Videobotschaft zur Verleihung des Deutschen Umweltpreises

Schwerpunktthema: Rede

Hannover, , 25. Oktober 2020

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 25. Oktober zur Verleihung des Deutschen Umweltpreises eine Rede gehalten, die bei der Veranstaltung in Hannover als Video eingespielt wurde. Er sagt: "Corona darf kein Argument für Zurückhaltung oder Lethargie sein. Wir bleiben gefordert: Klimaschutz gehört ganz oben auf unsere Agenda, nicht irgendwann später, sondern jetzt!"


Es ist schon fast zu einer schönen Tradition geworden für mich. Schon zum vierten Mal wollte ich heute als Bundespräsident den Deutschen Umweltpreis überreichen, und wie immer habe ich mich ganz besonders auf diesen Tag und diese Gelegenheit gefreut. Aber in diesem Jahr ist alles ganz anders, Corona bricht mit Gewohntem, macht es uns schwer mit der Pflege von Tradition. Wie schade, dass ich heute nicht bei Ihnen in Hannover sein kann!

Wir leben seit Monaten im Krisenmodus, in einer Krise, die wir uns vor einem Jahr in Mannheim nicht hätten vorstellen können.

Deshalb halte ich es für eine besonders wichtige Botschaft, die von diesem Umweltpreis in diesem schwierigen Jahr 2020 ausgeht, und diese Botschaft lautet: Auch jetzt, mitten in der Pandemie, dürfen wir nicht andere große Menschheitsaufgaben aus den Augen verlieren. Wie hinterlassen wir unseren Kindern und Enkeln unseren Planeten? Was müssen wir tun, um unsere Ressourcen und unser Klima besser zu schützen?

Sie, lieber Professor Edenhofer, liebe Geschwister Trappmann, lieber Martin Sorg, Sie alle erinnern uns daran: So drängend die Probleme der Gegenwart sind, wir dürfen nicht aufhören, über Corona hinauszudenken. Ja, die Bekämpfung der Pandemie braucht unsere volle Aufmerksamkeit. Aber Corona wird uns die Zukunft nicht nehmen. Wir brauchen auch Perspektiven, wie wir nach Corona leben werden und wie wir leben wollen.

I was interested in Weltverbesserung – was für ein wunderbarer Satz. Er stammt von einem, der ganz bestimmt ein Weltverbesserer ist, aber ein ganz und gar unideologischer; einer, der uns unermüdlich mahnt, dass wir keine Zeit mehr zu verlieren haben beim Klimaschutz.

Lieber Professor Edenhofer, unser beider Wege kreuzen sich seit vielen Jahren. Wir haben diskutiert zu Fragen der Transformation von Energiepolitik, zu Umwelt- und Klimapolitik. Und ich erinnere mich: Wir treffen uns auch nicht zum ersten Mal in einer Krisensituation. Vor gut zehn Jahren – nach der Krise auf den globalen Finanzmärkten – haben Sie Orientierung gegeben, wie beim notwendigen wirtschaftlichen Wiederaufbau der Klimaschutz nicht unter die Räder kommt.

Das, lieber Ottmar Edenhofer, ist Ihr Lebensthema: der Klimawandel und seine ökonomischen und sozialen Folgen. Sie sind einer, der querdenkt im besten Sinn, um die Dinge dann zusammenzudenken. Als Schüler von Karl Marx inspiriert, als Jesuit von der katholischen Soziallehre geprägt und später ein global denkender Ökonom: Ihr Platz ist zwischen allen Stühlen, haben Sie selbst einmal gesagt. Sie beraten den Papst, die Weltbank, die Bundesregierung, Sie sind ein international geschätzter – mitunter auch gefürchteter – Verhandler. Ohne Menschen wie Sie hätte es das Pariser Klimaabkommen nicht gegeben und auch nicht das deutsche Klimapaket.

Wie gehen wir mit unseren natürlichen Ressourcen – unseren globalen Ressourcen – verantwortlich und gerecht um, dieses kleine Wörtchen und, diese doppelte Herausforderung ist es, was Sie an- und umtreibt. Und immer steht bei Ihnen im Mittelpunkt menschliches Verhalten: Wie können wir die Menschen überzeugen, ihr Verhalten zu verändern? Staatliche Ordnungspolitik und Regulierung lehnen Sie nicht ab, Sie sind aber hinreichend skeptisch, wenn sich Politik darauf beschränkt. Für Erfolg versprechender halten Sie Strategien, die eingeübte Marktmechanismen einbeziehen und ökonomische Anreize schaffen, mehr für Umwelt und Klima zu tun, wie die Bepreisung schädlichen Kohlendioxids.

