Erste "Bürgerlage" zur Corona-Pandemie

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 11. Dezember 2020

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 11. Dezember zu seiner ersten "Bürgerlage" per Livestream eingeladen: "Ich will die Gelegenheit heute nutzen, um von Ihnen zu hören, was Sie umtreibt. Was Sie erleben in diesen Tagen, in diesen Wochen, in diesen Monaten. Die Lage in Deutschland ist bitterernst: hohe Infektionszahlen, viele Todesopfer. Es ist offenkundig: Wir müssen unsere Anstrengungen deutlich verstärken!"

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält bei der 'Bürgerlage' einige Begrüßungsworte zum Auftakt des Gesprächs per Videoschalte mit Bürgerinnen und Bürgern zu ihrer Lage in der Pandemie im Südsalon von Schloss Bellevue

Eine Bürgerlage im Schloss, ein Gespräch, eine Begegnung gemeinsam an einem Tisch – so gehört es sich eigentlich in einer Demokratie. Sehr gerne hätte ich Sie hierher eingeladen! Aber Corona steht uns im Wege. Eine Videokonferenz kann nie ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht ersetzen. Aber wir müssen heute diese Technik nutzen, um zusammenzukommen. Ich hoffe, Sie sitzen bequem und haben sich einen Kaffee hingestellt. Vielen Dank, dass Sie dabei sind!

Eine Rede zur Lage der Nation ist in anderen Staaten wie den USA in der Regel eine Rede des Präsidenten, in der er die Lage erklärt. So wollen wir es heute nicht halten. Die Lage des Landes, das ist in allererster Linie die Lage der Menschen in dem Land. Deshalb halte ich jetzt keine lange Rede. Sondern ich will die Gelegenheit heute nutzen, um von Ihnen zu hören, was Sie umtreibt. Was Sie erleben in diesen Tagen, in diesen Wochen, in diesen Monaten. Die Lage in Deutschland ist bitterernst: hohe Infektionszahlen, viele Todesopfer. Es ist offenkundig: Wir müssen unsere Anstrengungen deutlich verstärken!

Wie ist Ihre persönliche Lage? Wie viel Angst haben Sie persönlich um Ihre Gesundheit? Hat sich das im Laufe der vergangenen Wochen mit den dramatisch steigenden Infektionszahlen geändert? Welche Wirkungen, welche Nebenwirkungen haben die Einschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens auf Ihre Arbeit, auf Ihren Alltag? Was macht Ihnen Sorgen, was Hoffnung?

Einige von Ihnen kenne ich, einigen bin ich persönlich begegnet, bei anderen stand die Pandemie einer persönlichen Begegnung bislang im Weg. Sie arbeiten in Bereichen, die in diesen Wochen stark unter Druck stehen, in Schulen und Altenheimen, in Gastronomie und Hotellerie, im Kulturbereich. Sie engagieren sich ehrenamtlich für Mitmenschen, die in dieser Pandemie besonders bedroht, besonders eingeschränkt sind. Ich weiß, dass der ein oder andere auch aus persönlichen Gründen ganz besonders betroffen ist.

Ein herzlicher Gruß auch an Sie, liebe Bürgerinnen und Bürger, die Sie unsere Lage per Stream verfolgen. Ich freue mich darauf, dass wir später auch Fragen aus Ihrer Runde in unsere Bürgerlage einfließen lassen können.

Meine Bitte an Sie ist: Sprechen Sie aus, was Sie bewegt, was Ihre persönliche Situation ausmacht. Welche Unterstützung erwarten Sie sich von Gesellschaft und Politik?

Sagen Sie das aus Ihrer ganz eigenen Perspektive. Wir sind kein repräsentativ zusammengesetzter Kreis. Sie müssen für keine Gruppe oder Berufsgruppe sprechen, sondern allein für sich. Was zählt, sind Ihre Eindrücke und Ihre Erfahrungen. Diese versuchen wir später zu einem Gesamtbild zusammenzusetzen. Deswegen habe ich Sie eingeladen.

Wir wollen uns im Januar wieder zusammenfinden, um zu sehen: Wie sieht die Lage eineinhalb Monate später aus? Was hat sich getan? Dann wollen wir wieder den Puls nehmen – was ist gut gelaufen? Was muss dringend besser werden?

Diese Pandemie kennt keinen stabilen Status quo. Zu viele Menschen infizieren sich in diesen Tagen in zu kurzer Zeit. Zu viele ringen in den Krankenhäusern auf den Intensivstationen um ihr Leben. Zu viele, viel zu viele Menschen sterben. Tag für Tag.

Die Lage ist bitterernst. Hinter jedem Todesfall steht ein Schicksal, steht eine Familie, stehen Freunde, die um den Verstorbenen trauern. Wir sind in unseren Gedanken bei den Angehörigen. Wir denken an die Erkrankten, die zur Behandlung im Krankenhaus sind und unter schwerwiegenden Folgen leiden. Wir denken auch an all die Menschen in unserem Gesundheitswesen, die Tag für Tag über sich hinauswachsen, um Leben zu retten.

Aber wenn sich jeden Tag zehntausende Menschen mit dem Virus infizieren, wenn täglich Hunderte an ihm sterben, dann bedeutet das auch: Wir müssen unsere Anstrengungen im Kampf gegen die Pandemie dringend weiter verstärken. Das gilt für die politischen Entscheidungen auf allen Ebenen. Ich bin mir sicher, das wird geschehen und das muss geschehen. Das gilt aber auch für unser persönliches Handeln. Jeder und jede muss sich fragen: Was kann ich tun, damit sich das Virus nicht noch weiter verbreitet? Wie kann ich noch mehr Vorsicht für mich und noch mehr Rücksicht für andere üben?

Ich weiß um die Härten der Einschränkungen, gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit. Aber trotz aller Härten haben wir keinen Grund zur Resignation. Wir haben in den vergangenen Monaten erlebt, dass es dank der Anstrengungen der Forschung weltweit gelungen ist, Impfstoffe zu entwickeln, die im Zulassungsverfahren sind und uns bald zur Verfügung stehen werden. Trotz der Hoffnung auf die Impfstoffe: Das Virus ist noch nicht besiegt. Es ist weiterhin solidarische Anstrengung und Rücksichtnahme erforderlich. Deshalb meine Bitte: Halten wir in den kommenden Monaten mit Abstand und Haltung zusammen. Bleiben wir vernünftig und solidarisch. Dann haben wir allen Grund zur Zuversicht, dass sich die Lage zu Beginn des nächsten Jahres verbessert.

Soweit meine Begrüßungsworte. Ich freue mich auf den Dialog mit Ihnen allen!


Videomitschnitt des gesamten Gesprächs