Wer sich für Berufsbezeichnungen interessiert, der findet unter den Angaben zur Beschäftigung von Dieter Kosslick wahlweise: Medienmanager oder Kulturmanager. Und, selbstverständlich: Festivalleiter, was als Oberbegriff der beiden erstgenannten Tätigkeiten dienen könnte und die Aufgaben Logistik, Filmauswahl, Sponsorensuche, Filmmarktorganisation, Publikumsbespaßung, Teppichpflege und Starhuldigung umfasst.
Kurz, eine gottgleiche Funktion, von deren Inhaber verlangt wird, alle Fäden in der Hand und alle Bälle in der Luft zu halten. Dieter Kosslick verlieh ihr noch eine ganz eigene Note: Er tat all das in den vergangenen 18 Jahren mit so viel Geschick, Leidenschaft und guter Laune, dass man schon heute sagen kann: Wir werden ihn grenzenlos vermissen! Aber nicht nur wir.
Wer einen Eindruck bekommen will von Dieter Kosslicks Humor, seinem Selbstverständnis und seinem Charme, der sollte wissen, was er selbst zum Ende seiner letzten Berlinale in diesem Jahr darauf erwiderte:
I will miss myself, too!
Alle Tätigkeitsbereiche eines Festivalleiters zusammengenommen setzen ein Talent zwingend voraus: die Gabe, mit anderen kommunizieren zu können, nicht nur digital, per E-Mail oder Twitter, sondern analog. Von Angesicht zu Angesicht. Wer sie besitzt, ist eigentlich schon ein Multitalent. Er kann sprechen und schweigen – und beides zur richtigen Zeit. Er kann Menschen für sich einnehmen, sie überzeugen, bezaubern oder begeistern. Und er muss mitunter klären, beschwichtigen und besänftigen können.
Dieter Kosslick kann all das. Weggefährten, Freunde, Bewunderer und Kritiker Kosslicks sind sich in einem einig: Er ist – nein, nicht nur ein großer Kommunikator, er ist ein Verführer. Auf die Frage, ob das immer schon so war oder ob es auch einen anderen Dieter Kosslick gibt, einen, der den Charmeur nachdenklich und von der Seite beobachtet, erzählte er der Fotografin Herlinde Koelbl einmal eine Geschichte, die so auch eine Filmvorlage sein könnte. Sie erzählt von dem Schlüsselkind, das nach dem Tod des Vaters von der Mutter allein erzogen wird und seine Tage in einer Bäckerei unter Aufsicht der Bäckerin verbringt – wie er selbst sagt: selbstversunken
und bis zu seinem achten Lebensjahr extrem schweigsam
. Das muss man glauben.
Die Bäckerin hatte ein gutes Auge und besaß Menschenkenntnis. Die Zeit, die Dieter Kosslick in ihrer Obhut verbrachte, war jedenfalls prägend. Sie überzeugte seine Mutter davon, ihn aufs Gymnasium zu schicken, und Dieter Kosslick davon, sich auf Frauen zu verlassen. Sie seien effizienter und zielorientierter
.
Dass aus dem schweigsamen Kind ein so einnehmender Menschenfreund wurde, das ist jedenfalls keine Selbstverständlichkeit, und wir wollen keine einzige der Brezeln missen, mit denen die Bäckerin Dieter Kosslick aus der Backstube in die Welt hinauslockte.
Denn wir verdanken seinem Talent ein Filmfestival, das nicht nur seit Jahren neben denen in Cannes und Venedig bestehen kann, sondern unter seiner Führung auch zum größten Publikumsfestival Europas geworden ist. Für Berlin ist die Berlinale unter Dieter Kosslick nicht nur zu einem Publikumsmagneten, sondern, auch das darf man sagen, zu einem Wirtschaftsfaktor geworden.
