Gemeinschaftskonzert des 6. Deutschen Musikfestes

Schwerpunktthema: Rede

Osnabrück, , 2. Juni 2019

Der Bundespräsident hat in seiner Ansprache zum Abschluss des 6. Deutschen Musikfestes am 2. Juni in Osnabrück den Beitrag von Musikvereinen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt und zur Verständigung hervorgehoben: "Ich glaube, in einer Zeit, in der der Ton in unserer Gesellschaft rauer und schriller wird, in der es mancherorts zu Dissonanzen kommt und nicht wenige sich vom demokratischen Zusammenspiel zurückziehen, in einer solchen Zeit ist es gut und wichtig, sich an diese Tugenden der Orchestermusik zu erinnern!"

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der Ansprache beim Gemeinschaftskonzert des 6. Deutschen Musikfestes in Osnabrück.

Sie hätten es natürlich auch ohne Ankündigung gewusst: Was wir eben gehört haben, war das Vorspiel aus dem Te Deum von Marc-Antoine Charpentier, die meisten kennen es besser als Eurovisions-Fanfare, und vielleicht hätten manche von Ihnen deshalb jetzt eher Thomas Gottschalk hier auf der Bühne erwartet – oder vielleicht auch Barbara Schöneberger mit der offiziellen Punktewertung für den Gastgeber des Deutschen Musikfests: Osnabrück, douze points! Twelve points for Osnabrück!

Die Höchstwertung, die haben Sie sich redlich verdient, finde ich. Sie alle zusammen, Tausende Musiker und Zehntausende Musikbegeisterte aus ganz Deutschland, haben diese Stadt in einen Superstar der Musik verwandelt. Ich freue mich, dass ich Ihr Gemeinschaftskonzert heute Nachmittag hier auf dem wunderschönen Domvorplatz miterleben kann. Ganz herzlichen Dank für den beschwingten Empfang, und vor allen Dingen: Herzlichen Dank im Namen von allen, die hier versammelt sind, für die wunderbaren Klänge!

Wenn ich Sie alle hier mit Ihren wunderbaren Instrumenten sehe, dann macht mich das, ehrlich gesagt, auch ein bisschen neidisch – denn meine frühen Versuche an der Blockflöte sind leider keiner Erwähnung wert. Die Familienehre musste immer mein Bruder retten: anfangs mit der Posaune im Kirchenchor, jetzt seit einigen Jahren mit seiner Pipes-and-Drums-Band in meiner lippischen Heimat, nicht weit weg von hier!

Klang. Vielfalt. Leben – viel mehr muss man eigentlich nicht sagen zum Deutschen Musikfest. Konzerte von Klassik bis Pop, Wettbewerbe von Bläsern, Spielleuten und Marschmusikern, all das hat die unterschiedlichsten Menschen vier Tage lang bewegt und in Bewegung gebracht. Sie sind sich auf Bühnen, Straßen und Plätzen dieser Stadt begegnet, haben zusammen musiziert, gefeiert, gefachsimpelt und über Gott und die Welt geredet.

Dieses Volksfest führt uns die Kraft der Musik vor Augen und vor Ohren, und zwar buchstäblich mit Pauken und Trompeten. Es zeigt, wie viel Musik bewirken kann, für den Einzelnen, aber auch für die Gemeinschaft und die Gesellschaft als Ganze.

Musik, das wissen Sie, spricht Kopf, Herz und Bauch an. Sie kann uns trösten, sie kann auch inspirieren, gerade auch da, wo wir mit Worten nicht mehr weiterkommen. Sie weckt Erinnerungen, kann gute Laune machen, kann zur Heimat werden. Und wohl jede und jeder von uns verbindet mit einer bestimmten Melodie eine besondere Lebensphase, ein ganz eigenes Lebensgefühl in Dur oder in Moll.

Ich erinnere mich bis heute an meine allererste Langspielplatte und die Stimmung, die sie damals transportierte. Das ist ganz lange her, die meisten hier auf dem Platz kennen das nicht mehr: Let it bleed von den Rolling Stones aus dem Jahre 1969. Wilde Musik in wilden Zeiten! Und solche Art von Erinnerungen hat vermutlich jeder von Ihnen, Erinnerungen an glückliche und auch weniger glückliche Momente des eigenen Lebens.

