Einweihung des Robert-Blum-Saals mit Kunst zur deutschen Demokratiegeschichte

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 9. November 2020

Der Bundespräsident hat am 9. November zur Einweihung des Robert-Blum-Saals mit Kunst zur deutschen Demokratiegeschichte in Schloss Bellevue eine Rede gehalten: "Bis zuletzt stritt Robert Blum für einen deutschen Nationalstaat, der parlamentarisch legitimiert und als Republik verfasst sein sollte. Er stritt für eine Demokratie, in der die Bürger- und Menschenrechte für jeden und jede gelten sollten. Und er stritt für ein Europa, in dem freie Völker in Frieden zusammenleben sollten."


Ich sterbe für die Freiheit, möge das Vaterland meiner eingedenk sein. Das, so will es jedenfalls die Legende, waren die letzten Worte von Robert Blum. Am 9. November 1848, einen Tag vor seinem 41. Geburtstag, trafen ihn die Kugeln eines Hinrichtungskommandos des kaiserlichen Militärs. Der deutsche Demokrat und Freiheitskämpfer, einer der bekanntesten Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung, starb auf einem Sandhaufen im Wiener Vorort Brigittenau.

Die Schüsse beendeten das Leben eines Mannes, der unermüdlich für ein in Recht und Freiheit geeintes Deutschland gekämpft hatte – als politischer Publizist, Verleger und Vereinsgründer in Leipzig; als Parlamentarier der Paulskirche in Frankfurt; schließlich auf den Barrikaden in Wien, mit der Waffe in der Hand.

Bis zuletzt stritt Robert Blum für einen deutschen Nationalstaat, der parlamentarisch legitimiert und als Republik verfasst sein sollte. Er stritt für eine Demokratie, in der die Bürger- und Menschenrechte für jeden und jede gelten sollten. Und er stritt für ein Europa, in dem freie Völker in Frieden zusammenleben sollten, von Frankreich bis nach Polen und Ungarn.

Sein Tod am 9. November 1848 markiert einen der vielen Wendepunkte unserer Geschichte. Die Erschießung des Abgeordneten Blum war zugleich eine blutige Botschaft an die Paulskirchenversammlung, mit der Fürsten und Militärs des Ancien Régime ihre Macht demonstrierten. Sie steht für die heraufziehende Niederlage der Demokraten, für das Scheitern der Revolution von 1848/49.

Die Ideen aber, für die Robert Blum, Adam von Itzstein, Louise Otto-Peters und viele andere damals kämpften, sie lebten fort – in den Abgeordnetenhäusern der Einzelstaaten, in liberalen und demokratischen Parteien, in Arbeiterbildungsvereinen und Gewerkschaften. Und sie lebten wieder auf – in der Revolution von 1918 und der Weimarer Nationalversammlung, im Widerstand und im Exil zur Zeit des Nationalsozialismus, 1949 im Parlamentarischen Rat in Bonn und 1989 in der Friedlichen Revolution in der DDR. Es waren Ideen, die in die Zukunft wiesen und die heute zum demokratischen Erbe dieser Republik gehören.

Der 9. November 1848 ist der erste 9. November, der uns an die wechselvolle Geschichte unseres Landes erinnert, an den langen, verschlungenen und steinigen Weg zur Demokratie, der von Rückschlägen und Widersprüchen geprägt, von Krieg und Gewaltverbrechen gesäumt war. Wir denken heute auch an die anderen Ereignisse, die auf dieses Datum fielen, zufällig oder aus geschichtspolitischem Kalkül: an die Ausrufung der ersten deutschen Republik 1918, den Hitler-Putsch 1923, die Reichspogromnacht 1938 und den Fall der Mauer 1989.

Wie kein anderes Datum in der deutschen Geschichte führt uns der 9. November Licht und Schatten unserer Vergangenheit vor Augen, ein kompliziertes und widersprüchliches Bild, das gemischte Gefühle auslöst – Glück und Freude ebenso wie Trauer und Entsetzen. Es ist wichtig, ja es ist heute vielleicht wichtiger denn je, dass wir die Erinnerung an beides, an die dunklen und die hellen Seiten unserer Geschichte lebendig halten, und das nicht nur an diesem schwierigen Jahrestag.

