"Mich interessiert, was euch umtreibt“

Schwerpunktthema: Interview

13. März 2024

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war am 13. März im Rahmen seiner "Ortszeit Espelkamp" zu Gast beim WDR 5 Morgenecho.

Bundespräsident Steinmeier begegnet Menschen in Espelkamp

Was macht gerade Frank-Walter Steinmeier? Der Bundespräsident ist unterwegs. Zu Beginn seiner zweiten Amtszeit hatte er angekündigt, verstärkt den direkten Austausch mit den Menschen überall im Land zu suchen und das tut er. Jetzt ist er in Nordrhein-Westfalen in Espelkamp, das ist in Ostwestfalen und wir nutzen diesen Besuch, um mit ihm im WDR 5 Morgenecho zu reden. Sie haben hier in Espelkamp schon Jugendliche getroffen, waren auf dem Wochenmarkt. Wie ist Ihr Eindruck, Herr Steinmeier, was beschäftigt die Menschen in Espelkamp?

Also ich bin gerade zu überwältigt von dem Empfang hier. Es ist wenig zu spüren von der Abneigung gegen Politik und Politiker, ganz im Gegenteil. Es waren viele Menschen, die uns hier bei dem Weg durch die Stadt begrüßt haben, das Gespräch gesucht haben. Ganz besonders erfreulich die Jugendlichen, die wir hier im Jugendzentrum zunächst aufgesucht haben, die uns ein bisschen gezeigt haben, wo sie sich nachmittags nach der Schule treffen und dann vor allen Dingen uns die Stadt gezeigt haben. Die Stellen an denen sich Jugendliche treffen, manche attraktiv, manche auch weniger attraktiv, aber das entscheidende ist, dass mein Eindruck wirklich ist, die Jugendlichen leben gerne hier und fast alle von ihnen sind ehrenamtlich engagiert, tun was für die Stadt und für die Zukunft der Stadt.

Sagen wir mal ehrlich, die, die Sie getroffen haben, also manchmal denkt man ja, der Bundespräsident kommt und dann ist alles organisiert. Gibt es da überhaupt noch Raum für Spontanität? Kann da jemand einfach auf Sie zukommen mit allen Sicherheits-Menschen, die natürlich mit dabei sind?

Ich habe diese Ortszeit ja deshalb erfunden, weil ich ein bisschen ausbrechen wollte von diesen organisierten Veranstaltungen. Natürlich gibt es das auch weiterhin, die Einladung zu einer Rede, zu einem Jubiläum, zu dem ich gehe, eine Rede halte, die Veranstalter ehre und dann vielleicht noch eine halbe Stunde beim Empfang bleibe und dann wieder abreise. Das ist nicht dasselbe wie eine Ortszeit. Die Ortszeit ist eine Reaktion, meine Reaktion auf Defizite, die ich in der Corona-Zeit festgestellt habe, dass die Menschen sich voneinander entfernen, dass die Distanz zwischen den sozialen Gruppen wächst, dass die Distanz auch zwischen Bürgerinnen und Bürgern auf der einen Seite und Politik auf der anderen Seite wächst. Daraus habe ich für mich den Schluss gezogen, es reicht nicht, in Berlin abzuwarten, bis der Protest mich dort erreicht, sondern in die Region zu gehen, gerade in die Städte und Gemeinden, auf die das Scheinwerferlicht regelmäßig nicht so sehr fällt und den Leuten zu signalisieren, mich interessiert, was euch umtreibt, welche Sorgen ihr habt und deshalb machen wir diese Ortszeiten. Drei Tage am Stück machen wir so, dass wir möglichst viel Gelegenheiten auch für zufällige Begegnungen, wie zum Beispiel heute Morgen auf dem Wochenmarkt haben und sie werden das vielleicht aus der Entfernung her kaum glauben, aber es dauert so eine halbe Stunde, bis die Leute sich dann doch relativ umstandslos nähern und das Gespräch suchen, manche nur ein Foto, manche auch ein Gespräch.

Sie werden, denke ich, auch mit Kommunalpolitikern dort zusammenkommen und die Situation der Kommunalpolitiker und Politikerinnen vor Ort ist keine einfache. Das erleben auch wir immer wieder in Gesprächen, also womit sie sich auseinandersetzen müssen. Hass, Drohungen, alles schlägt denen entgegen. Bürgermeister schließen ihre Facebook-Accounts, weil sie diese Anschuldigungen und Beschimpfungen, das ist ja kein Dialog mehr, nicht mehr ertragen können, was heißt das?

