Verleihung des James-Simon-Preises an Christian Dräger

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 11. März 2019

Der Bundespräsident hat am 11. März bei der Verleihung des James-Simon-Preises an Christian Dräger eine Rede gehalten: "Wie James Simon haben Sie Ihre Sammlungen an die Museen Ihrer Heimatstadt verschenkt – nicht zuletzt, weil Sie andere an Ihrer Begeisterung teilhaben lassen wollen, weil Sie nicht nur überzeugt sind, dass Kunst und Kultur einen Wert für Gesellschaft haben, sondern wissen, dass Leben und Zusammenleben nicht in materiellen Gütern allein aufgeht."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Ansprache bei der Verleihung des James-Simon-Preises an Christian Dräger im Bode-Museum in Berlin.

James Simon ist wieder zum Thema geworden, nicht nur hier in seiner Heimatstadt Berlin! Und wenn man sich anschaut, was in letzter Zeit so alles gesagt und geschrieben wurde über den Kaufmann und Kunstsammler, den Stifter und Spender, dann fällt einem auf, dass ein Satz in keiner Rede und keinem Artikel fehlen darf. Es ist ein Satz, der wie ein Motto über seinem Leben steht, ein Satz, den viele im Raum kennen:

Dankbarkeit ist eine Last, die man niemandem aufbürden sollte.

Ich weiß nicht, ob James Simon diese Worte wirklich je gesagt oder geschrieben hat – mit solchen Zitaten ist das ja oft so eine Sache. Aber sie bringen sehr schön die Haltung zum Ausdruck, für die der vielleicht wichtigste Kunstmäzen und soziale Wohltäter des Kaiserreichs stand.

Denn James Simon, immerhin einer der wohlhabendsten Männer Berlins, enger Gesprächspartner Wilhelms des Zweiten und jüdischer Weltbürger, dieser James Simon trat ja, so ist das glaubwürdig überliefert, immer bescheiden, immer zurückhaltend auf.

Er engagierte sich nicht, um selbst im Rampenlicht zu stehen, um sich mit Orden und Ämtern zu schmücken oder sein Prestige zu mehren, sondern es ging ihm immer um die Sache. Und seine Sache war die Kunst. James Simon liebte die Kunst und nicht weniger die Wissenschaften und wollte sie möglichst vielen Menschen zugänglich machen; und mehr noch, es war ihm ein Herzensanliegen, den Schwachen in der Gesellschaft auf die Beine zu helfen.

Auch an einem Abend wie diesem hätte er vermutlich lieber irgendwo im Hintergrund gestanden, vielleicht da hinten an der Saaltür, wo jetzt eine Büste an ihn erinnert, um in stiller Freude, vielleicht mit einem verschmitzten Lächeln zu beobachten, dass es Stücke aus seinen Schenkungen sind, die bis heute – mit vielen anderen – zu den Supermagneten hier auf der Museumsinsel gehören.

Solche Bescheidenheit und Zurückhaltung ehrt einen Mäzen natürlich, macht ihn sympathisch. Aber wir sollten James Simon trotzdem öffentlich Dankbarkeit zeigen und seine Verdienste nicht in Vergessenheit geraten lassen.

Denn sonst würden wir nicht nur ihm Unrecht tun. Wir würden auch, ohne es zu wollen, das Werk der Nationalsozialisten vollenden, die nach 1933 alles daransetzten, die Spuren der Erinnerung an jüdische Mäzene und Kulturschaffende zu tilgen, ihre Leistungen aus dem Bewusstsein der Nachwelt zu löschen und den Bürgersinn, für den sie standen, nachhaltig zu zerstören.

Und es gibt einen weiteren Grund, weshalb wir die Erinnerung an James Simon wach und lebendig halten sollten: Ich glaube, dass sein Vorbild auch heute noch viele Bürgerinnen und Bürger ermutigen kann, sich mit eigenen Ideen und auf ihre Weise für das Gemeinwohl zu engagieren, ganz unabhängig davon, wie groß finanzielle Möglichkeiten sind.

Auch deshalb danke ich Ihnen und Ihrer Stiftung, dass Sie in den vergangenen Jahren so viel dazu beigetragen haben, James Simon der Vergessenheit wieder zu entreißen. Und ich freue mich, dass die Erinnerung an ihn hier auf der Museumsinsel nun einen schönen, würdigen und angemessenen Platz finden wird. In der James-Simon-Galerie lebt der Geist ihres Namenspatrons fort, und ich wünsche mir, dass seine Humanität und seine Hilfsbereitschaft vielen Menschen in unserem Land Beispiel und Ansporn sind.

