Interview mit dem Fernsehsender SWR

Schwerpunktthema: Interview

29. Mai 2022

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat dem Autor Utz Kastenholz ein Interview für den Fernsehbeitrag "Das Hambacher Schloss – Kampf um die Erinnerung" gegeben, der am 29. Mai im Rahmen der Sendung "Bekannt im Land" im SWR-Fernsehen gesendet wurde.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei einem Interview im Amtszimmer von Schloss Bellevue (Archivbild)

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat dem Autor Utz Kastenholz ein Interview für den Fernsehbeitrag Das Hambacher Schloss – Kampf um die Erinnerung gegeben, der am 29. Mai im Rahmen der Sendung Bekannt im Land im SWR-Fernsehen gesendet wurde.

Welche Bedeutung kommt den Orten der Demokratiegeschichte heute zu – gerade in Zeiten wie diesen?

Demokratie und Freiheit sind immer wieder bedroht – zu Zeiten von innen, zu anderen Zeiten, wie jetzt, eher von außen. Und deshalb sind authentische Orte der Demokratiegeschichte wie das Hambacher Schloss so wichtig, weil sie uns erinnern, mit welchen Mühen, mit welchen Opfern Demokratie und Freiheit erkämpft worden sind, und vielleicht auch zeigen, wie wertvoll es ist, wie wichtig es ist, dass wir diese Werte verteidigen. Insofern ist Demokratiegeschichte nie nur ein Blick zurück, sondern zugleich ein Blick nach vorn.

Welchen Stellenwert hat für Sie das Hambacher Schloss unter den Orten der Demokratiegeschichte?

Neben der Paulskirche, neben Rastatt gehört das Hambacher Schloss ganz sicher zu den ganz herausragenden, zu den ganz wichtigen Orten der deutschen Demokratiegeschichte. Herausragend vielleicht auch deshalb, weil es eine Besonderheit im Vergleich zu vielen anderen Orten gibt: Natürlich wurde auf dem Hambacher Schloss gestritten für Freiheit und Demokratie in Deutschland. Aber es war eben zugleich der Ort der Völkerfreundschaft, der Solidarität unter den Völkern.

Es gab den Versuch der Etablierung eines sogenannten Neuen Hambacher Fests. Dessen Teilnehmer sind systemkritisch, manche gar demokratiefeindlich. Sie berufen sich dabei auf die Akteure von Hambach 1832. Können sie das zu Recht?

Wir müssen die Beteiligten dort, die Verantwortlichen – die eine ganz engagierte Arbeit machen, wie ich weiß – wir müssen die auch in die Lage versetzen, sich gegen Übernahmen oder Vereinnahmungsversuche zur Wehr zu setzen. Dazu braucht man Personal. Dazu braucht man wahrscheinlich nicht nur einige wenige Museumspädagogen, die stundenweise zur Verfügung stehen, sondern es braucht eine Bildungsarbeit, die gerade gegenüber Jugendlichen, gegenüber Schulklassen geleistet wird, die auch einen möglichst niedrigschwelligen Zugang – das hat auch was mit Eintrittsgeldern zu tun – in das Hambacher Schloss haben sollten. Diejenigen, die hier einem neuen Nationalismus das Wort reden, die die Demokratie und ihre Repräsentanten verächtlich machen, diejenigen, die den Krieg Russlands gegen die Ukraine auch noch gutheißen, die haben nichts mit dem Hambacher Schloss und nichts mit den Farben Schwarz-Rot-Gold zu tun.

Auch wenn eine erste feindliche Übernahme des Hambacher Festes erst einmal gescheitert ist, droht der Ort nach wie vor zur Pilgerstätte für Querdenker und Rechtspopulisten zu werden. Offensichtlich versucht man, die Deutungshoheit über diesen Ort zu gewinnen. Muss man das aushalten, oder muss die Demokratie hier wehrhaft sein?

Ich glaube, die Demokratie kann einiges aushalten. Sie kann auch mit absonderlichen Meinungen umgehen. Das ist, glaube ich, nicht das Problem. Das Problem ist eher, dass Demokratinnen und Demokraten sich selbst auch engagieren müssen für diese Demokratie, das heißt, nicht zulassen, dass an solchen Orten wie in Hambach nur die anderen, diejenigen, die Demokratie verächtlich machen, präsent sind, sondern dass die Demokratinnen und Demokraten in größerer Anzahl und häufiger dort sind. Und dass Bildungsarbeit an diesem Ort tatsächlich mit langfristiger Wirkung gerade gegenüber den nachwachsenden Generationen möglich ist.

Ein Motto der neuen Dauerausstellung auf dem Hambacher Schloss heißt Farbe bekennen. Was kann das für den Einzelnen bedeuten, was bedeutet es für Sie?

Diejenigen, die Verantwortung tragen, müssen sich Kritik gefallen lassen. Aber es gehört eben auch dazu, dass Demokratinnen und Demokraten bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Und das ist gar nicht immer unbedingt nur der Gang in die hohe Politik. Sondern Verantwortung zu übernehmen, vor Ort, zu Hause, sich um mehr kümmern als nur sich selbst, da fängt Demokratie an, und das ist demokratisches Engagement, wie wir es brauchen.

Die Fragen stellte: Utz Kastenholz