Eröffnungsfestival "100 Jahre Bauhaus"

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 16. Januar 2019

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 16. Januar beim Eröffnungsfestival "100 Jahre Bauhaus" in Berlin eine Ansprache gehalten: "Die Bauhauskünstler waren in ihrer ganz großen Mehrheit Demokraten und begriffen die Weimarer Republik als die große Chance zur Freiheit – zur politischen Freiheit und auch zur Freiheit der künstlerischen Gestaltung. Sie suchten den Austausch mit der internationalen Moderne und ließen sich auch von den künstlerischen Entwicklungen jenseits der Grenzen beeinflussen."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der Ansprache beim Eröffnungsfestival "100 Jahre Bauhaus" in Berlin

Im November 1917, knapp zwei Jahre nur vor Gründung des Bauhauses, erschien das Buch Poetenleben von Robert Walser. Darin gibt es die Rede an einen Knopf. Bei der Ausbesserung eines Hemdenknopfloches, so der Dichter, sei ihm eingefallen, endlich einmal dem treuen Hemdenknopf für seine stillen Dienste zu danken. Am Ende dieser Eloge heißt es:

Dass du das bist, was du bist und so bist, wie du bist, bezaubert mich, rührt, ergreift und bewegt mich und macht mich denken, dass es auf der Welt, die an unerfreulichen Erscheinungen reich genug ist, hier und da Dinge gibt, die den, der sie sieht, glücklich, fröhlich und heiter machen.

Wir wissen nicht, ob Walter Gropius und die anderen Mitbegründer des Bauhauses diesen Text gekannt haben, aber er scheint mir auf seine ein bisschen verschrobene Art etwas vom Geist jener Institution zu treffen, die 1919 in Weimar ihren Anfang nahm und die eigentlich immer auch eine Bewegung blieb.

Aufmerksamkeit, auf das Alltäglichste, wie auf den Knopf! Alltägliches neu anschauen und neu befragen: Was ist ein Haus, was ist ein Tisch, was ist ein Stuhl, was ist eine Lampe, was ist ein Pfefferstreuer? Und dann das Alltägliche neu gestalten. Und zwar so, dass es durch Funktionalität, aber auch durch seine durchdachte, elegante und proportionierte Gestalt den, der sie sieht, glücklich, fröhlich und heiter macht, wie Robert Walser schrieb.

Ein neues Zusammenspiel vieler Künste und Handwerke sollte im Bauhaus eine neue Formgebung ermöglichen, die sich gegen den Schwulst der oft überladenen Gründerzeit und des Wilhelminismus richtete und sich auch den ungeheuren Zerstörungen und dem Chaos nach dem Ende des Ersten Weltkrieges künstlerisch und politisch stellte.

Ich glaube, dass es nicht nur einen zeitlichen, sondern auch einen inneren Zusammenhang gibt zwischen Bauhaus und dem Aufbruch in die demokratische Republik. Natürlich war ein künstlerischer Gestaltungsanspruch nicht in einem simplen Sinn politisch festgelegt. Aber die lebens- und sozialreformerischen Impulse und das künstlerische Emanzipationsbedürfnis, das sagt mir: Das Bauhaus brauchte, um zu wachsen, die Freiheit der Weimarer Republik und es schenkte ihr zugleich eine besondere Ausdrucksform.

Hier sind von 1919 bis 1933 von einer Gruppe inspirierter Köpfe großartige Dinge in Architektur, Kunst, Tanz, Gestaltung, Typographie, auch Fotografie und Film geschaffen worden. Und vielleicht noch wichtiger: Es sind bleibende Impulse gesetzt worden, die bis in die Gegenwart nachwirken und die uns bis heute zu denken geben.

Wir eröffnen heute das große Jubiläumsjahr, das nicht nur hier bei uns in Deutschland begangen wird, und nicht nur in Berlin, in Weimar und in Dessau. Es wird auch international beachtet in Veranstaltungen und Ausstellungen von Paris über Tel Aviv bis Brasilien. Denn das Bauhaus gehört inzwischen zu den bedeutendsten und weltweit wirkungsvollsten kulturellen Hervorbringungen unseres Landes. Überall findet man seine Spuren und überall setzen sich bis heute vor allem Architekten und Gestalter von Gebrauchsgegenständen damit auseinander.

