, die mir in der Vergangenheit versagt war und die ich vermutlich auch in den nächsten fünf Jahren nicht machen werde, nämlich in den Orbit, der uns von oben ein bisschen zugeschaut hat und gesehen hat, welche Wunden wir unserem Planeten schon zugefügt haben, viel darüber gesprochen hat, viel bewirkt hat, und deshalb würde ich sagen, Alexander Gerst würde ich gern zum Abendessen treffen und wenn Matthias Maurer bis dahin zurück ist, nehmen wir den mit.
Dankeschön, dass Sie bei uns waren. Vielen Dank für Ihre Zeit und alles Gute für die nächsten fünf Jahre.
Vielen Dank.
Die Fragen stellten: Nikolaus Blome und Heike Boese