Gewiss ist nur eines: Genau heute vor 249 Jahren, am 17. Dezember 1770, wurde Ludwig van Beethoven in Bonn am Rhein getauft. Aus den damaligen Gebräuchen ist zu schließen, dass er irgendwann in den Tagen davor geboren worden sein muss, im kommenden Winter also sein zweihundertfünfzigster Geburtstag gefeiert wird. Und wie es sich für einen ganz Großen gehört, eben nicht an einem einzigen Tag, sondern das kommende Jahr steht im Zeichen Beethovens. Und ebenso selbstverständlich wie gerne habe ich über dieses Beethovenjahr und seine schon in der schieren Menge kaum überschaubare Zahl von Veranstaltungen die Schirmherrschaft übernommen.
Und wir wollen heute Abend gemeinsam mit Ihnen schon am Beginn dieses Beethovenjahres ein möglichst gutes Beispiel geben. Die Organisatoren des Beethovenjahres haben nämlich dazu aufgerufen, neben den öffentlichen Veranstaltungen an möglichst vielen Orten, in möglichst vielen Häusern und Wohnungen Hauskonzerte zu veranstalten. Also eine Form des privaten Musizierens und Musikhörens, die zu Beethovens Zeit in voller Blüte stand, wieder zu beleben. Viele Kompositionen Beethovens, der ja auch ein Meister der Kammermusik war, kommen vielleicht sogar im kleineren Rahmen mit einer aufmerksamen und hörbereiten kleinen Zuhörerschaft besser zur Geltung als im großen Konzert.
Heute Abend also Hauskonzert im Schloss – und eben nicht nur hier im Großen Saal, der, wie Sie sehen, gar nicht so groß ist, sondern auch in anderen Räumen; ein Wandelkonzert, das unmittelbare Nähe zu den Musikerinnen und Musikern ermöglicht und so, wie ich hoffe, der Idee des Hauskonzertes nahekommt.
Beethoven in allen Räumen, das könnte ja auch ein Motto für das kommende Jahr sein. Wie immer bei solchen Jubiläen großer Künstler wäre zweierlei angemessen: eine neue Begegnung mit ihrem Werk und eine neue Freude an dem, was sie geschaffen und uns geschenkt haben; und eine reflektierte Erinnerung daran, welche – manchmal auch wechselnde – Bedeutung sie in Kultur und Geschichte unseres Landes hatten und immer noch haben.
Beethoven wird oft als Titan bezeichnet, als prometheischer Geist, der das Schicksal zwingen will. Und in der Tat, das Pathos des menschlichen Strebens nach Freiheit und des menschlichen Leids, des menschlichen Triumphs und des Triumphs der Menschlichkeit – alles das ist in Beethovens Musik unüberhörbar.
So war es fast eine Selbstverständlichkeit, dass vor wenigen Wochen, am 9. November bei der großen Feier zum Fall der Mauer, Daniel Barenboim Beethovens Fünfte Sinfonie dirigiert hat. In welcher Musik sonst hat all das Ausdruck bekommen, was uns an diesem Tag bewegt hat: Kampf und Sehnsucht, Zielstrebigkeit und Geduld und schließlich Freude und Jubel.
Vielleicht hat der eine oder andere auch daran gedacht – durch Filme und Dokumentationen werden wir ja gelegentlich daran erinnert –, dass im Krieg das akustische Erkennungszeichen für die Auslandssendungen der BBC drei kurze und ein langer Paukenschlag waren. Nicht nur das internationale Morsezeichen für V, also victory, sondern auch das weltbekannte Klopfmotiv des ersten Satzes eben der Fünften Sinfonie: wie ein Herzklopfen für die Freiheit.
Große Kunst wird gebraucht, aber sie kann auch missbraucht werden. Dass gerade Beethoven im sogenannten Dritten Reich zur Selbstdarstellung des Nationalsozialismus und zur Darstellung eines besonderen, überlegenen „deutschen Wesens“ missbraucht wurde, wissen wir – und das mahnt uns auch zur bleibenden guten Vorsicht vor übersteigertem oder unreflektiertem Pathos.
Gänzlich ungeeignet zum politischen Missbrauch sind die kammermusikalischen Werke Beethovens, sind seine oft so unendlich innigen Sonaten und Lieder. Wo die großen Werke die Kraft haben, viele Seelen und Herzen zu einem gemeinschaftlichen Erlebnis zu sammeln, so gehen die intimen Werke wohl vor allem den Einzelnen an. Sie führen uns zu uns selbst, sie lassen uns Innenräume in uns selber erspüren, manche sogar erst entdecken. Und wir können oft nur staunen darüber, welchen Seelenlandschaften hier ein Künstler Ton und Klang gegeben hat.
Ich hoffe, es gelingt uns heute Abend, die verschiedensten Seiten – das können Sie mit ei oder ai schreiben – Beethovens zum Klingen zu bringen – und zu eigenen Hausmusikabenden zu ermutigen.
Es musiziert für uns die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, die gleich zwei Dirigenten mitgebracht hat: ihren langjährigen künstlerischen Leiter Paavo Järvi und Jaakko Kuusisto. Ihnen und dem Orchester ein ganz herzliches Willkommen. Dieses Orchester ist insbesondere mit der Musik Beethovens sehr vertraut, international berühmt durch seine weltweiten Aufführungen und seine CD-Einspielungen der neun Sinfonien Beethovens. Fachleute sagen sogar, die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen hat Interpretationsgeschichte geschrieben. Das Orchester ist bekannt durch sein besonderes Engagement in der musikalischen Erziehung, auch von jungen Leuten, denen durch ihre Herkunft oder Bildungssituation die Welt der klassischen Musik eher fremd geblieben ist. Ein Ergebnis der Beschäftigung von jungen Leuten mit der Musik Beethovens sind die Beethoven Beats, die von Schülerinnen und Schülern der Gesamtschule Bremen-Ost entwickelt wurden und von ihnen performt werden. Auch darauf freuen wir uns heute Abend ganz besonders. Herzlich willkommen auch Ihnen.
Außerdem haben wir das Glück, den Bariton Äneas Humm gewonnen zu haben, der uns – am Flügel begleitet durch Renate Rohlfing – das für Beethoven so wichtige Genre des Liedes präsentieren wird. Schön, dass Sie beide da sind. Und es ist auch jemand da, der seit Wochen meinen CD-Spieler zuhause besetzt hält, der Pianist Iiro Rantala. Herzlich willkommen. Ich bin gerade bei seinem Finnischen Kalender unterwegs, aber er ist bekannt als Künstler für Jazz und für Klassik gleichermaßen. Er wird uns heute Abend gemeinsam mit der Kammerphilharmonie Best of Beethoven erleben lassen.
Nur wenige Monate vor Beethoven, im März 1770, wurde der Dichter Friedrich Hölderlin geboren, dessen 250. Geburtstag wir also im kommenden Jahr ebenfalls feiern. Beide haben die bewegte Zeit erlebt, die von dem Freiheitsversprechen der Französischen Revolution ausging. Politisch hat sich längst nicht alles erfüllt, was sie sich erhofft hatten. Aber am Traum von der Freiheit hielten beide ihr ganzes künstlerisches Leben lang fest. Im Jahre 1800 – beide wurden gerade dreißig, Beethoven komponierte seine ersten beiden Symphonien – schrieb Hölderlin vier Zeilen, die auch über Beethovens Werk stehen könnten:
Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,
Daß er, kräftig genährt, danken für Alles lern‘,
Und verstehe die Freiheit,
Aufzubrechen, wohin er will.
Ich wünsche uns allen einen schönen Abend!