Wir müssen noch mehr tun und auch neue Wege gehen, um die Erinnerung an die Abgründe der deutschen Geschichte wachzuhalten, an Diktatur und Krieg, vor allem an die Shoah, den millionenfachen Mord an den Juden Europas. Nie wieder!, das ist das große Versprechen, das in unser Grundgesetz eingeschrieben ist und uns im Heute verpflichtet.

Wir sollten aber auch mehr tun, um die Erinnerung an das wachzuhalten, was in unserer Geschichte gelungen ist, was uns vorangebracht hat, worauf wir heute bauen können. Es ist mir ein großes Anliegen, dass wir unser demokratisches Erbe noch sorgfältiger pflegen, dass wir die Orte unserer Demokratiegeschichte neu beleben und dass wir an ihre großen Köpfe erinnern. Denn die deutschen Freiheitsbewegungen – von der stolzen Tradition der Reichsstädte und den aufständischen Bauern in der frühen Neuzeit bis zur Friedlichen Revolution in der DDR – nehmen im kollektiven Gedächtnis unseres Landes immer noch nicht den Platz ein, der ihnen zusteht und den wir ihnen einräumen sollten.

Deshalb mein Plädoyer, dass aus der Paulskirche in Frankfurt eine moderne Erinnerungsstätte wird. Und deshalb mein Plädoyer, dass der Verdienste der Friedlichen Revolution von 1989 an einem zentralen Ort gedacht wird, an einem Ort, der mehr ist als ein Denkmal.

Robert Blum ist ein besonders tragisches Beispiel für die Defizite unserer Erinnerungskultur. Er starb für die Freiheit – aber seiner eingedenk ist heute fast niemand mehr. Der Schriftsteller Ludwig Pfau, noch so ein vergessener deutscher Revolutionär, schrieb über Blum: Sein Volk wird ihm ein Denkmal setzen, größer als die Denkmale aller seiner Gefeierten; denn dieses Denkmal wird die deutsche Republik sein. Heute müssen wir feststellen, dass diese Prophezeiung sich nur zur Hälfte bewahrheitet hat. Die deutsche Republik, in Recht und Freiheit geeint, ist 1990 Wirklichkeit geworden, zum zweiten Mal nach 1918. Aber wer Robert Blum war und was er mit dieser Republik zu tun hat, das ist heute kaum noch jemandem bewusst.

Wir wollen heute, an diesem 9. November, den Versuch unternehmen, Robert Blum in unsere Republik zurückzuholen. Hier im Schloss Bellevue wollen wir ihm ein kleines Denkmal setzen, indem wir einen Saal hier nach Robert Blum benennen.

Robert-Blum-Saal – der Name bringt zum Ausdruck, dass dieses Schloss, das einst als Sommerresidenz für einen preußischen Prinzen erbaut wurde, heute Amtssitz des Präsidenten einer Demokratie und einer Republik ist, die fest in freiheitlichen Traditionen wurzelt. Und er steht dafür, dass dieser Raum, dass dieses Schloss ein Ort der Demokratie ist, ein Ort, an dem sich Bürgerinnen und Bürger als Gleiche begegnen und austauschen können.

Ich finde, das ist ein wichtiges Zeichen – gerade jetzt, in diesem November, in dem wir unser öffentliches Leben pandemiebedingt wieder stärker einschränken müssen und heute Vormittag auch hier im Schloss keine Gäste empfangen können. In der Corona-Krise wird uns noch einmal besonders bewusst, wie sehr unsere Demokratie den öffentlichen Raum braucht. Auch deshalb freue ich mich, dass ich den Robert-Blum-Saal heute einweihen kann.

