Videoansprache zur Eröffnung des 22. Deutschen Bankentages

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 19. April 2021

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat den digital abgehaltenen 22. Deutschen Bankentag am 19. April mit einer Ansprache eröffnet, die vorab aufgezeichnet wurde: "Nicht selten können Krisen auch eine Chance sein, der Beginn eines Aufbruchs zu Neuem, Besserem und Gewinnbringendem." Und weiter sagte er: "Nicht Banknoten, nicht Bitcoins, nein, Vertrauen ist die eigentliche Währung. Das hat uns eine Krise ein weiteres Mal gelehrt. Hüten wir dieses Vertrauen, pflegen wir es – in der Finanzwirtschaft wie in der Politik."


Ich danke Ihnen für die Einladung und freue mich, heute zu Ihnen sprechen zu können. Auch wenn ich mir für diese Gelegenheit bessere Zeiten gewünscht hätte. Es ist gut, dass die Impfkampagne jetzt Fahrt aufnimmt, aber einstweilen hat uns die Pandemie noch fest im Griff. Sie verlangt hohe Opfer und bringt schwere Belastungen mit sich, für die Menschen, für die Unternehmen, für die Wirtschaft insgesamt.

Krise – das ist kein Wort, mit dem man eine Rede beginnen möchte. Und doch sind es leider oft die Krisen, in denen die Finanzwirtschaft und die Politik miteinander zu tun bekommen. Krisen zu bestehen, das ist beider Geschäft. Aber nicht selten können Krisen auch eine Chance sein, der Beginn eines Aufbruchs zu Neuem, Besserem und Gewinnbringendem.

Vor dreizehn Jahren, als die Bundesregierung den Bürgerinnen und Bürgern auf dem Höhepunkt der weltweiten Finanzkrise versprach, ihre Einlagen seien sicher, war deshalb die Krise natürlich noch nicht vorüber. Aber es war ein Wendepunkt, an dem durch Glaubwürdigkeit und geschaffenes Vertrauen verhindert werden konnte, dass die verheerenden Folgen unverantwortlichen Verhaltens in der globalen Finanzwirtschaft auf weitere Teile der Wirtschaft übergriffen.

Vertrauen ist eine Grundvoraussetzung, es ist die wichtigste Währung. Das merken wir besonders in Krisenzeiten – in der Politik ebenso wie in der Finanzwirtschaft.

Lieber Herr Peters, Sie wissen das natürlich nicht erst seit Ihrer Zeit als Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken. Es zeichnet Sie aus, dass Sie dieses Amt und die damit verbundene Verantwortung im vergangenen Jahr ein weiteres Mal übernommen haben.

Ebenso einen herzlichen Glückwunsch an Herrn Sewing zur heutigen Ernennung zum neuen Präsidenten des deutschen Bankenverbandes. Auch wenn Sie das Ehrenamt erst später antreten werden, lieber Herr Sewing, wünsche ich Ihnen bereits jetzt viel Erfolg und Kraft in dieser herausfordernden Zeit.

Dass der Standort Frankfurt am Main erst vor wenigen Wochen zum wichtigsten Finanzplatz in Kontinentaleuropa gekürt wurde, noch vor den Wettbewerbern Zürich, Paris oder Luxemburg, darf uns ebenfalls freuen. Dort befinden sich auch die Hauptzentralen der Deutschen Bank und der Commerzbank. Diesen beiden Banken darf ich noch einen verspäteten, aber herzlichen Glückwunsch zum 151. Geburtstag senden.

Doch zurück zu den Krisen und den Herausforderungen. Die globale Finanzmarktkrise im Jahr 2008 zog noch viele Jahre wirtschaftliche Erschütterungen nach sich. Sie hat auch unsere gemeinsame Währung, den Euro, unter enormen Druck gesetzt. Rückblickend können wir sagen, wir haben diese existenzielle Herausforderung gemeistert – gemeinsam: Wirtschaft, Finanzsektor und Politik, in Deutschland und Europa.

Heute sind wir ein weiteres Mal gefordert. Die Folgen der Pandemie stellen Europa vor die nächste Bewährungsprobe.

Doch obwohl wir inzwischen schon eine gewisse Krisenerfahrung besitzen, kann man nie eine Krise wie eine Schablone auf den Verlauf der nächsten legen. Leider gilt: Krise ist nicht gleich Krise.

Finanzwirtschaft und Banken sind nicht der Auslöser dieser Krise. Sie sind, anders als vor dreizehn Jahren, auch nicht das Problem, sondern sie können und sollten ein Teil der Lösung sein. Sie können dabei helfen, die schweren wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu lindern und in den Griff zu bekommen.