Lieber Professor Edenhofer, meine herzlichen Glückwünsche zum Deutschen Umweltpreis! Ich habe den Verdacht, auch mit diesem Preis werden Sie nicht nachlassen, uns zu mahnen und uns zu raten. Genau so ist der Preis ja auch gemeint.

Es gibt ja viele Menschen in unserem Land, die bereits handeln. So wie Sie, liebe Annika und Hugo Trappmann. Sie führen die Geschäfte in einem Unternehmen, das schon seit fast 150 Jahren besteht: Die Geschichte der Blechwarenfabrik Limburg, das ist echte deutsche Industriegeschichte.

Weil der angestammte Firmensitz zu klein wurde, haben Sie – genauer gesagt, hat Ihr Vater – entschieden, einen Neubau zu errichten. Unternehmerisch gesehen war das ein Wagnis. Aber Sie waren überzeugt, dass das Unternehmen nur dann zukunftsfähig ist, wenn es sich modernisiert und möglichst sparsam und intelligent mit Ressourcen und Energie umgeht. Und dafür haben Sie sich wortwörtlich jede Schraube angeschaut. Für den Neubau haben Sie alle Abläufe und Technologien überprüft und teilweise neu erdacht – und das Ergebnis ist beeindruckend. Die jetzt größere Blechwarenfabrik verbraucht weniger Rohstoffe und stößt 2.600 Tonnen Kohlendioxid weniger aus als vor dem Umzug.

Ich bin überzeugt: Wenn Unternehmer so an ihre Sache glauben wie Sie, wenn sie mit so viel Herzblut und so viel Leidenschaft vorangehen wie Sie und Ihr Team, dann wird es uns gelingen, unser Land zukunftsfähig zu machen! Deshalb auch Ihnen, liebe Geschwister Trappmann, meine ganz herzlichen Glückwünsche zum Deutschen Umweltpreis!

Herzblut und Leidenschaft, das zeichnet auch Sie aus, lieber Herr Dr. Sorg. Ihre Leidenschaft gilt kleinen geflügelten Lebewesen, die in ungeheurer Vielfalt unseren Planeten bevölkern. Aber diese Vielfalt ist bedroht – wie bedroht, das haben Sie mit Ihrem Entomologischen Verein Krefeld untersucht. Sie haben viele Jahre lang ganz praktische Methoden entwickelt, um nachzuweisen, dass die Zahl und die Artenvielfalt von Fluginsekten stark zurückgeht.

Dass wir heute viel genauer wissen, welch dramatische Folgen der Artenschwund im Reich der Insekten für unser Ökosystem hat, dass wir darüber als Gesellschaft diskutieren, das haben wir auch Ihnen zu verdanken. Lieber Martin Sorg, ich gratuliere Ihnen ganz herzlich zum diesjährigen Ehrenpreis!

Sie alle, verehrte Preisträger, sind herausragende Beispiele dafür, wie viel Einzelne für eine Gesellschaft bewegen können, wenn sie sich engagieren, wenn sie hartnäckig sind, wenn sie an eine Sache glauben, und dafür möchte ich Ihnen heute als Bundespräsident herzlich danken!

Ja, wir leben in schwierigen Zeiten. Ein kleines Virus hat Erschütterungen, sogar eine globale Krise ausgelöst. Überwinden wird sie kein Nationalstaat allein, mehr denn je ist Zusammenarbeit über Grenzen hinweg gefragt – jetzt bei den Maßnahmen zur Eindämmung der Infektionsdynamik, noch mehr aber und noch dringender bei der Entwicklung, Herstellung und Verteilung von Impfstoffen. Es passt insofern gut, dass ich jetzt zu Ihnen und dann heute Abend zum World Health Summit in Berlin rede, wo Politiker, Wissenschaftler und Ökonomen aus der ganzen Welt über globale Gesundheitsfragen in Zeiten der Pandemie beraten werden.

Mit einem Rückfall in nationale Nabelschau werden wir den Kampf gegen die Pandemie nicht gewinnen, denn dieses Virus macht nicht an Grenzen halt – genauso wenig wie der Klimawandel. Und noch etwas gilt sowohl für die Corona-Pandemie als auch für den Klimawandel: Sie können alle treffen, aber sie treffen nicht alle gleich. Beide treffen die Menschen in ärmeren Ländern des Südens ungleich härter. Das bedeutet Verantwortung für die reicheren Länder des Nordens und ist Verpflichtung zu handeln.