Aber Bedeutung hat Musik eben nicht nur für jeden Einzelnen ganz individuell. Wie groß die Bedeutung der Musik in unserer Gesellschaft ist, das sieht und hört man hier auf dem Platz, aber das zeigt auch eine Zahl: Allein in den Verbänden und Vereinen, die der Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände angehören, musizieren mehr als 1,3 Millionen Menschen in rund 18.000 Blas- und Spielleuteensembles.

Die Liebe zur Musik bringt in den Vereinen Jung und Alt, Handwerker und Akademiker, Alteingesessene und Zugezogene zusammen. Und sie alle, das ist das Schöne, können ihre Emotionen, ihre Interessen, ihr Talent und ihr Können einbringen. Wer gemeinsam mit anderen musiziert, der lernt schnell, wie bunt unsere Welt klingt. Und der weiß: Musik hilft, soziale und kulturelle Grenzen zu überwinden, sie lässt uns spüren, was uns als Menschen miteinander verbindet.

Meine Damen und Herren, Ihre Musikvereine tragen zum Zusammenhalt und zur Verständigung bei, und sie tun das in Großstädten ebenso wie auf dem Land, nicht nur bei Laternenumzügen und beim Schützenfest, sondern das ganze Jahr über, auf Straßen und Plätzen, in Hallen, Gemeindehäusern und manchmal auch in Kirchen. Sie helfen auch, traditionelles Liedgut zu pflegen und zu verbreiten. Manche bewahren das Kulturerbe ihrer Region, andere entdecken musikalisch die Welt. Sie alle sorgen dafür, dass Deutschland auch in Zukunft ein Land der Musik sein wird, in dem viele Menschen eine Heimat finden. Auch das hat dieses Musikfest eindrucksvoll gezeigt, hier in Osnabrück. Herzlichen Dank auch dafür!

All das ist nur möglich dank der vielen Frauen und Männer, die sich ehrenamtlich in den Vereinen engagieren und Verantwortung übernehmen, als Kapellmeisterin oder Instrumentenwart, als Vorsitzende oder Schriftführer. Ich danke allen, die sich in ihrem Dorf, ihrer Gemeinde, ihrem Stadtviertel für die Musik und für das kulturelle Leben dort einsetzen, die sich um mehr kümmern als nur um sich selbst – und die dafür oft viel Zeit und Energie opfern. Und ich danke Ihnen nicht etwa, weil das zum guten Ton gehört, sondern weil es von Herzen kommt. Herzlichen Dank für Ihren großartigen Einsatz!

Meine Damen und Herren, Sie alle hier, die in ganz verschiedenen Formationen gemeinsam musizieren, Sie alle wissen: Auf das Zusammenspiel kommt es an, darauf, einander zuzuhören, einen gemeinsamen Rhythmus zu finden, unterschiedliche Stimmen und Klangfarben zu einem harmonischen Ganzen zu vereinen. Und Sie wissen, dass dabei niemand vorpreschen, aber auch keiner zurückbleiben darf – und dass auch der beste Solist von der Gesamtheit getragen wird und getragen werden muss.

Sie alle wissen auch, dass man das Zusammenspiel gemeinsam einüben muss, dass es einen Proberaum braucht, in dem auch mal über Repertoire, Tempo oder Betonung gestritten werden kann, dass es das Ensemble jedenfalls nicht viel weiterbringt, wenn jeder nur für sich allein im lauten Kämmerlein vor sich hin trötet und trommelt.

Ich glaube, in einer Zeit, in der der Ton in unserer Gesellschaft rauer und schriller wird, in der es mancherorts zu Dissonanzen kommt und nicht wenige sich vom demokratischen Zusammenspiel zurückziehen, in einer solchen Zeit ist es gut und wichtig, sich an diese Tugenden der Orchestermusik zu erinnern!

Der Ton macht die Musik, das gilt in Ihren Ensembles und Vereinen, aber das gilt auch in der ganzen Gesellschaft. Und ich bin mir sicher: Das Deutsche Musikfest hier in der Friedensstadt Osnabrück hat zu einem guten Miteinander beigetragen. Und ich bin ebenso sicher: Das wird hier und in der gesamten Region nachwirken! Deshalb wünsche ich mir und uns allen: Bewahren Sie sich Ihre Leidenschaft fürs Musizieren, bewahren Sie sich Ihre Freude an der Musik, und stecken Sie ganz viele andere damit an!

Herzlichen Dank!