Es sind bewegte Zeiten. Wir stehen vor wichtigen Wahlen, vor politischen Umbrüchen und vielen offenen Fragen. Ich habe versprochen, auf eine der offenen Fragen, die nach meinen persönlichen Zukunftsabsichten nämlich, rechtzeitig und transparent eine Antwort zu geben, und das tue ich heute gern.
Ich möchte mich für eine zweite Amtszeit als Bundespräsident zur Wahl stellen.
Ich möchte unser Land auf seinem Weg in die Zukunft begleiten, eine Zukunft nach der Pandemie, eine Zukunft nach Corona, die jetzt endlich in Sicht gerät.
Deutschland steht heute an einem Wendepunkt. Auf der einen Seite befreien wir uns, jeden Tag ein Stück mehr, aus den Fängen der Pandemie. Auf der anderen Seite treten ihre Folgen für die Gesellschaft jetzt umso schärfer hervor.
Die Pandemie hat tiefe Wunden geschlagen. Sie hat Leid und Trauer gebracht, wirtschaftliche und seelische Not, und viel, viel Frust und Bitterkeit. Wir haben uns wundgerieben im Streit um den richtigen Weg.
Ich möchte helfen, diese Wunden zu heilen. Ich möchte, dass die Pandemie uns als Gesellschaft nicht gespalten zurücklässt, nicht misstrauisch oder ängstlich.
Ja – wir haben in den letzten fünfzehn Monaten erfahren, wie verletzlich wir sind. Aber wir haben auch etwas anderes erfahren: Wenn es hart auf hart kommt, sind wir auf andere angewiesen – und andere auf uns. Darauf, auf diese elementare Erfahrung, sollten wir unsere Zukunft bauen.
Ein Bundespräsident gibt dabei nicht die politische Richtung vor. Das ist mir sehr bewusst. Aber der Bundespräsident kann Brücken bauen: Brücken zwischen den Gruppen in der Gesellschaft, Brücken zu unseren Nachbarn und Partnern in der Welt, und Brücken in eine Zukunft, die uns noch große, gemeinsame Leistungen abverlangen wird – vor allem im Kampf gegen den Klimawandel.
Dieses Amt des Bundespräsidenten – ich empfinde es jeden Tag als Ehre, als Freude, und als enorme Herausforderung. Die Herausforderung, Zuversicht und Orientierung zu stiften, Menschen zusammenzuführen, in einer tiefen Krise wie derzeit, aber auch im Blick auf uns selbst und auf unsere Geschichte, auf wichtige Meilensteine – zuletzt 100 Jahre Ausrufung der ersten deutschen Republik, 75 Jahre Befreiung von Auschwitz und Kriegsende, drei Jahrzehnte Friedliche Revolution und Wiedervereinigung. Und jetzt bald, in zwei Jahren, der Jahrestag der Paulskirche. Für diese Arbeit insgesamt möchte ich um neues Vertrauen bitten.
Mir ist bewusst, dass die politischen Parteien jetzt erst einmal eine andere Wahl vor Augen haben, die Bundestagswahl, und das ist gut und richtig so. Aber zugleich möchte ich, dass die Menschen wissen, wo ihr Bundespräsident steht. Deshalb habe ich mich entschlossen, mich heute klar zu bekennen.
Alles andere, meine Damen und Herren, alles andere liegt nicht in meiner Hand. Ich weiß, dass ich nicht von vornherein auf eine Mehrheit in der Bundesversammlung bauen kann. Aber ich trete nicht aus Bequemlichkeit an, sondern aus Überzeugung.
Vor fünf Jahren, als ich meine Bereitschaft erklärte, gab es auch keine Gewissheit. Und als mir dieses Amt dann im Februar 2017 anvertraut wurde, habe ich aus tiefer Überzeugung die Demokratie zu meinem Leitthema gemacht. Diese Überzeugung werde ich natürlich nicht fallenlassen, wenn es jetzt um meine eigene Zukunft geht.
Gewissheit gibt es in der Demokratie nicht, auch nicht bei der Wahl des Bundespräsidenten. Und das halte ich nicht für einen Makel, sondern das genau ist eine Stärke der Demokratie. Ich jedenfalls freue mich auf ein offenes und ein faires Verfahren.
Ihnen allen herzlichen Dank.