Der sogenannte Bauhausstil wurde zu einem Synonym der Moderne – gerade und besonders in der Architektur.

Die Bauhauskünstler waren in ihrer ganz großen Mehrheit Demokraten und begriffen die Weimarer Republik als die große Chance zur Freiheit – zur politischen Freiheit und auch zur Freiheit der künstlerischen Gestaltung. Sie suchten den Austausch mit der internationalen Moderne und ließen sich auch von den künstlerischen Entwicklungen jenseits der Grenzen beeinflussen. Am Ende aber wurden sie zur Internationalität gezwungen, da die Nazis dem Bauhaus in Deutschland keinen Raum mehr ließen und ihre Künstler zur Emigration zwangen. Die Bauhaus-Community war zerstört, Schüler und Lehrer flohen in die Welt und verteilten sich über den Erdball.

Bei weitem nicht alle fanden eine neue künstlerische Heimat und nicht alle ausreichende Arbeitsbedingungen. Einige jedoch konnten ihren Beitrag zur Entwicklung des Internationalen Stils weiterhin leisten. Lehrer wie Gropius, Mies van der Rohe, Marcel Breuer: sie lehrten in der Emigration nach den Bauhausprinzipien und prägten Architekturentwicklungen nicht nur in den USA, aber gerade auch dort, und anderswo.

Insbesondere in Tel Aviv findet man, wie an kaum einem anderen Ort in der Welt, Bauhaus-Architektur, weil eine Reihe von ehemaligen Bauhauskünstlern nach der Emigration am Aufbau der Stadt beteiligt war. Auch Israel erinnert in diesem Jahr in deutsch-israelischer Kooperation daran.

Die internationale Wirkung wurde also zumindest beschleunigt durch Unterdrückung des Bauhauses in Deutschland und die erzwungene Emigration nach 1933. Und nach dem Krieg kam dann das Neue Bauen quasi als Reimport wieder zurück nach Deutschland. Oder man fand hier neue Wege und Gestaltungsmöglichkeiten wie etwa an der neuen Hochschule für Gestaltung in Ulm.

Vom Bauhaus beeinflusste Architekten haben gerade auch hier, um die Westberliner Akademie der Künste herum, die Bauten des Hansaviertels geschaffen. Die Bauten der jungen deutschen Demokratie nach 1949 haben oft viel von Bauhaus-Ideen profitiert, auch wenn sie nie reines Bauhaus sind – und damit jedenfalls auch ein modernes, freiheitliches, demokratisches Lebensgefühl in den 1950er- und 1960er-Jahren bei uns mit gefördert.

Wir fragen also in diesem Geburtstagsjahr: was war? Und natürlich fragen wir auch: was bleibt?

Was war? Es war einmal eine Utopie, die streng modern sein wollte – und die sich auch gleichzeitig ganz alter Zusammenhänge erinnerte, wie zum Beispiel dem zwischen engagierter Kunst und gutem Handwerk. Der Name Bauhaus allein erinnert an die Bauhütten, die an den mittelalterlichen Domen die verschiedenen Künstler und Handwerker miteinander verband.

Aber man wollte eben keine Kathedralen bauen, sondern Häuser und Wohnraum entwickeln für jedermann, Gegenstände, die praktisch und schön zugleich sein sollten. Ein besseres Leben – und zwar für viele, möglichst für alle: das gehörte zu den ursprünglichen Intentionen. Und nichts, kein Salzstreuer, keine Teekanne und wenn Sie so wollen: auch kein Knopf sollte zu gering sein für einen entschiedenen Gestaltungsehrgeiz.

Deshalb gehört es für mich zu einer etwas seltsamen Dialektik der Geschichte, wenn heute Bauhaus-Design fast ein Synonym geworden ist für die Wohnungseinrichtung von Besserverdienenden. Stahlrohrmöbel, Wagenfeld-Leuchten, große weiße, möglichst coole Räume: inzwischen oft ein Distinktionsmerkmal einer, wenn Sie so wollen, Geschmacks-Elite. Ich nehme mich da nicht aus.

