Videobotschaft zur aktuellen Lage in der Corona-Pandemie

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 2. April 2020

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 2. April eine Videobotschaft zur aktuellen Lage in der Corona-Epidemie veröffentlicht: "Diese Krise weckt unsere tiefsten Ängste. Aber sie ruft auch das Beste in uns hervor! Daran, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, müssen wir uns jetzt halten! Ich habe in den vergangenen Tagen mit Menschen gesprochen, die genau das vorleben. Die Mut machen und Hilfe leisten."


Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

es sind bedrückende Tage, die wir gemeinsam durchleben.

Wenn wir morgens aufwachen, dann erkennen wir unsere Welt zwar wieder, aber sie scheint doch seltsam unwirklich. Die Fußgängerzone ist verwaist. Der Schulhof leer und still. Die Stammkneipe, der Lieblingsitaliener verrammelt. Die wenigen Fußgänger auf der Straße machen einen Bogen umeinander.

Manche von uns trifft die Krise schon heute besonders hart, durch Krankheit, durch Einsamkeit oder durch wirtschaftliche Sorgen. Viele andere erleben diese Tage eher als eine Art erzwungene Entschleunigung. Wir sind zur Ruhe aufgerufen und spüren doch eine innere Unruhe. Wir sollen Geduld haben und suchen doch ungeduldig nach Normalität. Wir sollen Abstand halten und sehnen uns doch nach Nähe.

Ja, diese Krise weckt unsere tiefsten Ängste. Aber sie ruft auch das Beste in uns hervor! Daran, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, müssen wir uns jetzt halten!

Ich habe in den vergangenen Tagen mit Menschen gesprochen, die genau das vorleben. Die Mut machen und Hilfe leisten: Der Medizinstudent Amandeep Grewal aus Reutlingen hat in Windeseile eine Online-Plattform geschaffen, die Medizinstudierende an Kliniken und Praxen vermittelt. Die Krankenhausangestellte Katrin Höhne näht zu Hause gemeinsam mit ihren drei Kindern Schutzmasken für ihre Klinik. Der Pianist Igor Levit streamt Abend für Abend beglückende Musik aus seinem Wohnzimmer in unsere Wohnzimmer. Heute Abend sendet er übrigens hier aus Schloss Bellevue.

Diese wenigen Beispiele zeigen: Wir sind vielleicht zur Isolation verdammt – aber nicht zur Untätigkeit.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, jeder und jede von Ihnen kann jetzt helfen! Mit dem Einkauf für ältere Nachbarn. Mit einem Anruf bei der Familie, vielleicht gerade bei denen, mit denen wir sonst nur selten sprechen. Mit einer Gutenachtgeschichte für die Enkel übers Telefon. Mit Karten oder Briefen für unsere Lieben in Pflegeheimen, die man jetzt nicht besuchen darf.

Wir können die vielen Ideen und Plattformen nutzen, die jetzt im Internet entstehen – für Freiwillige, die zum Beispiel den Bauern bei der Ernte helfen wollen, für Gläubige, deren Gemeindeleben jetzt online weitergehen kann, oder für Sporttrainer oder Hebammen, die ihre Kurse per Video anbieten wollen.

Wir können auch unseren Lieblingsläden, die derzeit geschlossen bleiben müssen, Gutscheine abkaufen oder in unseren Lieblingsrestaurants Essen zum Mitnehmen bestellen. Und wir können das Geld für gekaufte Eintrittskarten nicht zurückfordern. Denn viele Kulturschaffende, deren Kunst uns gerade jetzt so viel bedeutet, sind gerade jetzt in ihrer Existenz bedroht.

All das und noch mehr können wir – heute, ganz konkret – füreinander tun.

Die Ärztin Claudia Meister, die in diesen Tagen in einem mobilen Corona-Test-Team mithilft, erzählte mir lachend am Telefon: Diese Krise hat doch auch ihr Gutes: Jetzt lernen wir uns alle erst so richtig kennen, sagte sie. Und Recht hat sie. Also, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger: Wenn wir uns jetzt so richtig kennenlernen, dann zeigen wir einander doch das Beste in uns – zeigen wir Mitmenschlichkeit, zeigen wir Solidarität!

Wenn wir das miteinander schaffen, dann zerfällt unsere Gesellschaft nicht in dieser Krise, sondern im Gegenteil: Dann wächst sie enger zusammen.

Allen, die helfen, sage ich von ganzem Herzen Danke!

Alles Gute – und geben wir acht aufeinander.