Verleihung des Deutschen Umweltpreises 2019

Schwerpunktthema: Rede

Mannheim, , 27. Oktober 2019

Bundespräsident Steinmeier hat am 27. Oktober in Mannheim bei der Verleihung des Deutschen Umweltpreises an Ingrid Kögel-Knabner und Reinhard Schneider eine Rede gehalten: "Wir sind in der Debatte um den Klimawandel gerade an einem ganz entscheidenden Punkt angelangt. Es geht um das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit unserer Demokratie. Ich warne davor, dass wir die Möglichkeiten der Demokratie kleinerreden, je größer, ja apokalyptischer wir die Herausforderung beschreiben."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Ansprache bei der Verleihung des Deutschen Umweltpreises in Mannheim.

Es braucht Vorreiter, Helden und Heldinnen, für die Bewahrung der Natur.

So gesagt, liebe Frau Boetius, von einer Umweltpreisträgerin aus dem vergangenen Jahr. Ja, dieser Umweltpreis ehrt Vorbilder, Heldinnen und Helden. Er zeichnet Menschen aus, die Mut machen, weil sie Lösungen aufzeigen. Menschen, die die ökologische Transformation als Chance für unser Land begreifen. Die als Tüftler und Ingenieure, als Wissenschaftlerinnen oder Unternehmer neue Wege gehen.

Auch in diesem Jahr sind es wieder zwei herausragende Persönlichkeiten, die dieser Preis ehren will, und deswegen das Wichtigste gleich zu Beginn, liebe Frau Kögel-Knabner, lieber Herr Schneider: meinen und unser aller herzlichen Glückwunsch!

Jedes Jahr bin ich schon im Vorfeld gespannt und neugierig auf die bahnbrechenden Ideen der Ausgezeichneten. Und jedes Jahr komme ich gern zu dieser feierlichen Veranstaltung.

Same procedure as every year, könnte man also sagen. Aber in diesem Jahr ist doch etwas anders. Wohl selten zuvor hat der Schutz von Umwelt, Klima und Artenvielfalt unsere ganze Gesellschaft so sehr bewegt und umgetrieben wie in dieser Zeit – auf Straßen und auf Plätzen, in Zeitungen und Parlamenten, bis hin an die Abendbrottische. Das ist der Dringlichkeit der aktuellen Herausforderungen geschuldet, ja, aber das verdanken wir vor allem den hunderttausenden jungen Menschen, die Freitag um Freitag für ihre politischen Forderungen auf die Straße gehen.

Dieses zivilgesellschaftliche Engagement verdient unsere Anerkennung. Aber mehr noch: Dieses Engagement hat schon heute Entscheidendes bewirkt. Denn auch wenn die politische Aushandlung des sogenannten Klimapakets jetzt noch mitten im Gange ist, die jungen Menschen haben der Klima- und Umweltpolitik weltweit einen gewaltigen Schub versetzt. Und sie haben insbesondere uns in Deutschland daran erinnert, welcher Elan, welcher Ehrgeiz in diesem Land stecken kann, welche gesellschaftlichen und technologischen Kräfte wir doch gerade beim Thema Umwelt und Klima über Jahre hinweg aufgebaut haben. Aber auch, welchen Beitrag Deutschland der Welt schuldet.

Die jungen Menschen haben uns daran erinnert, zu welchen ambitionierten Zielen sich die Staatengemeinschaft völkerrechtlich verpflichtet hat – Ziele, für die Deutschland an vorderster Stelle gekämpft hat. Und deshalb sagen die jungen Leute ganz zu Recht: Jetzt zählt der Mut und der politische Wille, die gesteckten Ziele auch wirklich zu erreichen – daran muss Klimapolitik sich messen lassen!

Die jungen Menschen haben ein neues, ein großes Bewusstsein für die Notwendigkeit geschaffen, politische Antworten auf den Klimawandel zu finden. Ich würde sagen, kaum eine soziale Bewegung der letzten Jahrzehnte hat es so schnell vermocht, die öffentliche Wahrnehmung für sich zu gewinnen und auch zu ändern.