Was wir für Bauhaus-Ästhetik halten, war vielleicht einmal die Utopie der tabula rasa eines radikalen Neuanfangs. Die Utopie einer Aufgeräumtheit des Daseins, einer Übersichtlichkeit der Welt, die man nach 1918, nach dem Krieg, haben wollte und brauchte. Aber für viele heute mutet es offenbar auch wie Kühle an, die wenig Heimat und die manchen zu wenig Geborgenheit schenkt.

Dabei steht das Bauhaus doch auch für Verzauberung, für die Liebe zum Schönen. Der Tanz steht dafür, auch die Fotografie, Paul Klee, der Meister des Magischen im Kleinen, steht dafür. Manche Plakate stehen dafür, die doch auch das Ornament kannten, also den Überschuss und das scheinbar Überflüssige, das das Leben erst reich und lebenswert macht.

Wenn wir uns also heute fragen, was bleibt, dann denken wir zwar dankbar an all das, was vom Bauhaus geschaffen wurde. Wir sollten aber vor allem daran denken, was vom Bauhaus an Aufgaben, an Intentionen, an utopischem Denken, Experimentieren bleibt, das wir in unsere Gegenwart nicht einfach übernehmen, sondern übersetzen müssen.

Ernst Bloch hat in seinem ersten Werk Geist der Utopie, eine denkwürdige Formel geprägt: Eine Geburtszange muss glatt sein, eine Zuckerzange mitnichten. Das heißt: Es gibt Dinge, die mehr darstellen dürfen als reine Funktionalität. Es gibt zu Recht das Verspielte, es gibt zu Recht das nicht Nützliche. Es gibt manchmal zum Glück das Unaufgeräumte, mehrfach Überbaute, Gewachsene, Schiefe und Stehengelassene aus alter Zeit.

Und dann gibt es immer wieder auch das: das wiedererfundene Alte. Erst kürzlich sind in Frankfurt am Main einige Gassen, nicht viele Häuser als wiedererstandene Teile der Altstadt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden.

Sie alle haben das verfolgt. Sie haben auch verfolgt, wie umstritten das war, wie viele Diskussionen es darum gab. Aber seit dem ersten Tag strömen Tausende dorthin und staunen und glauben vielleicht, dort etwas zu finden, was ihnen offenbar gefehlt hat.

Das mag irritieren. Aber eigentlich ist das eine nützliche Irritation, denn in dieser Erfahrung, die wir machen, steckt nicht mehr als eine Frage zum Beispiel an die Architektur, an die Stadtplanung. Die Frage nämlich: Wie müssen wir modern gestalten, sodass jenseits von Ästhetik elementare Bedürfnisse und Erwartungen von Menschen an ihr Wohnumfeld zufriedengestellt werden? Es geht nicht um die falsche Alternative: Gestern oder Morgen. Sondern es geht um die Frage: Wie gestalten wir das lebbare Heute. Bauhäusler würden sagen: Es gibt keine gute alte Zeit und es gibt keine absolut bessere Zukunft. Aber es gibt, heute wie schon immer, das Bedürfnis von Menschen, eine bewohnbare, eine liebenswerte Stadt wie Umwelt zu haben.

Im Jubiläumsjahr 100 Jahre Bauhaus haben wir vieles zu bestaunen, das wir dankbar feiern können und manches, das wir zu unserem Glück auch wiederentdecken können. 100 Jahre Bauhaus – das ist eine riesige Ressource für Orientierung in der Moderne des 21. Jahrhunderts.

Das Vermächtnis des Bauhauses, glaube ich, ist nicht, retrospektiv eine vergangene Moderne absolut zu setzen, sondern das Vermächtnis ist, eine neue Moderne zu gestalten, mit neuen Erkenntnissen, mit den Erfahrungen, die wir seither gemacht haben, mit den Bedürfnissen und Träumen der Menschen von heute. Das ist die Botschaft, die von Dessau, Weimar, Berlin und allen, die in der Tradition des Bauhauses arbeiten, in die Welt geht. Ein möglichst gutes Leben für möglichst alle in der Welt, die für alle ein Zuhause sein soll.

Wie könnte das gehen?

Robert Gernhardt brauchte dazu nur vier Zeilen:

Gut gefühlt
Gut gefügt
Gut gedacht
Gut gemacht.

Ich wünsche uns allen eine spannende und fröhliche Geburtstagsfeier. Herzlichen Dank.