Eröffnung des Axel-Springer-Neubaus

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 6. Oktober 2020

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 6. Oktober zur Eröffnung des Axel-Springer-Neubaus in Berlin eine Rede gehalten: "Deshalb ist es ebenso unausweichlich, dass der Journalismus – gerade in dieser Lage – seinen Wert genau erkennen und bestimmen muss. Und ich meine damit ausdrücklich nicht nur den Preis für journalistische Arbeit, sondern den Wert journalistischer Arbeit, ihren kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Wert."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Ansprache bei der Eröffnung des Axel-Springer-Neubaus in Berlin.

Wenn es stimmt, dass die Architektur einer Stadt ein Spiegel ihrer Befindlichkeit ist, dann ist Berlin offenkundig noch ein bisschen selbstbewusster geworden, als es immer schon war. Kleinmut jedenfalls kann man weder an noch in diesem Gebäude entdecken. Dafür einiges an Imposanz: Die futuristische Halle, oder sollte ich sagen, die Kathedrale, in der wir uns befinden, der Raum, in den man blickt, wenn man von den oberen Rängen herabsieht, die Querachse, entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze, und schließlich die Brücke, auf der wir schweben – im Hier und Jetzt –, wenn ich die Intention der Erbauer richtig verstehe, weder hüben noch drüben. Alles, was wir sehen, erhebt einen Anspruch auf Deutung.

Mit Symbolik kleckert man nicht in Berlin. Das ist nicht neu. Das war schon so, als Springer heute vor 54 Jahren das alte, damals gleichwohl modernste, Verlagsgebäude Europas eröffnete. Auch das war nicht einfach nur groß und beeindruckend. Es lohnt sich nicht, auf dieser Welt hohe Häuser zu bauen, sagte Axel Springer damals, wenn man nicht eine Idee hat, die größer ist, als wir selbst es sind. Für ihn, für Axel Springer, sollte das Haus ein Sinnbild der Einheit, damals der geraubten Einheit sein. Und schon der Ort, an dem es damals errichtet wurde, direkt an der Mauer, verlangt jetzt nach einer neuen architektonischen Antwort. Einer Antwort zu einer Zeit nach dem Fall der Mauer, einer Antwort, die die wiedergefundene Einheit symbolisiert. Axel Springer zeichnete mit dem alten Haus vor Jahrzehnten eine Anleihe auf die Zukunft. Sie hat sich ausgezahlt, liebe Frau Springer, vor dreißig Jahren, als unser Land wieder vereint wurde, und ebenso heute.

Aber mir scheint, auch dieses neue Haus deutet nicht nur die Zeit in der wir leben. Es will für die Zukunft stehen. Auch dieses Haus will Symbol sein. Symbol für den radikalen Umbau eines Verlages in ein Medienunternehmen, eine Antwort auf die Anforderungen und die Herausforderungen der Digitalisierung. Vom gebauten Internet war zu lesen – in einer Zeit, in der sich die gesamte dingliche Welt in Daten zu verwandeln scheint, klingt die Idee, das Internet in einem Gebäude zu materialisieren, einigermaßen verwegen.

Ein Verlagshaus, wie wir es einmal kannten, ist dieses Haus nicht! Es ist ein Haus der Medien. Medien, wie Frank Schirrmacher sie verstand, als er nicht lange vor seinem viel zu frühen Tod vom Übertritt der Dinge aus der materiellen Welt in die digitale Sphäre sprach: Alles verwandelt sich in Daten, sagte er. Alles wird zum Medium: Auto, Haus, der eigene Körper. Und das sagte er ausgerechnet in einem Interview, in dem er anmahnte, den Wert des Qualitätsjournalismus neu zu verhandeln. Er sagte das ohne Euphorie, als Feststellung, die nicht die Frage stellt, ob das gut oder falsch sei; eher als nüchterne Bestandsaufnahme, die den Handlungsdruck für die klassischen Medien in all seinen Dimensionen beschreibt.