Das heißt, dass wir das auf keinen Fall länger hinnehmen müssen. Das kann man nicht verbieten sondern wir müssen für eine andere Haltung in der Bevölkerung sorgen und weil ich das mit derselben Besorgnis beobachte wie sie Frau Schulte-Loh hab ich vor zwei, drei Jahren begonnen, regelmäßig Bürgermeisterinnen und Bürgermeister einzuladen. Das Ergebnis ist in der Tat besorgniserregend, eine Bürgermeisterin aus dem Süddeutschen, die mir sagt, wissen Sie, ich hab immer mal wieder Bauplanungen machen müssen, Bebauungsgebiete ausweisen müssen, da gibt es Menschen, die davon Vorteile und Nachteile haben, aber dass mein Briefkasten anschließend mit Fäkalien gefüllt wird, dass ein Galgen in den Garten gestellt wird, das ist neu und das hat natürlich etwas zu tun mit der Verrohung unserer Sprache, wie sie vor allen Dingen in den sozialen Medien stattfindet. Wir sind uns wahrscheinlich einig darüber, dass die Grenze zwischen dem Sagbaren und dem Unsäglichen schon erheblich verschoben worden ist und das kann und das darf so nicht weitergehen. Daran müssen alle eine Interesse haben in einer Demokratie, selbst diejenigen, die mit einer aktuell getroffenen Entscheidung nicht zufrieden sind und weil Sie die kommunale Ebene angesprochen haben, hier ist es ganz besonders wichtig, dass uns nicht ehrenamtlich Tätige verloren gehen, die die große Last der kommunalen Politik schultern. Denn nichts wird ja besser, wenn sich die Menschen aus dieser Verantwortung zurückziehen und die Parteien vor Ort nicht mal mehr Menschen gewinnen, die bereit sind zu kandidieren für den Gemeinderat oder für den Stadtrat. Wir brauchen die Bereitschaft zur Übernahme der Verantwortung und dafür brauchen wir eben auch ein Umfeld, dafür brauchen wir Arbeitsbedingungen, dass die Leute nicht vergrault.

Das ist, alles das was sie beschreiben, eine Entwicklung, die sich schon angedeutet hat, die nicht überraschend kommt und seit Jahren gesellschaftlicher Zusammenhalt schon ihr Thema und der bröckelt. Nun kommen noch viele Krisen auf einmal dazu, auch rechte Parteien gewinnen dann an Zustimmung, nicht nur bei uns, aber eben auch. Das heißt, die Demokratie steht unter Druck und wir beobachten das. Wir gehen vielleicht noch auf die Straße und demonstrieren, aber was können Sie als Bundespräsident tatsächlich konkret machen, was können sie anstoßen, nicht nur mahnen, sondern wirklich sagen: “Ey Leute, ich bin der Bundespräsident, mir reicht's jetzt mal langsam, was wir hier alles machen und vielleicht eine andere Initiative ins Leben rufen.

Es reicht ja nicht zu sagen: „Mir reicht es“. Sondern es geht darum, dass wir etwas in Gang setzen und das ist Gott sei Dank erfreulicherweise gelungen. Leider bedurfte es dazu dieser Recherche in einer Villa in Potsdam, die vielen Menschen in Deutschland zum ersten Mal vor Augen geführt hat, was Rechtsextremisten in diesem Lande tatsächlich vorhaben. Selbst deutsche Staatsbürger wieder außer Landes zu bringen. Daraus ist etwas entstanden, Frau Schulte-Loh, wir erleben es ja nicht allzu oft, dass die Menschen zu Hunderttausende auf die Straßen gehen, um nicht gegen etwas, sondern für etwas zu demonstrieren. Nämlich für die Demokratie und ich glaube das hat schon etwas bewirkt, das wird nicht ausreichen, aber es hat schon etwas bewirkt, weil es diese Art von Gleichgültigkeit, mit der wir die Entwicklung der letzten Jahre beobachtet haben, die sie auch geschildert haben, dass diese Gleichgültigkeit vertrieben ist und dass etwas an die Stelle getreten ist, was ich als Mut bezeichne oder wachsende Zuversicht und natürlich kommt es jetzt darauf an, dass wir uns nicht auf die nächsten zwei, drei Jahre von dauerhaften Demonstrationen verlassen, sondern dass diese Haltung, die Haltung für die Demokratie, für ein offenes und freundliches Deutschland, sich im Alltag niederschlägt. Ich bin froh darüber, dass diejenigen, die sonst sehr unterschiedlicher Meinung sind, Arbeitgeberverbände, Unternehmen auf der einen Seite, Gewerkschaften und Betriebsräte auf der anderen Seite, ich bin sehr froh darüber, dass es überall im Land Bündnisse gibt, Bündnisse für die Demokratie, die eine klare Grenze ziehen gegen diejenigen, die Demokratie verachten.