Die Berliner und mit ihnen jedes Jahr tausende internationale Gäste lieben die Berlinale. Und ich denke, sie wissen sehr genau, wem sie dieses Filmfest zu verdanken haben. Ein guter Kommunikator zu sein, ist für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens eben keine Nebensächlichkeit. Denn in der Regel verstehen es emphatische Menschen, nicht nur aus persönlichen Begegnungen Funken zu schlagen, sie können auch Menschen zusammenbringen.
Dieter Kosslick ist, was man heute einen Netzwerker nennt. Er knüpft Verbindungen und stiftet Beziehungen an. Freunde sagen über ihn, er sei ein Netzwerker mit gutem Gedächtnis, einem Gespür für Menschen und einer Begabung für Begegnungen. Er müsse dazu nicht einmal selbst in Erscheinung treten. Freunde und Bekannte Kosslicks treffen andere Freunde oder Bekannte – und er ist selbst dann dabei, wenn er nicht anwesend ist: in Form einer Geste, einer Eintrittskarte vielleicht oder der Einladung zu einer Berlinale-Party.
Dass das kommunikative Talent Kosslicks unumstritten und er selbst unter seinen Kritikern beliebt ist, mag damit zu tun haben, dass er zu den wenigen in der Filmbranche gehört, die sich auch nach Jahren noch an Menschen erinnern, die sie einmal kannten, als sie George Clooney noch nicht kannten.
Wer Dieter Kosslick einmal begegnet ist, kann eine Geschichte über ihn erzählen, hat eine Anekdote oder ein Bonmot parat, irgendetwas, mit dem er sich einen Platz im Gedächtnis seines Gegenübers erobert hat. Ich zum Beispiel wüsste über eine gemeinsame Reise in den Iran zu berichten, über sein Engagement für den iranischen Film und über die Leidenschaft, mit der Dieter Kosslick sich dafür einsetzt, dass Politik und Kunst einander nicht im Weg stehen, sich aber auch nicht aus den Augen verlieren.
Die Berlinale unter seiner Leitung war ein politisches Festival. Das zu sagen, ist heikel. Denn was dem einen ein besonderes Qualitätsmerkmal ist, ist dem anderen ein ästhetischer Graus, und der Dritte hält die politischen Ambitionen Filmschaffender womöglich für naiv. Sicher ist nur, dass es entweder zu viel oder zu wenig vom einen oder vom anderen ist. Und weil wir in Berlin sind, wo das Gemecker zu einer eigenen Kunstform oder Kulturpraxis avanciert ist, begleitet dasselbe jeden Festivalleiter vom Tag seines Amtsantritts bis zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes.
Als Dieter Kosslick im Mai 2001 sein Amt als Direktor der Berlinale antrat, war sie ein bedeutendes internationales Festival. Der scheidende Leiter Moritz de Hadeln erklärte, er habe immer sein Bestes getan
, und ich denke, niemand hier im Raum wird mir widersprechen, wenn ich sage: Er hat sogar mehr als das getan. Ja, sagten auch die Kritiker, vielen Dank, Moritz. Um im selben Atemzug zu erklären, die Berlinale sei nun dringend veränderungsbedürftig.
Nichts anderes musste sich auch Dieter Kosslick zum Ende seiner Amtszeit anhören – in Gestalt eines etwas verklemmt wirkenden offenen Briefs, von dem sich einige der Unterzeichner auch schnurstracks wieder distanzierten.
Veränderungsbedürftig ist alles und jeder – ja, selbst die Kritiker. Künftige Erfolge aber werden sich an denen Dieter Kosslicks messen lassen müssen. Auch der Publikumserfolg. Denn Publikum ist keine Beigabe. Die Kunst, Filmkunst zumal, setzt Publikum voraus.
Lieber Dieter Kosslick, nachdem wir das festgestellt haben, lassen Sie mich Ihnen versichern: Wann immer Sie Sehnsucht nach einem roten Teppich haben sollten – das Schloss Bellevue ist bereit, seinen für Sie auszurollen.