Und es ist ja so: Das Datenvolumen aus allen Lebensbereichen wächst heute ungebremst und exponentiell. Daten sind der Treibstoff der Zukunftsökonomie. Sie aufzubereiten, nutzbar zu machen und vor allem gewinnbringend, ist das Metier der Start-ups, die sich hier unter dem Dach des Axel Springer-Konzerns zusammengefunden haben. Eine Branche, die in Berlin heimisch geworden ist, die der Stadt Zukunft verspricht.

Einem Bundespräsidenten, der noch dazu kein Digital Native ist, bleibt kaum eine Wahl, als diesem prosperierenden Teil der heimischen Datenökonomie anhaltenden Erfolg zu wünschen. Mit ihrem Gedeihen ist allerdings noch kein Urteil über die Zukunft eines anderen Geschäfts gesprochen, das einmal Kerngeschäft des Springer-Konzerns war: das des Journalismus.

Wer den Skeptikern glaubt, wird Warnungen kaum überhört haben, dass die Digitalisierung, diese zweite industrielle Revolution, mit geistiger Arbeit das anstellen wird, was die erste mit der körperlichen Arbeit tat.

Also müssen wir uns fragen, ob der Journalismus in diesem revolutionären Umfeld überleben kann, wie sich journalistische Inhalte gegen den Zugriff der Plattformen behaupten können. Kurz: Wie journalistische Arbeit unter den Bedingungen der Digitalisierung aussehen soll und wie sie finanziert werden kann.

Der Axel Springer Verlag unter Mathias Döpfner hat sich und anderen diese Frage früh gestellt, früher als andere Verlagshäuser. Das ist Ihr Verdienst, Herr Döpfner.

Doch ich will auch nicht verhehlen, dass ich die Antworten, die hier und andernorts – auch von der Politik – gefunden wurden, nicht nur ermutigend finde.

Sie haben, lieber Herr Döpfner, erst vor Kurzem vor dem Bundesverband der Digitalpublisher und Zeitungsverleger ein großes Plädoyer für den unabhängigen Journalismus gehalten. Ich teile dieses Plädoyer voll und ganz. Die Demokratie braucht den unabhängigen Journalismus. Sie braucht ihn schon deshalb, weil die Demokratie aufgeklärte Bürgerinnen und Bürger braucht, weil die Welt immer komplexer wird und die Vorgänge täglich, stündlich nach Einordnung verlangen. Der Gedanke aus den Kindertagen der Social Media, jeder sei zugleich Leser, Journalist und Redakteur, war wahrscheinlich eher naiv. Die Demokratie braucht den professionellen Journalismus, den politisch und wirtschaftlich unabhängigen Journalismus, der angstfrei agieren kann, der die Balance wahrt zwischen Distanz und Empathie. Der berichtet, analysiert und kommentiert, nicht um zu belehren, sondern um zur Aufklärung beizutragen, um seine Leser und Rezipienten zur Kritik zu befähigen.

Doch wenn die Logik der Plattformökonomie für diese Art des Qualitätsjournalismus kaum mehr Verwendung hat, weil ihr treibendes Element die größtmögliche Erregung ist, man kann auch sagen, der größtmögliche Lärm, die Klicks, Likes und Shares, wenn es nur um das permanente Registrieren von Aktion und Reaktion geht oder gar die möglichst zügige Umleitung des Interesses auf Anzeigen und Kaufoptionen, dann muss man feststellen: Das digitale Umfeld unter solchen Konditionen ist nicht unbedingt ein freundliches Umfeld. Es tastet Standards des professionellen Journalismus an und berührt Grundvoraussetzungen der Demokratie. Denn die Demokratie ist angewiesen auf freie, unabhängige und wahrheitsgetreue Information.

Wenn ich mit meinen Mutmaßungen richtig liege, wird sich der Qualitätsjournalismus, auf den die Demokratie zählen muss, auf unbekannte Zeit gegen die digitale Enteignung von Urheberrechten, gegen die Verflachung und Verzerrung, ja vielleicht auch gegen den Glaubwürdigkeitsverlust der Inhalte behaupten müssen. Ich glaube, es ist für den Journalismus eine existenzielle Auseinandersetzung. Entgehen wird ihr niemand. Denn die digitale Transformation zu verweigern, ist keine Option. Einer Revolution wie dieser weicht man nicht aus.