Wo sehen Sie tatsächlich Bündnisse, die die soziale Gerechtigkeit angehen? Denn das ist ja auch mit ein Punkt, wenn wir sagen, die Demokratie bei uns steht unter Druck, worüber wir reden müssen. Dieses Wohlfahrts-Versprechen, also das heißt mit mehr Arbeit, mit alledem, was wir tun, werden wir unsere Zukunft tatsächlich gestalten können und auch mit Anteil haben an der Entwicklung des Staates. Dieses Wohlfahrts-Versprechen, das scheint zu wanken und nicht mehr zu gelten. Die Leute arbeiten, aber kriegen zu wenig Geld. Diejenigen, die viel Geld haben, sind die, die viel erben und die Erbschaftssteuer ist weniger besteuert als die Arbeit in Deutschland. Also es gibt so ein Ungleichgewicht, wo ich denke, da braucht es nicht nur eine Debatte, sondern auch ein klares politisches Zeichen.

Das ist eine Auseinandersetzung, die zwischen den Parteien geführt werden muss. Wir werden in zwei Jahren wieder einen Wahlkampf erleben, in dem es Themen sein werden, über die die Bürger entscheiden werden, wo sie entscheiden werden, ob ihnen das wichtiger ist als anderes. Es sind allerdings neben der sozialen Gerechtigkeit eben im Augenblick auch ganz sicherlich Sorgen, berechtigte Sorgen, über Mangel an wirtschaftlichem Wachstum im eigenen Lande. Die Menschen spüren ja, dass weniger zur Verteilung zur Verfügung steht, nur das ist etwas, das ist eine Krise, von der ich nicht sage, daraus gibt es kein Entrinnen mehr, sondern wir müssen sehen, dass wir uns auf unsere eigenen Stärken besinnen, uns aus dieser Krise wieder rauskämpfen und mit Blick auf die Jungen, die manchmal sehr pessimistisch in die Zukunft schauen, sage ich immer, wenn ich auf den Arbeitsmarkt schaue, insbesondere auf den Arbeitsmarkt für junge Menschen, so waren die Perspektiven für die jüngeren Generationen in den vergangenen Jahrzehnten sicherlich nie günstiger als heute. Junge Leute werden überall, nicht nur im Handwerk, aber gerade auch dort, dringend gesucht, so dass ich finde, wir sollten uns jetzt nicht selbst durch Pessimismus soweit lähmen, dass wir uns aus der gegenwärtigen, in der Tat nicht ganz einfachen Situation, dass wir uns daraus nicht mehr befreien können. Wir können es und wir haben bewiesen in den Krisen der zurückliegenden Jahre, dass es gelingen kann.

Ich nehme Sie, Herr Steinmeier, als Mahner wahr, der das Gespräch mit den Bürgern und Bürgerinnen sucht. Ist es gerade jetzt auch für sie wichtiger richtig laut zu werden, auch wenn das eigentlich nicht Ihre Art ist?

An Lautstärke haben wir in dieser Gesellschaft wirklich genug. Ich glaube, es ist ja gerade so ein Kennzeichen der Zeit, dass viele laut schreien, aber keiner mehr zuhört. In der Tat, ich bin unterwegs, um Argumente zu liefern, warum wir uns nicht in den Abgrund hinein reden sollten, warum wir nach vielen Krisen in der Vergangenheit immer wieder Wege gefunden haben, um uns daraus heraus zu bewegen, dass wir in Deutschland, verglichen mit unserem europäischen Ausland, natürlich Sorgen haben dürfen, aber verstehen müssen, dass die Sorgen anderswo vielleicht größer sind als bei uns, also uns auf Stärken besinnen und uns nach vorne kämpfen, mit Mut und Zuversicht, dafür werbe ich bei meinen öffentlichen Auftritten in Reden, aber auch eben bei Ortszeiten wie jetzt in Espelkamp.

Das sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Er ist gerade in NRW in Espelkamp und das war WDR 5 Echo Interview mit ihm.

Das Interview ist eine Transkription des vom Bundespräsidenten geführten Interviews mit WDR 5.

Die Fragen stellte: Judith Schulte-Loh