James Simon war ein liberaler Patriot, einer, der schon im Kaiserreich für den Aufbruch in die Moderne stand. Er war überzeugt, dass persönlicher Reichtum zu gesellschaftlichem Engagement verpflichtet, und er beherrschte in einzigartiger Weise die Kunst des sinnvollen Gebens, wie sein Biograf Olaf Matthes geschrieben hat.

Simon schenkte den Museen dieser Stadt unermessliche kulturelle Schätze, aber er begründete eben auch die ersten Volksbadeanstalten, half kranken und armen Großstadtkindern, setzte sich für die Bildung breiter Schichten ein oder unterstützte jüdische Einwanderer aus Osteuropa. Und er kümmerte sich auch dann noch um andere, als seine Baumwollfirma nach dem Ersten Weltkrieg in ernste wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet.

Lieber Herr Dräger, ich könnte mir vorstellen, dass es sich auch ein bisschen wie eine Bürde anfühlt, mit einem Preis ausgezeichnet zu werden, der den Namen dieses Mannes trägt. Aber wenn man genauer hinschaut, dann sind Sie gewissermaßen der ideale Preisträger, denn Sie haben mehr mit James Simon gemeinsam, als man auf den ersten Blick vermuten würde.

Sie wurden wie er in Berlin geboren und verbrachten hier die ersten Jahre Ihrer Kindheit. Später, als Unternehmer und Mäzen, haben Sie dann eine ähnlich enge Bindung zu Ihrer Heimatstadt Lübeck entwickelt wie James Simon damals zu Berlin.

Sie beide, und das ist eine weitere Gemeinsamkeit, sind nicht als Erben geboren, sondern haben mit einer ordentlichen Ausbildung Ihre berufliche Laufbahn begonnen – James Simon in der Textilfirma seines Onkels und Vaters, Sie als Feinmechaniker –, erst später sind Sie dann in die Unternehmen Ihrer Familien eingetreten und ihre Chefs geworden.

Beide waren Sie erfolgreiche Unternehmer, die in der Kunst eine Gegenwelt zur beruflichen Arbeit sahen – als Spaziergänge der Augen haben Sie das selbst einmal beschrieben, lieber Herr Dräger. Und beide waren Sie begeisterte Sammler, wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Beide hatten Sie auch einen Lehrmeister und Förderer, der Sie in die Kunst des Sehens einführte, und so könnte man grob sagen: Was Wilhelm von Bode für James Simon war, das war Ihr Onkel Wolf Stubbe für Sie.

Wie James Simon haben Sie Ihre Sammlungen an die Museen Ihrer Heimatstadt verschenkt – nicht zuletzt, weil Sie andere an Ihrer Begeisterung teilhaben lassen wollen, weil Sie nicht nur überzeugt sind, dass Kunst und Kultur einen Wert für Gesellschaft haben, sondern wissen, dass Leben und Zusammenleben nicht in materiellen Gütern allein aufgeht. Und wie der Namenspatron des Preises, mit dem Sie heute geehrt werden, haben Sie sich immer wieder mit leisen Tönen, aber großem persönlichen Einsatz für kulturelle und soziale Projekte engagiert – als Privatmann, aber auch als Vorsitzender der Dräger-Stiftung und des Diakonischen Werks.

Ob es nun um die Gründung eines Spendenparlaments ging oder darum, Menschen in Not zu unterstützen und Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten: Weggefährten, die Sie besser kennen als ich, haben Sie immer wieder als einen Mann beschrieben, der sich nicht in den Vordergrund drängt, der Zeit seines Lebens Menschenfreund war und geblieben ist. Das schönste Zitat stammt von einem Lübecker Journalisten, der einmal über Christian Dräger geschrieben hat:

Seine freundliche Zurückhaltung lässt Beschenkte und Unterstützte dankbar, aber nicht devot zurück.

Lieber Herr Dräger, bevor gleich Professor Stimmann die Würdigung Ihrer künstlerischen Sammlung und Ihres jahrzehntelangen Mäzenatentums vornimmt, will ich Ihnen danken.

Sie stehen stellvertretend für die Menschen in unserem Land, die – anders leider als viele andere – ihr Vermögen sinnvoll für das Gemeinwohl einsetzen, mit großer Leidenschaft und mit vielen guten Ideen. Die Beteiligung Ihrer Mitarbeiter am Erfolg des Unternehmens gehörte schon ganz früh zu diesen guten Ideen. Und deshalb ist es überhaupt keine Bürde für mich, Ihnen heute persönlich und als Bundespräsident danke zu sagen – für Ihre Verdienste um das kulturelle Erbe Ihrer Heimatstadt Lübeck, um die Kunst überhaupt, und genauso für Ihr großes und großartiges bürgerschaftliches Engagement.

Herzlichen Dank und herzlichen Glückwunsch!