Deshalb ist es ebenso unausweichlich, dass der Journalismus – gerade in dieser Lage – seinen Wert genau erkennen und bestimmen muss. Und ich meine damit ausdrücklich nicht nur den Preis für journalistische Arbeit, sondern den Wert journalistischer Arbeit, ihren kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Wert.

Sie muss sich vornehmen, vor allem unterscheidbar zu bleiben von den schillernden Produkten der Empörungsökonomie, die in dichter Frequenz Feindbilder, Ressentiments und Vorurteile bedient.

Welchen Wert es hat, umfassend, verlässlich und verantwortungsvoll informiert zu sein, wird in der Corona-Krise gerade erlebbar. Die öffentliche Meinung ist oft von großer Langmut gegenüber mangelnder Sorgfaltspflicht im Umgang mit Fakten und die Demokratie ist es auch: Man darf alles meinen und glauben, allerdings kann und sollte man nicht erwarten, dass das folgenlos bleibt. In einer Pandemie wirken falsche Informationen wie ein Superspreader. Und spätestens wenn der gläubige Maskenverweigerer oder Impfgegner sich infiziert hat, schlägt die Realität zurück. Die Realität ist das, was bleibt, auch wenn man nicht daran glaubt.

Gute Recherche, genaue Analysen, Reportagen und sachkundige Kommentare müssen augenblicklich eine Wertsteigerung erfahren. Und vielerorts ist das in den vergangenen Monaten auch passiert, die Zahl der digitalen Abonnements deutscher Tageszeitungen ist – wie man hört und lesen kann – gestiegen. ARD und ZDF erfreuen sich gewachsenen Vertrauens und auch die Informationssendungen der Privaten verzeichnen höhere und höchste Einschaltquoten. Nachhaltig wird diese Entwicklung dann sein, wenn auch Recherche, Information und Analyse von nachhaltiger Qualität sind, wenn Verlage und Medienkonzerne weiter bereit sind, Qualität sicherzustellen, indem sie in Qualität investieren.

Diese Bereitschaft berührt die Verantwortung der Medien als vierte Gewalt. Sie berührt aber auch das eigene Verständnis von Macht und Aufgabe der Medien. Feindbilder, Stimmungsmache und Kampagnenjournalismus sind ein Missbrauch dieser vierten Gewalt, ebenso wie eine fortgesetzte Verletzung der Sorgfaltspflicht. Der Satz, den Sie alle noch kennen, nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern, der gilt eben nicht mehr. Das Netz vergisst nichts. Alles bleibt, auch das falsche Gerücht! Mit anderen Worten: Die Verantwortung der Medien ist heute größer denn je.

Meine Damen und Herren, einen journalistischen Wert hat, was informiert, aufklärt, unterhält, zur Diskussion anregt und zu einem eigenen Urteil befähigt. Leser, Hörer, Zuschauer und auch User wissen das. Ich hoffe, sie wissen es auch wieder vermehrt zu schätzen. Und ich hoffe ebenso, dass die Arbeitsbedingungen von Journalisten in Zeiten der digitalen Transformation diesen Werten nicht entgegenstehen, sondern Qualität fördern. Dass diese Bedingungen Sie nicht nur zum Quatschen auf dem Flur, sondern auch zum Lesen, Denken und Schreiben kommen lassen. Mir scheint, das dürfte die beste Versicherung gegen Fake News und Junkfood-Journalismus sein – und Ihr Beitrag für die Zukunft der Demokratie.

Dürfen sich Journalisten dabei auch selbst von Werten leiten lassen? Ein ausdrückliches Ja. Journalisten der Springer-Zeitungen verpflichten sich auf verlagseigene Grundsätze, auf Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Sie bekennen sich zu einem vereinten Europa und zum Existenzrecht Israels und gegen politischen wie religiösen Extremismus, Rassismus und sexuelle Diskriminierung.

Meine Damen und Herren, den Bundespräsidenten haben Sie bei der Pflege dieser Werte auf Ihrer Seite. Ohne eine eigene, eine bejahende Haltung zur Freiheit und zur aufklärenden Vernunft kommen wir nicht aus. Das gilt für Journalisten, für Verleger, für Politiker, für uns alle.