Gespräch mit Hinterbliebenen von in der Corona-Pandemie Verstorbenen

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 5. März 2021

Bundespräsident Steinmeier hat am 5. März ein Gespräch mit fünf Menschen, die während der Corona-Pandemie Angehörige verloren haben, mit einer Ansprache eröffnet: "Als Bundespräsident halte ich es für sehr wichtig, dass wir innehalten, um gemeinsam in Würde Abschied zu nehmen von den Verstorbenen in dieser Zeit der Pandemie – auch von jenen, die nicht dem Virus zum Opfer gefallen sind, aber genauso einsam gestorben sind." Hier finden Sie einen Videomitschnitt.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Austausch mit Aslan Mahmood und Kirsten Grieshaber im Großen Saal von Schloss Bellevue anlässlich eines Gesprächs mit Hinterbliebenen, die in der Corona-Pandemie Angehörige verloren haben

Ich begrüße Sie sehr herzlich zu unserem heutigen Gespräch hier im Schloss Bellevue – es ist ein sehr besonderes Gespräch, das darf ich Ihnen versichern, auch für mich. Natürlich rede ich in diesen Wochen und Monaten viel mit Menschen aus dem ganzen Land über Corona, über die Pandemie, über die Folgen der Pandemie. Aber heute wollen wir uns einem Thema widmen, über das schon das Sprechen schwerfällt, den meisten schwerfällt: über das Sterben und den Tod.

Sie, liebe Gäste, Sie haben Angehörige verloren. Ich möchte Ihnen zuallererst meine tiefe Anteilnahme aussprechen für den großen Verlust, den Sie erlitten haben. Und ich möchte Ihnen von ganzem Herzen danken dafür, dass Sie zu diesem Gespräch heute Morgen hier in Berlin bereit sind.

Inzwischen deutlich mehr als 70.000 – so viele Menschen in unserem Land sind Corona bereits zum Opfer gefallen. Und viele andere sind in dieser Zeit der Pandemie einen einsamen Tod gestorben. Ja, es gibt Hoffnung, dass wir diese Pandemie besiegen werden – dank der Impfstoffe, die zur Verfügung stehen und die mehr und mehr zur Verfügung stehen werden. Aber 70.000, das ist und das bleibt eine erschütternde, eine verstörende Dimension. Und noch immer sterben Tag für Tag hunderte Menschen an einer Covid-19-Infektion.

70.000 – das sind nicht nur einfach Fallzahlen, das sind nicht nur einfach Elemente einer Statistik. Hinter jeder einzelnen Zahl steht ein Schicksal, steht ein Mensch, der von uns gegangen ist. Dahinter stehen Menschen, die ihre Liebsten verloren haben, Menschen, die gebangt, gezittert, gekämpft haben, die sich manchmal nicht einmal verabschieden konnten. Dahinter steht unendliche Trauer, unendlicher Schmerz und manchmal, wie ich aus Ihren Zuschriften weiß, auch große Bitterkeit.

Bisher haben die Menschen meist im Stillen und individuell getrauert, und viele konnten von ihren Liebsten nur im allerkleinsten Kreis Abschied nehmen, mussten nächste Verwandte, auch engste Freunde von der Trauerfeier sogar ausschließen. Aus den Briefen, die mich erreicht haben, weiß ich aber, dass das Thema Sterben und Tod in dieser Pandemie viele Menschen bedrückt und bewegt. Uns allen fehlt eine Form des gemeinsamen Gedenkens, des Abschiednehmens. Denn wir spüren gerade jetzt in dieser dunklen Zeit, wie verletzlich wir als Menschen sind und wie sehr wir als Gemeinschaft aufeinander angewiesen sind.

Ein ganz starker Beleg dafür war für mich die öffentliche Reaktion auf die Anregung, ein kleines und doch so naheliegendes Zeichen zu setzen, nämlich überall im Land ein Licht als Zeichen der Trauer und Anteilnahme ins Fenster zu stellen. Viele, ganz viele haben das getan und tun es weiter. Und dafür bin ich dankbar. Ich glaube aber, dass wir der Verstorbenen auch gemeinsam, als Gemeinschaft gedenken sollten. Am 18. April wird es in Berlin eine Gedenkfeier mit der Staatsspitze und Hinterbliebenen geben und – ich hoffe sehr, dass die Pandemie es zulässt – mit weiteren Gästen. Und ich würde mich freuen, wenn an diesem Tag Menschen überall in unserem Land der Verstorbenen gedenken.

Als Bundespräsident halte ich es für sehr wichtig, dass wir innehalten, um gemeinsam in Würde Abschied zu nehmen von den Verstorbenen in dieser Zeit der Pandemie – auch von jenen, die nicht dem Virus zum Opfer gefallen sind, aber genauso einsam gestorben sind. Um gemeinsam zu sagen: Ihr werdet nicht vergessen. Und um den Hinterbliebenen eine Stimme zu geben und zu zeigen: Ihr seid nicht allein in eurem Leid, nicht allein in eurer Trauer.

Liebe Gäste, die Sie heute Morgen entweder hier sind oder über den Bildschirm zugeschaltet sind: Sie tun das heute schon. Sie als Hinterbliebene geben vielen anderen mit einem ähnlichen Schicksal eine Stimme. Das beeindruckt mich sehr, und ich danke Ihnen dafür!