Videogrußwort zur Jubiläumsveranstaltung "70 Jahre Bundesgerichtshof und Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof"

Schwerpunktthema: Rede

Karlsruhe, , 8. Oktober 2020

Bundespräsident Steinmeier hat am 8. Oktober mit einer Videobotschaft den 70. Jahrestag der Errichtung des Bundesgerichtshofs und des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof gewürdigt: "Die Justiz steht vor großen Herausforderungen – etwa einer immer stärker differenzierten Gesellschaft oder der Digitalisierung aller Lebensbereiche. Auch Kritik macht vor der Justiz nicht halt."


Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Lange hofften wir, heute gemeinsam in der Karlsruher Schwarzwaldhalle die 70. Wiederkehr der Errichtung des Bundesgerichtshofs und des Generalbundesanwaltes beim Bundesgerichtshof zu feiern. Ich hatte mich auf einen Festvortrag gefreut. Die Pandemie hat das verhindert.

Beide Institutionen wurden am 1. Oktober 1950 errichtet. In bestimmten zivil- wie strafrechtlichen Rechtsfragen reichen Rechtsprechungslinien zwar bis heute zum Reichsgericht zurück, das 1879 errichtet worden war. Gleichwohl tun Sie gut daran, dass 70-jährige Bestehen Ihrer Institutionen als eigenständiges Jubiläum zu begehen. Denn wir wissen um die Rolle des Reichsgerichts in der nationalsozialistischen Zeit und wir wissen um personelle Kontinuitäten über 1945 hinaus. Der Spielfilm Rosen für den Staatsanwalt aus dem Jahre 1959 hat das einer größeren Öffentlichkeit gegenüber eindrucksvoll verdeutlicht. Sie sprechen gleich über Bilder der Justiz – Abbild der Gesellschaft. Ohne der Analyse der Diskutanten vorzugreifen, kann ich festhalten: Ja, Justiz war auch in den 50er-Jahren ein Abbild der Gesellschaft.

Heute steht der Bundesgerichtshof trotz seiner im Wesentlichen auf Rechtsfragen beschränkten Zuständigkeiten mitten im Leben. Im Zivilrecht geht es um Tracking beim Internetsurfen, Schadensersatz im Dieselskandal oder das digitale Erbe. Und im Strafrecht etwa um den Mordvorwurf nach tödlichen Unfällen infolge illegaler Autorennen.

Die ordentliche Gerichtsbarkeit ist personell die mit Abstand größte Gerichtsbarkeit. Zu ihr zählt auch die freiwillige Gerichtsbarkeit. Grundbuchämter, Register-, Familien-, Nachlassgerichte leisten eine selten gewürdigte, aber äußerst wertvolle Arbeit für unsere Gesellschaft. Deshalb ist es mir wichtig, liebe Frau Limperg, Ihnen und allen Richterinnen und Richtern sowie den nichtrichterlichen Justizbeschäftigten des Bundesgerichtshofes und an den Amts-, Land- und Oberlandesgerichten für ihre Arbeit zu danken!

Gemeinsam mit dem Bundesgerichtshof wurde der Generalbundesanwalt für die Verfolgung spezieller Straftaten eingerichtet. Die Strafverfolgung liegt in der Hauptsache in der Hand der Länder. Gleichwohl steht der Generalbundesanwalt an der Spitze der Staatsanwaltschaften. Ihnen, lieber Herr Frank, und der Generalbundesanwaltschaft als Gesicht der Strafverfolgung und damit auch den Staatsanwaltschaften der Länder gilt unser Dank – als Staat und Gesellschaft – für Ihr Engagement, für Ihren unentwegten Einsatz für den Rechtsstaat und eine rechtsstaatliche Strafverfolgung.

Die Justiz steht vor großen Herausforderungen – etwa einer immer stärker differenzierten Gesellschaft oder der Digitalisierung aller Lebensbereiche. Auch Kritik macht vor der Justiz nicht halt. Der Richterbund bemängelt überlange Verfahrensdauern mit der Folge, dass viele Verdächtige aus der U-Haft entlassen werden müssen, um den rechtsstaatlichen Anforderungen Genüge zu tun. Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass die Justiz – wie unlängst zu lesen war – Schwierigkeiten hat, qualifizierten Nachwuchs zu gewinnen. Oder wie sieht es mit der staatlichen Neutralität aus, wenn es um das Tragen von religiösen Symbolen geht? Überall wird die Justiz mit den Fragen konfrontiert, die in der Gesellschaft diskutiert werden.

Sie werden in der Diskussion gleich weitere Bereiche finden, wo die Justiz ein Abbild unserer Gesellschaft ist, sein sollte – oder vielleicht auch gerade nicht ist.
Ich jedenfalls grüße Sie herzlich, wünsche Ihnen eine angeregte und ertragreiche Diskussion.