Diese öffentliche Aufmerksamkeit schafft jetzt Gestaltungsräume, an die vielleicht die politischen Parteien vor Monaten selbst noch nicht geglaubt hatten. Diese Spielräume gilt es zu nutzen. Das zu erkennen ist Aufgabe der politischen Akteure, die jetzt Verantwortung tragen. Missverständnisse müssen gleichwohl vermieden werden. Denn auch wenn sich der archimedische Punkt der gesellschaftlichen Debatte verschoben hat, bleibt das Ringen um die besten Lösungen weiter erforderlich, ja es gehört untrennbar mit der Demokratie zusammen.

Natürlich habe ich die unterschiedlichsten kritischen Stimmen zum sogenannten Klimapaket vernommen. Als Bundespräsident ist es nicht meine Aufgabe, das eine oder andere Detail zu bewerten. Und es geht mir auch nicht darum, der einen oder der anderen Seite beizuspringen. Sondern mein Anliegen ist, dass aus der Enttäuschung über das Noch-nicht-Erreichte keine Entfremdung von der Demokratie wird.

Ich glaube, wir sind in der Debatte um den Klimawandel gerade an einem ganz entscheidenden Punkt angelangt. Es geht um das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit unserer Demokratie.

Ich warne davor, dass wir die Möglichkeiten der Demokratie kleinerreden, je größer, ja apokalyptischer wir die Herausforderung beschreiben. Und vor allem warne ich davor, in dieser Debatte die einen gegen die anderen auszuspielen: die Leidenschaft und Entschiedenheit der jungen Menschen auf der Straße gegen die vermeintliche Nüchternheit und Behäbigkeit des politischen Verfahrens.

Im demokratischen Prozess, der jetzt in eine entscheidende Aushandlungsphase eintritt, braucht es Leidenschaft und Entschiedenheit ebenso wie Dialogbereitschaft und Vernunft. Und als Demokratinnen und Demokraten müssen wir eben auch beides sein, radikal verständigungsbereit und leidenschaftlich vernünftig.

Ich glaube zutiefst an die Handlungsfähigkeit der Demokratie, weil sie die einzige politische Ordnung ist, die die Möglichkeit zur Selbstkorrektur miteingebaut hat. Diese Demokratie hat in ihrer Geschichte oft genug gezeigt, dass sie nicht starr ist, dass sie an ihren Aufgaben wachsen kann. Und wachsen muss sie auch im Angesicht dieser Herausforderung und mit ihr diejenigen, die Verantwortung tragen.

Aber denen, die jetzt an der Demokratie Zweifel säen, will ich entgegenrufen: Welche andere Staatsform trägt in sich überhaupt eine solche Kraft zur Erneuerung? Kein Einzelkämpfer, kein Autokrat, kein selbsternannter starker Mann wird diese Stärke der Demokratie je aufbringen können!

Und auch das: Kein Kabinett von Experten und Wissenschaftlern, selbst kein Kabinett von Klimaforschern könnte uns – bei allen unumstößlichen Erkenntnissen – die Zielkonflikte, die schmerzhaften Abwägungen und Aushandlungen abnehmen, die jetzt anstehen.

Natürlich, wir brauchen eine ökologische Transformation, die den Erkenntnissen der Klimawissenschaft gerecht wird. Aber wie bei jedem tiefgreifenden Strukturwandel – denken Sie an die Kohleregionen – gibt es Menschen, die von diesem Wandel besonders stark betroffen sind. Menschen, die Sorge haben, ihre eigenen Arbeitsplätze zu verlieren. Und die in Regionen wohnen, in denen sie befürchten müssen, dass auch ihre Kinder dort keine Arbeit mehr finden. Auch hier möchte ich nicht missverstanden werden: Das darf ausdrücklich kein Vorwand sein, die notwendigen Maßnahmen zum Klimaschutz zu unterlassen. Aber wir dürfen diese Sorgen auch nicht einfach überheblich ignorieren.

Gemeinsam muss es uns gelingen, dass aus Umwelt- und Klimaschutz keine polarisierende Identitätspolitik wird, keine Spaltung zwischen den Arbeitnehmern der Autoindustrie und den Blockierern von Straßen, zwischen Landwirten und Naturschützern, zwischen denen, die es sich leisten können, und denen, die jeden Euro zweimal umdrehen müssen.