Die Banken haben in den Jahren nach der Finanzkrise und der Eurokrise schmerzhafte Erfahrungen gemacht – nicht weniger die Steuerzahler. Viel Lehrgeld wurde bezahlt, aber es wurden auch Lehren gezogen. Vieles wurde auf den Prüfstand gestellt und einem kritischen Blick unterstellt. Denn verloren gegangenes Vertrauen gewinnt nur zurück, wer Fehler schonungslos eingesteht und aus ihnen lernt.

Neu geschaffene Institutionen – wie zum Beispiel eine einheitliche europäische Bankenaufsicht in Frankfurt oder die gemeinsame Abwicklungsbehörde in Brüssel – sollen heute die Steuerzahler davor schützen, noch einmal in erheblichem Umfang für gravierende Fehler der Finanzwirtschaft aufkommen zu müssen. Und sie verringern das Risiko, dass noch einmal die gesamte Wirtschaft in Mitleidenschaft gezogen wird.

Doch wir müssen achtgeben, dass die Beanspruchung der Staatshaushalte in der Corona-Krise, ausfallende Steuereinnahmen und hohe Verschuldungen, die Eurokrise nicht wieder anfachen. Dafür haben sich die EU-Staaten auf den gemeinsamen Wiederaufbaufonds geeinigt.

Was bereits erreicht worden ist, kann dabei von Nutzen sein: Ich habe den Eindruck, dass die derzeitige Krise, die Pandemie, das deutsche Finanzsystem kaum erschüttert hat. Ja es scheint, als herrsche sogar ein gewisser Optimismus, auch aufgrund der staatlichen Hilfen, die schnell und massiv die ersten Folgen der Krise abfedern konnten. Jedenfalls will ich den Worten von Herrn Peters gern vertrauen, wenn er sagt, das Bankensystem in Deutschland ist heute stabil und wird es auch morgen sein.

Der Staat hat den vielen notleidenden Unternehmen in den vergangenen Monaten immer wieder unter die Arme gegriffen. Und es ist gut, dass er das konnte und immer noch kann. Auch die Banken tun gut daran, sich ausreichend vorzubereiten, um den Finanzsektor vor möglichen pandemiebedingten Turbulenzen zu schützen. Unser Land braucht verantwortungsvolle Banken. Banken, auf die wir uns verlassen können.

Wir wissen von Matthias Claudius, dass die Ehre eines Menschen daran hängt, ob wir ihm vertrauen können.

Was in den vergangenen zehn Jahren im Finanzsektor wiederaufgebaut und neu geschaffen wurde, waren nicht nur Institutionen. Es war Vertrauen. Vertrauen, das Sparer und Anlegerinnen verloren hatten. Die deutschen Banken scheinen es nach der Eurokrise zurückgewonnen zu haben. Dieses Vertrauen sollte gehütet und gepflegt werden, denn es ist das Fundament für die Stabilität unserer Währung und unseres Finanzsystems.

Fälle wie die insolvente Bremer Greensill Bank und mehr noch der Fall Wirecard sind dagegen geeignet, das mühselig zurückgewonnene Vertrauen wieder zu verspielen. Betrug beschädigt das Fundament des Finanzsystems insgesamt – ganz unabhängig davon, welcher Akteur verantwortlich ist –, er stiftet Unruhe auf den Finanzmärkten, verunsichert Anleger und wirft regulatorische und ethische Fragen auf. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bafin wird sich dieser Herausforderung mit einem neuen Präsidenten an der Spitze widmen. Ich wünsche ihm – in unserem gemeinsamen Interesse – für diese verantwortungsvolle Aufgabe Erfolg, Mut und Fortune.

Doch auch wenn die Banken nicht das Epizentrum der augenblicklichen Krise sind, stehen sie doch unter enormem Druck. Die Aufgaben sind anspruchsvoll: Inmitten der aktuellen Rezession sollen sie der Wirtschaft – bei einem ständig wachsenden Risiko – Geld zuführen. Und sie sollen helfen, die Wirtschaft und unser Land zukunftsfähig zu machen.

Die Pandemie hält unserem Land den Spiegel vor: Sie hat uns gezeigt, dass Deutschland aufholen muss, etwa beim Ausbau digitaler Infrastruktur, und womöglich auch umsteuern muss.

Ich denke, Italiens Ministerpräsident, der frühere Chef der Europäischen Zentralbank Mario Draghi, hat die Zeichen der Zeit richtig gedeutet, als er im vergangenen Jahr forderte, die europäischen Staaten sollten zur Finanzierung der Pandemiefolgen in Projekte investieren, die zu nachhaltigem Wachstum führen: in Bildung, in Digitalisierung und Innovation. Dies ist auch ein guter Wegweiser für Kreditvergaben.

Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind zwei entscheidende Pfeiler, wenn es darum geht, Deutschlands Wirtschaft in die Zukunft zu führen. Richtet sich auch das Finanzwesen daran aus, sitzen die Banken in einer Schlüsselposition: Sie können nach dem Ende der Pandemie die Transformation der Wirtschaft finanziell unterstützen. Sie können die Wirtschaft von der Rezession auf einen Wachstumspfad leiten, der nicht in wenigen Jahren in der nächsten Sackgasse endet.

Ein stabiles Finanzsystem ist nicht nur eine Voraussetzung für eine prosperierende Wirtschaft, es ist auch wichtig für unsere Zukunftsfähigkeit und für die Entlastung künftiger Generationen.

Im Finanzsystem ist Nachhaltigkeit kein Nischenthema mehr, las ich erst vor Kurzem in einer Publikation des Bankenverbands. Das ist gut, nicht nur für uns, sondern auch für die Generationen, die nach uns folgen.

Im Rahmen des Green Deals der Europäischen Kommission hat sich Deutschland dazu verpflichtet, die Treibhausgase bis 2030 im Vergleich zum Jahr 1990 um mindestens 55 Prozent zu senken. Deutschland trägt als eine der führenden Industrienationen eine besondere Verantwortung für den weltweiten Klimawandel.

Um diese Ziele zu erreichen, wird in den kommenden Jahren viel Kapital für ökologisch nachhaltige Investitionen benötigt. Banken spielen eine zentrale Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels, denn mit öffentlichen Mitteln allein kann der gewaltige Investitionsbedarf nicht gedeckt werden. Vor allem privates Kapital muss hierfür mobilisiert werden.

Wir brauchen aber für die Finanzierung der Zukunft nicht nur nachhaltige Investitionen, wir brauchen ebenso Investitionen in die Digitalisierung. Und dafür bedarf es gerade auch mutiger Investitionen, die den Glauben an die Innovationskraft unserer Unternehmen und unseres Landes widerspiegeln. Hierbei denke ich besonders an das Wagniskapital und an die Finanzierung von Existenzgründungen.

Nun weiß ich, Vertrauen beruht immer auf Gegenseitigkeit. Kunden vertrauen den Banken, aber Banken sollten auch ihren Kunden, ihren Ideen, ihrer Kreativität vertrauen.

Mir scheint, an Letzterem mangelt es bisweilen. Um in Ideen für die Zukunft zu investieren, in Wagniskapital und in Start-Ups also, bedarf es Mut. Mut, an die Träume und Visionen anderer zu glauben.

Wie wir in den vergangenen Monaten, in der Pandemie erfahren haben, können manche Träume durchaus Realität werden – und sogar sehr schnell. So ist es in weniger als einem Jahr gelungen, für die Menschheit mehrere wirkungsvolle Impfstoffe gegen das tödliche Virus zu entwickeln.

Der Impfstoff ist das Ergebnis von Wagnis und Mut. Die Biotechnologie ist ein Risikogeschäft. Ja, finanzielle Risiken einzugehen, wenn es um langfristige Investitionen in die Zukunft geht, und dabei zugleich die Regeln für Transparenz und Haftung einzuhalten, das fällt uns in Deutschland nicht immer leicht. Ich wünschte mir hierzulande oft mehr mutige Investoren, die Wagnis und Vertrauen in die eigene Zukunft und den eigenen Entdeckergeist zeigen.

Vertrauen der Kunden und Entdeckergeist bei den Banken braucht es auch bei dem Thema digitale Währungen. Im Euroraum wird über einen digitalen Euro nachgedacht. Er soll als Zahlungsmittel das Bargeld ergänzen, aber nicht ersetzen. Es wäre ein Mittel, mit dem vermieden werden könnte, dass der europäische Zahlungsverkehr von Anbietern außerhalb Europas beherrscht wird – von Techgiganten, die zum Beispiel Kunstwährungen anbieten und nicht in den Europäischen Regulierungsrahmen fallen. Und er könnte verhindern, dass Konsumenten marktbeherrschenden Anbietern ausgesetzt sind.

Nicht Banknoten, nicht Bitcoins, nein, Vertrauen ist die eigentliche Währung. Das hat uns eine Krise ein weiteres Mal gelehrt. Hüten wir dieses Vertrauen, pflegen wir es – in der Finanzwirtschaft wie in der Politik.

Ihnen allen wünsche ich einen interessanten virtuellen Bankentag 2021!