Videobotschaft zum Gedenken an den Völkermord von Srebrenica vor 25 Jahren bei der zentralen Gedenkveranstaltung in Bosnien und Herzegowina

Schwerpunktthema: Rede

Potočari/Bosnien und Herzegowina, , 11. Juli 2020

Der Bundespräsident hat am 11. Juli mit einer Videobotschaft des Völkermords von Srebrenica gedacht: "Aus Anlass des heutigen Gedenktages wünsche ich den politischen Akteuren denselben Mut, sich endlich dem geschichtlichen Erbe zu stellen und gemeinsam die gesellschaftliche Aufarbeitung zu unterstützen. Sie ist nicht zuletzt Voraussetzung für eine friedliche und stabile Entwicklung Ihres Landes und der gesamten Region auf dem Weg nach Europa."


Was vor 25 Jahren in und um Srebrenica geschah, löst bis heute Entsetzen aus und macht uns fassungslos.

Der Name dieses bosnischen Ortes hat sich in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt als dunkelstes Kapitel der Kriege auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien in den 1990er Jahren. Der tausendfache Mord, der hier an muslimischen Jungen und Männern verübt wurde, ist in seiner Brutalität und Dimension singulär für Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Es war Völkermord, so hat es der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien unmissverständlich festgestellt.

Die Verbrechen, die hier begangen wurden, sind der extreme Ausdruck der ethnischen Säuberungen, die Ziel nicht nur einer Kriegspartei waren. Plünderungen, Vertreibungen, Folter, Mord und Massenvergewaltigungen waren an der Tagesordnung und führten zu einer entsetzlichen Spirale der Gewalt und Gegengewalt.

Unsere Gedanken sind bei allen Opfern von Krieg und Gewalt in den Auseinandersetzungen im Jugoslawien der 1990er Jahre und heute natürlich ganz besonders bei den Opfern von Srebrenica und ihren Angehörigen.

Ich wünsche Ihnen von Herzen viel Kraft an diesem Tag des Gedenkens, an dem der Verlust besonders schmerzt.

Die Wunden, die vor 25 Jahren in Ihre Gesellschaft gerissen wurden, sind nicht verheilt. Dafür ist auch eine immer wiederkehrende Rhetorik verantwortlich, die das vermeintlich Trennende in den Vordergrund stellt, wo doch die Gemeinsamkeiten, die geteilten Sorgen und Nöte, der Wunsch nach einer guten Zukunft für die Kinder in einem europäischen Bosnien und Herzegowina überwiegen sollten.

Erinnern an das Leid und den Schmerz ist ein zentraler Baustein für Versöhnung. Genauso gehört die strafrechtliche Aufarbeitung der Geschehnisse dazu. Damit ist es aber nicht getan. Es gilt neue Brücken zu bauen, wo alte zerstört wurden. Vertrauen zu schaffen, wo hasserfüllte Kriegsrhetorik gegeneinander aufgewiegelt hat. Das Gespräch zu suchen, wo lange kein Wort mehr gesagt wurde.

Ich habe großen Respekt vor all den Menschen in Bosnien und Herzegowina und der ganzen Region des Westbalkans, die einen Beitrag zur Versöhnung und zur Aussöhnung aller Beteiligten leisten. Mehr als tausend zivilgesellschaftliche Organisationen treten für die Erinnerung an das Leid der Opfer ein.

Aus Anlass des heutigen Gedenktages wünsche ich den politischen Akteuren denselben Mut, sich endlich dem geschichtlichen Erbe zu stellen und gemeinsam die gesellschaftliche Aufarbeitung zu unterstützen. Sie ist nicht zuletzt Voraussetzung für eine friedliche und stabile Entwicklung Ihres Landes und der gesamten Region auf dem Weg nach Europa. Zuviel Zeit ist schon ungenutzt vergangen.

Das weiße Stelenmeer der Gedenkstätte mahnt uns, dass ein Verbrechen wie in Srebrenica nie wieder passieren darf. Es zeigt, wohin hasserfüllte Reden und Taten führen können. Es ist Auftrag und Verantwortung für uns alle, eine Zukunft des Miteinanders zu gestalten – frei von Hass und frei von Gewalt.