Denn Klimaschutz ist eine große ökologische, aber auch eine soziale Aufgabe. Anders gesagt: Klimapolitik ist umso wirksamer, je mehr Menschen wir auf den Weg mitnehmen. Und deshalb lassen Sie uns möglichst viele vom Mitmachen überzeugen!

Dafür brauchen wir Vorbilder. Die Preisträgerinnen und Preisträger des Umweltpreises sind solche Vorbilder, die vom Mitmachen überzeugen können.

Vorbilder etwa für zukünftige Forschergenerationen, so wie Sie es sind, liebe Frau Kögel-Knabner. Sie haben den Lehrstuhl für Bodenkunde an der TU München inne. Mit Ihrer Forschung zur Bildung und Zusammensetzung der organischen Substanz in den Böden haben Sie die Grenzen etablierten Wissens verschoben. Ihre Forschung ist gewissermaßen ebenso bodenständig wie herausragend.

Dank Ihnen verstehen wir besser, wie der globale Kohlenstoffkreislauf funktioniert. Und so fügt sich das Puzzleteil der Bodennutzung in ein größeres Bild, das globale Klima nämlich und dessen alarmierender Wandel.

Dieses Puzzle hat unzählbar viele Teile, ist ungeheuer komplex und zugleich von größter Bedeutung. Und wir wissen: Für den beobachteten Wandel trägt der Mensch die Verantwortung.

Nicht nur die Abgase aus den Auspuffrohren unserer Autos und den Schloten unserer Fabriken und Kraftwerke sind Verursacher des Klimawandels, sondern auch unser Umgang mit unseren Böden als große Kohlenstoffsenken unseres Planeten.

Alles ist Wechselwirkung, schrieb einst Alexander von Humboldt. Er warnte als erster vor den unkalkulierbaren Folgen von Umwelteingriffen, weil diese – einer Reihe fallender Dominosteine gleich – eine ökologische Kettenreaktion auslösen können.

Je nachdem, wie wir Böden nutzen, befeuern oder bremsen wir den Klimawandel. In den Ländern des globalen Südens – Länder, die übrigens am wenigsten für den menschengemachten Klimawandel können – beobachten wir diese Wechselwirkungen schon heute in dramatischer Weise: monatelange Dürren, sintflutartige Überschwemmungen, zerstörerische Stürme. Auch wir in Europa merken, dass Hitzesommer zunehmen.

Die Bodenkunde kann den Menschen dabei helfen, ihren Ackerbau diesen Wetterextremen anzupassen. Deswegen ist Ihre Forschung, Frau Kögel-Knabner, so wichtig. Die offizielle Ehrung auf der Bühne gibt es zwar erst später, meinen herzlichen Dank und einen großen Applaus schon jetzt. Herzlichen Glückwunsch!

Als Archimedes von Syrakus die Gesetzmäßigkeit des Auftriebs entdeckt hatte, soll er der Legende nach aus der Badewanne gesprungen und HeurekaIch hab‘s – rufend durch die Stadt gerannt sein.

Reinhard Schneider stellt zwar auch Duschgels her, aber ich weiß nicht, ob er jemals aus der Badewanne gesprungen ist. Fest steht: Er hat als Unternehmer wahre Pionierleistungen erbracht. Denn vermutlich war das Wort Nachhaltigkeitsmanagement in der Putz- und Reinigungsmittelbranche noch nicht bekannt, als Reinhard Schneider sich bereits diesem Ziel verschrieben hatte.

Wer ihn noch nicht kennt: Dieser Mann hat sein Unternehmen, seine Produktion und seine Produkte voll auf Nachhaltigkeit getrimmt. Nachhaltigkeit bedeutet für Sie, lieber Herr Schneider: keine Palmöle, eine hohe Abbaurate der Tenside und Verpackungen aus recyceltem Plastik.

In diesem Saal sind die Gefahren der globalen Plastikflut vermutlich bestens bekannt. Im vergangenen Jahr haben wir beim Umweltpreis gehört, dass bis zum Jahr 2050, wenn wir nichts Entscheidendes tun, mehr Plastik als Fische in den Ozeanen schwimmen könnte. Sie alle kennen die Bilder von treibenden Müllhalden in den Weltmeeren, von an Trinkhalmen verendeten Schildkröten.