Dass dieses Schloss ein Ort der Demokratie ist, das sollen auch die Kunstwerke an seinen Wänden widerspiegeln. Erst vor Kurzem haben wir hier, ein Stockwerk tiefer, Bilder aus der Zeit der Friedlichen Revolution gezeigt, und es ist schön, dass wir den Robert-Blum-Saal nun mit sechs Bildern ausstatten konnten, die an die deutschen Freiheitsbewegungen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erinnern; an die schwarz-rot-goldene Urgeschichte, wie der Historiker Ralf Zerback geschrieben hat. Mein herzlicher Dank gilt den Leihgebern und allen, die uns bei der Auswahl der Bilder beraten haben.

Den Robert-Blum-Saal schmückt nun ein Ölgemälde von Carl Wendling, auf dem wir Parteigänger zur Zeit der Französischen Revolution sehen können. Männer stehen sich in leidenschaftlicher Debatte gegenüber, umringt von gebannten Zuhörern – keine Untertanen, die man da sehen kann, sondern ganz selbstbewusste Bürger. Die farbige Szene spielt vermutlich in Landau, der Heimatstadt des Künstlers, in der es einen besonders lebendigen Jakobinerklub gab. Das Bild erinnert uns an die Männer – damals waren es fast ausschließlich Männer –, die Ende des 18. Jahrhunderts die Ideen der Französischen Revolution in Deutschland verbreiteten und in Mainz die erste Republik auf deutschem Boden entwarfen.

Eine kleine Arbeit von Erhard Joseph Brenzinger zeigt den Zug auf das Hambacher Schloss im Mai 1832, eine der Geburtsstunden unserer Demokratie. Zehntausende Menschen demonstrierten damals für bürgerliche Freiheitsrechte und deutsche Einheit. Auf die Zinnen der Schlossruine pflanzten sie die deutsche Flagge, die damals noch gold-rot-schwarz war. Und auch polnische Fahnen wurden geschwenkt, als frühes Zeichen europäischer Solidarität.

In dieser bewegten Zeit des Vormärz ging Robert Blum nach Leipzig, wurde Sekretär am Theater, Journalist und Politiker. Das Porträt, das wir ausleihen durften, zeigt ihn in seinen letzten Lebensjahren. Blum wuchs in Köln in ärmlichen Verhältnissen auf, er war Autodidakt, eine Ausnahme unter den vielen Juristen und Professoren im damaligen Paulskirchenparlament. Er war ein mitreißender Volkstribun, zugleich aber ein pragmatischer Politiker, der beharrlich nach parlamentarischen Lösungen suchte, der vermitteln konnte zwischen den Fraktionen, der um Kompromisse rang.

Unser viertes Bild, ein kolorierter Stahlstich nach einer Zeichnung von Jean Nicolas Ventadour, zeigt Blums Wirkungsstätte, den Innenraum der Paulskirche. Wir sehen den gefüllten Sitzungssaal der Nationalversammlung, geschmückt mit dem deutschen Dreifarb, jetzt in der Reihenfolge schwarz-rot-gold. Ein Abgeordneter vorn am Pult spricht mit energischer Geste unter den Augen der vielen Zuschauer auf der Galerie, die, wie der Abgeordnete Ludwig Bamberger schrieb, Leben in die Bude brachten und gern aus Leibeskräften applaudierten oder zischten.

Eine stimmungsvolle Szene zeigt auch das Ölgemälde von Moritz Oppenheim: Eine Familie hat sich im Juli 1848 auf einem Balkon versammelt, um dem Reichsverweser, dem Oberhaupt der Provisorischen Zentralgewalt, bei seinem Einzug in Frankfurt zuzujubeln. Die Mehrheit der gemäßigten Liberalen in der Paulskirche hatte Erzherzog Johann von Österreich in dieses Amt gewählt, und Robert Blum hätte den Freudentaumel auf dem Bild vermutlich eher skeptisch betrachtet. Er wollte keinen, wie er sagte, Reichsvermoderer, sondern er wollte eine demokratische Regierung, die dem Parlament Rechenschaft schuldig war.

Von einem der vielen Schlussakte der Revolution im Mai 1849 erzählt unser letztes Bild. Es führt uns auf den Neumarkt in Dresden, wo die Demokraten zu den Waffen griffen, um die Paulskirchenverfassung zu verteidigen – die damals erste Verfassung für ganz Deutschland, die grundlegende Freiheitsrechte festschrieb. Aber preußische und sächsische Truppen schossen den Aufstand mit Kanonen nieder, und wenige Monate später, als auch die Festung Rastatt fiel, war die deutsche Revolution bezwungen.