Ja, die Grundlagen für ein globales Handeln gegen die Erderwärmung sind gelegt – das Pariser Klimaabkommen war eine Wende. Aber nicht nur die zögernde Umsetzung macht mir Sorgen. Zusätzliche Sorge macht, dass immer mehr Länder sich von der Idee abwenden, dass die Staatengemeinschaft nur gemeinsam etwas erreichen kann. My country first und die kleinliche Suche nach dem kurzfristigen nationalen Vorteil sind nicht die Bedingungen, unter denen COP 21 weltumspannende Regierungspraxis wird.

Dabei macht der Klimawandel keine Pause – auch jetzt nicht, in der Pandemie. Und auch hier in Deutschland haben wir erneut einen zu trockenen Sommer erlebt, und die Folgen sind vielerorts nicht zu übersehen. Die Böden – vielfach ausgetrocknet; die Wälder – schwer geschädigt; der Grundwasserspiegel – mancherorts besorgniserregend gesunken. Und wenn wir über die Grenzen schauen, und das müssen wir: In Kalifornien wüten furchtbare Brände, in afrikanischen Ländern folgen auf verheerende Dürren nicht minder verheerende Überschwemmungen. Immer mehr Menschen müssen fliehen, weil ihre Heimat unbewohnbar geworden ist. In Sibirien schmilzt der Permafrost und an den Polen das Eis.

Wie ernst die Lage ist, davor haben auch die Forscher der Polarstern gewarnt, die erst kürzlich von der größten wissenschaftlichen Nordpolexpedition aller Zeiten zurückgekehrt sind. Die Preisträgerin des Jahres 2018 und Leiterin des Alfred-Wegener-Instituts Antje Boetius könnte uns davon erzählen.

Der Klimawandel ist […] gnadenlos, denn früher oder später lässt sich nur noch wenig bis nichts dagegen tun, mahnt uns der große niederländische Europäer Geert Mak. Und er mahnt uns – die Europäer! Der europäische Traum ist der Traum von Freiheit, Demokratie, Rechtsstaat, und es ist der Traum von einer lebenswerten Zukunft für die, die nach uns kommen. Deshalb darf Corona kein Argument für Zurückhaltung oder Lethargie sein.

Wir bleiben gefordert: Klimaschutz gehört ganz oben auf unsere Agenda, nicht irgendwann später, sondern jetzt!

Die Welt wird eine andere sein, schreibt Ivan Krastev in seinem neuen Buch über die Folgen der Pandemie, nicht, weil unsere Gesellschaften einen Wandel wollen oder weil ein Konsens über die Richtung des Wandels besteht, sondern weil wir einfach nicht mehr zurückkönnen.

Ja, die Welt wird sich verändern. Die Corona-Krise hat uns Demut gelehrt. Ich meine aber: Sie hat uns auch gelehrt, dass wir viel erreichen können. Sie hat uns gezeigt, dass Politik, dass der Staat in einer Krise handeln und dass er schnell handeln kann. Und sie hat uns gelehrt, dass Vertrauen der meisten Menschen in Politik wieder zunehmen kann. Aber die Pandemie hat uns noch etwas gelehrt: Veränderung gelingt nicht allein mit Verboten und Sanktionen. Veränderung braucht Einsicht und auch die Bereitschaft, Verantwortung nicht vollständig an den Staat und die Gesellschaft zu delegieren. Es kommt auch auf den Einzelnen an. Und die letzten Monate haben gezeigt: Wir können viel erreichen, wenn wir verantwortungsvoll, mit Vernunft und vor allem gemeinsam handeln.

Das ist eine ungeheuer wertvolle Erfahrung, eine, aus der wir Kraft schöpfen können für die großen Zukunftsaufgaben, die vor uns liegen. Wir müssen nachdenken, wir müssen umdenken, manchmal sogar radikal umdenken: wie wir arbeiten, was wir produzieren, wie wir wirtschaften, wie wir uns fortbewegen und was wir essen. Das wird uns einiges abverlangen. Aber Sorge sollten wir nicht haben, wenn sich manches ändert. Sorge müssen wir haben, wenn sich nichts ändert!

Grundlagen für die Welt von morgen schaffen, ich glaube, dass wir dafür gar nicht schlecht gerüstet sind. Wie hat David Grossman es vor wenigen Tagen so schön ausgedrückt: Wenn der Anker geworfen ist, hält er an der Zukunft fest. Und wir können heute sagen: Der Anker ist geworfen. Ich denke an den Atomausstieg und den Kohlekompromiss, ich denke an den Ausbau der erneuerbaren Energien, an den Einstieg in den Zertifikatshandel, den beginnenden Wandel der Mobilität.