Unser blauer Planet ist bedroht, und Sie, lieber Herr Schneider, wollten etwas dagegen tun. In einem Zeitungsporträt beschreibt der Journalist, wie Sie an Ihrem Bürofenster stehen, auf einen Schornstein in der Nähe zeigen und sagen: Da pustet die Müllverbrennungsanlage wieder einiges in die Luft, weil alle anderen zu bequem waren, das Plastik zu recyceln.

Ich finde, diese Geschichte illustriert zweierlei. Erstens die Verantwortung der Verbraucherinnen und Verbraucher. Niemand kann mit seinem Kauf-, Konsum- und Recyclingverhalten alleine die Welt retten. Aber wenn mehr Leute im Supermarktregal genauer hinschauen, dann steigt der Druck auf die Hersteller, umweltfreundlicher zu wirtschaften.

Das entlässt, zweitens, nicht die Politik aus der Verantwortung. Der Staat hat einen ordnungspolitischen Auftrag, dort einzugreifen, wo der Markt nicht ausreichend oder gar nicht für Umwelt- und Klimaschutz sorgt.

Dabei können verschiedene Instrumente ineinandergreifen. Dazu gehört Transparenz, etwa Verbraucherschutz durch Gütesiegel. Dazu gehören Preise, die die wahren Kosten für die Umwelt widerspiegeln. Und dazu gehören, wo nötig, auch Verbote, so wie das Verbot von FCKW vermutlich den entscheidenden Beitrag geleistet hat, die Ozonschicht zu retten.

Ich wünsche mir eine sachliche Debatte über die jeweiligen Vor- und Nachteile. Womit erreichen wir am besten unsere Ziele? Vor welchen Zielkonflikten stehen wir? Was sind Kosten des Handelns, was die des Nichtstuns?

Sie, lieber Herr Schneider, erhalten den Umweltpreis, weil Sie als verantwortungsvoller Unternehmer gehandelt haben, bevor viele andere erst tätig wurden. Und weil Sie gezeigt haben, dass umweltbewusstes und unternehmerisches Handeln kein Widerspruch sind – Sie haben daraus Ihr Erfolgsrezept gemacht. Auch dafür gratulieren wir Ihnen sehr herzlich!

Viele von Ihnen kennen den Kultfilm Und täglich grüßt das Murmeltier. Da wacht Bill Murray jeden Tag wieder am selben Morgen auf – das Leben als Endlosschleife. Das heißt, jeden Tag kann Murrays Figur aus ihren Fehlern lernen, diese bei der nächsten Wiederholung ungeschehen machen. Er fängt immer in Unschuld von vorne an.

Diesen Luxus haben wir nicht. Alles ist Wechselwirkung. Was wir einmal angestoßen haben, wirkt weiter. Dort wo Wälder gerodet werden, erodiert der Boden. Dort wo der Boden erodiert, verschwindet Biodiversität. Dort wo Biodiversität verschwindet, gefährden wir unsere Lebensgrundlagen.

Aber anders als Bill Murray sind wir nicht in der ewigen Gegenwart gefangen. Nein, Alles ist Wechselwirkung bedeutet umgekehrt auch: Wir können mit mutigen Entscheidungen heute positive Wechselwirkungen für morgen auslösen.

Die Plastikflasche, die heute recycelt wird, landet morgen nicht in den Weltmeeren. Sie kommt übermorgen wieder in den Rohstoffkreislauf. Der Boden, der heute vor der Erosion geschützt wird, bindet Kohlenstoff. Und er kann damit auch morgen noch als Ackerland Menschen ernähren.

Die Zukunft ist nicht vorbestimmt. Es liegt an uns, was wir aus ihr machen. Daran, an unsere Forschungs- und an unsere Gestaltungskraft, erinnert Jahr für Jahr der Deutsche Umweltpreis. Und dafür danken wir der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, und dafür, liebe Frau Kögel-Knabner und lieber Herr Schneider, ehren wir Sie heute.

Herzlichen Dank!