Videobotschaft beim Festkonzert zum 250. Tauftag von Ludwig van Beethoven

Schwerpunktthema: Rede

Bonn, , 17. Dezember 2020

Der Bundespräsident hat am 17. Dezember beim Konzert zum 250. Tauftag von Ludwig van Beethoven in Bonn eine Rede gehalten, die als Videobeitrag übermittelt wurde: "Beethoven ist pure Emotion. Deshalb versteht man seine Musik auf der ganzen Welt, von Tokio bis Vancouver, von São Paolo bis Singapur. Trauer und Wut, Liebe und Überschwang, Freundschaft und Freude: Diese Gefühle teilen wir alle miteinander."


Beethoven ist groß. Er begegnet mir fast jeden Tag, kein Weg führt an ihm vorbei, und das meine ich sehr wörtlich, denn er steht vor meinem Büro. Beethovens Größe sprengt jedes Schloss, auch wenn er vor meiner Tür nur neunundneunzig Zentimeter misst, wie Sie sehen können. Golden lackiert, wetterfest und leicht transportabel, heißt es in der Beschreibung des Projekts UNSER LUDWIG, dessen Statuen in der Beethoven-Stadt Bonn auf dem Münsterplatz zu sehen waren und zu Recht viel Zuspruch erhalten haben.

Jetzt steht und strahlt Beethoven also hier im Schloss Bellevue, wo wir vor genau zwölf Monaten das Jubiläumsjahr mit einem Wandelkonzert eröffnet haben. Die Pandemie hat seitdem vieles verändert. Es ist eine schwere Zeit, gerade für die Kultur, für unsere Kulturschaffenden, für alle Musikerinnen und die Mitarbeiter an den Häusern. Auch das Beethovenjahr muss in die Verlängerung, denn viele der geplanten Veranstaltungen fielen aus oder wurden verschoben. Solche Einschnitte betreffen uns alle, denn Kultur ist, im Wortsinne, Lebensmittel. Auch das heutige Konzert findet vor einem leeren Saal statt – dafür aber mit umso größerem Publikum im ganzen Land, auf der ganzen Welt, zu Hause an den Bildschirmen oder am Radio. Das freut mich sehr und ich begrüße alle Zuschauerinnen und Zuschauer ganz herzlich!

Beethoven ist groß. Sie wissen es, ich weiß es und schon Beethovens Zeitgenossen wussten es: Ich habe niemals, schrieb ihm Johann Wolfgang von Goethe aus Karlsbad, etwas von Ihren Arbeiten durch geschickte Künstler und Liebhaber vortragen hören, ohne daß ich gewünscht hätte Sie selbst einmal am Clavier zu bewundern und mich an Ihrem außerordentlichen Talent zu ergetzen. Ob in Wien, Berlin, Paris oder London: Beethoven war in. Er ist es bis heute, als meistgespielter Komponist der Welt.

Ludwig van Beethoven, das außerordentliche Talent, durchlebte außergewöhnliche Zeiten: Geboren, als es das Alte Reich noch gab, Georgia noch George dem III. gehörte und in Versailles noch ein Ludwig regierte; aufgewachsen mit den Idealen von Menschenrechten und Französischer Revolution, mit Nachrichten vom Werden der Vereinigten Staaten; ertaubt im Europa der Koalitions- und Befreiungskriege gegen Napoleon, in den Jahren von Kongress und Restauration; und gestorben in einer völlig neuen, zunehmend bürgerlichen und industriellen Welt, zwei Jahre nach der Eröffnung der ersten öffentlichen Eisenbahnlinie, im Alter von 56 Jahren.

Beethoven war voll scheinbarer Widersprüche. Er rebellierte gegen gesellschaftliche Konventionen, wusste aber zugleich geschickt mit der Welt des Adels umzugehen. Er war zu Lebzeiten schon ein Star, gefeiert an den Höfen Europas, und lebte zugleich oft unglücklich und zurückgezogen, vereinsamt und am Ende zunehmend verwahrlost. Die Brust ist voll dir viel zu sagen […]. Es gibt Momente, wo ich finde daß die sprache noch gar nichts ist, schreibt er in Teplitz an die Unsterbliche Geliebte, und man hört den Unmut eines Mannes, dessen wahre Sprache die Musik ist.

Oder, wie Goethe nach ihrem einzigen, nur wenige Tage dauernden Zusammentreffen schrieb: Zusammengefasster, energischer, inniger habe ich noch keinen Künstler gesehen, er ist eine ganz ungebändigte Persönlichkeit. Die beiden wurden keine Freunde, zu unterschiedlich die Charaktere, aber der Dichter meinte den Komponisten zu verstehen: Ich begreife recht gut, wie er gegen die Welt wunderlich stehen muss., schreibt Goethe.

Beethoven ist pure Emotion. Deshalb versteht man seine Musik auf der ganzen Welt, von Tokio bis Vancouver, von São Paolo bis Singapur. Trauer und Wut, Liebe und Überschwang, Freundschaft und Freude: Diese Gefühle teilen wir alle miteinander, werden darüber Brüder und Schwestern. Diese Sprache verstehen alle Menschen. Milliarden kennen seine Töne. Auch wer ohne Klavier im Wohnzimmer aufgewachsen ist, wer nie Musikunterricht hatte, der kennt Beethoven – und seien es auch nur die großen Gassenhauer, der Beginn der Fünften etwa, die Ode an die Freude, die Mondscheinsonate, und wenn auch nur als Handy-Klingelton oder als Filmmusik. Das ist nur wenigen Komponisten seiner Zeit gelungen.

Der Deutschlandfunk hat in diesem Jubiläumsjahr mit den Briefen an Beethoven eine schöne Aktion gestartet. So hat die taiwanesisch-deutsche Pianistin Pi-hsien Chen ihrem Beethoven geschrieben: Ein weltliches Happy End konntest Du im […] Leben nicht bekommen. Doch Dein Wunsch war immer da: für die ganze Menschheit! […] Nun hast Du Millionen von fernen Geliebten. Alle nutzen Deine Musik für den Ruf nach Hoffnung, Frieden und Gerechtigkeit.

So ist es. Heute vor 250 Jahren wurde er getauft, vermutlich wenige Tage zuvor geboren. Beethoven inspiriert uns, über die Stunde, den Tag, das Jahr hinaus – und er macht uns Mut für das große Abenteuer, gemeinsam Mensch zu sein auf dieser Welt. Dafür sind wir ihm bis heute dankbar.

Ich wünsche uns allen ein wundervolles Konzert und übergebe nach Bonn, an den Maestro, Daniel Barenboim.

Die Rede des Bundespräsidenten wurde zuvor aufgezeichnet und als Videobeitrag übermittelt.