Die sechs Bilder führen uns mitten hinein in unsere Geschichte. Sie führen uns vor Augen, mit welchem Mut und welcher Tatkraft Frauen und Männer in diesem Land gegen Willkür und Unterdrückung gekämpft haben, oft unter Einsatz ihres Lebens. Ihnen allen, den Vorkämpferinnen und Vorkämpfern unserer Demokratie, schulden wir Dank und Respekt!

Die Bilder deuten aber auch Widersprüche der Freiheitsbewegungen an und werfen Fragen auf. Das ist gut so. Der Amtssitz des Bundespräsidenten kann mit seiner Kunst auch ein Ort der Selbstverständigung sein, an dem wir darüber diskutieren, wie wir wurden, was wir sind. Viele Objekte hier erinnern an die Geschichte dieses Hauses, und das soll auch so bleiben. Deshalb arbeiten wir gerade daran, einen anderen Raum im Schloss Schinkel und der preußischen Klassik, einen weiteren Raum der preußischen Aufklärung zu widmen, einen Wilhelm-und-Alexander-von-Humboldt-Saal einzurichten. Die Vorbereitungen dafür laufen und sollen im Frühjahr nächsten Jahres abgeschlossen werden.

Wir wollen aber auch selbstbewusst zeigen, auf welchen Traditionen unsere Demokratie beruht. Wenn wir etwa an das Hambacher Fest oder die Paulskirche erinnern, dann stellen wir klar: Schwarz-Rot-Gold, das sind die Farben unserer demokratischen Geschichte, die Farben von Einigkeit und Recht und Freiheit. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie von denen vereinnahmt und missbraucht werden, die neuen nationalistischen Hass entfachen wollen. Wer die parlamentarische Demokratie und die Menschenrechte verachtet, hat kein Recht, sich auf diese Farben zu berufen!

Aus der Erinnerung an die demokratischen Aufbrüche unserer Geschichte können wir aber auch Kraft schöpfen für die großen Aufgaben, die vor uns liegen. Mut zur Veränderung und der feste Glaube an die Zukunft – das ist das, was Robert Blum ausgezeichnet hat. Als er auf Betreiben der Zensurbehörden ins Gefängnis muss und seine Schwester ihn drängt, seine riskante politische Arbeit aufzugeben, schreibt er ihr empört zurück: Es hätte nie ein Christentum und nie eine Reformation und keine Staatsrevolution und überhaupt nichts Gutes und Großes gegeben, wenn jeder stets gedacht hätte: ‚Du änderst doch nichts!‘

Wir sollten uns ein Beispiel an Robert Blum nehmen, gerade jetzt, im Kampf gegen das Virus, aber auch, wenn wir nach vorn schauen und die Zeit nach der Pandemie in den Blick nehmen. Wenn wir die Corona-Krise gemeinsam bewältigen wollen, wenn wir gemeinsam umsteuern und zu einem Neustart aufbrechen wollen, dann können wir seine demokratische Leidenschaft gut gebrauchen.

Ich freue mich jedenfalls, dass wir den Aufbruchsgeist der damaligen Zeit heute Vormittag hier wieder aufleben lassen. Wir werden Lieder der Freiheitsbewegung hören, instrumental, weil wir wegen Corona nicht singen dürfen. Katharina Thalbach rezitiert Liedtexte und Auszüge aus Werken von Robert Blum, und der Historiker Ralf Zerback bringt uns das Leben eines mutigen Kämpfers für Freiheit und Demokratie näher.

Ich hoffe, wir leisten einen kleinen Beitrag, die Geschichte der deutschen Demokratie wiederzuentdecken, hier in Berlin und überall in unserem Land. Und ich wünsche Ihnen, verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer, eine inspirierende Begegnung mit Robert Blum, wo immer Sie uns jetzt zuhören oder zuschauen.