Jeder dieser Schritte wurde erreicht mit größten Mühen und immer wieder begleitet von teils heftigen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Ja, viele dieser Kompromisse sind genau das: Kompromisse. Aber diese mühsamen Aushandlungsprozesse haben am Ende doch dazu geführt, dass unsere Gesellschaft sich weiterbewegt hat, dass wir Lösungen gefunden haben, die für die Mehrheit der Menschen tragbar sind, Lösungen, die von der Mehrheit mitgetragen werden.

Ich glaube fest daran: Anders als gemeinsam geht es langfristig nicht. Deshalb müssen wir immer wieder wachsam sein, wo alte Spaltungen sich vertiefen, wo neue Gräben sich auftun, wo es Gewinner und Verlierer gibt. Wir müssen verhindern, dass Menschen sich enttäuscht abwenden, sich vergessen fühlen, weil sie nicht so leicht Schritt halten können oder wollen, oder weil es in ihrem Alltag ganz andere drängende Probleme gibt. Wer um seinen Arbeitsplatz fürchtet oder nur eine winzige Rente hat, wer jetzt in der Corona-Krise um seine Existenz fürchten muss, für den ist Klimaschutz nicht unwichtig, aber hat vielleicht nicht immer die oberste Priorität. Und diejenigen werden auch weniger Kosten für einen ökologischen Umbau schultern können. Dem mit kluger Politik Rechnung zu tragen, gleichzeitig aufzuklären und Überzeugungsarbeit zu leisten, das ist mehr als eine Stilfrage: Es ist die Grundvoraussetzung dafür, dass wir die gewaltigen Veränderungen gemeinsam vorantreiben in dieser Gesellschaft und immer wieder Mehrheiten dafür finden.

Der Anker ist geworfen, aber lassen wir uns von der Zukunft ziehen, oder verlängern wir nur die Ankerkette? Allein die Warnung, dass eigentlich schon alles zu spät ist und uns keine Zeit bleibt, wird nicht reichen. Das setzt keinen Mut frei. Mut aber brauchen wir!

Und es gibt Grund dazu. Ja, es gibt durchaus Signale, die uns zuversichtlich stimmen können.

Unzweifelhaft steigt doch die Einsicht, nicht nur bei wenigen, sondern der großen Mehrheit in unserer Bevölkerung. Das Interesse an Umweltthemen ist größer als je zuvor. An heimischen Abendbrottischen wird ebenso lebhaft diskutiert wie in Talkshows und Parlamenten quer durch das Land. Die Notwendigkeit von Veränderungen wird kaum noch bestritten; es geht eher um das wie und um das wie schnell als um das ob.

Auch der Blick in die Welt zeigt, dass sich etwas tut. China hat, wenn auch auf ganz anderer Grundlage und vielleicht auch aus einem anderen Kalkül als wir, die umweltpolitischen Zügel angezogen – mit potentiell neuen Optionen auch für die internationale Zusammenarbeit. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass auch die USA bald zu einer konstruktiveren Haltung in der weltweiten Zusammenarbeit gegen Klimawandel zurückkehren könnten – Anfang November wissen wir mehr.

Ja, wir können Zuversicht haben, und wir dürfen mutig sein. Trauen wir uns zu, ebenso entschlossen zu handeln, wie wir es in der Pandemie gemeinsam tun! Trauen wir uns zu, dass der Staat handelt – entschlossen handelt; dass die Wirtschaft handelt – entschlossen handelt. Und dass jede und jeder in unserem Land auch bereit ist, selbst zu handeln, selbst Verantwortung zu übernehmen. Nein, niemand kann allein die Welt verbessern. Aber zusammen brauchen wir keine Herausforderung zu scheuen!

Lassen Sie uns den Weg in die Zukunft gemeinsam gehen. Und liebe Preisträger, begleiten Sie uns auch weiterhin dabei! Inspirieren Sie uns mit Ihrem Mut und Ihren Visionen. Treiben Sie uns an, und lassen Sie nicht locker. Wir brauchen Menschen wie Sie, und wir sind stolz, Sie in unserer Mitte zu haben!

Herzlichen Glückwunsch und vielen Dank!


Die Rede des Bundespräsidenten wurde zuvor aufgezeichnet und als Videobeitrag übermittelt.