Ordensverleihung: "Natur – Umwelt – Klimaschutz"

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 7. Juni 2021

Bundespräsident Steinmeier hat am 7. Juni bei der Ordensverleihung unter dem Motto "Natur – Umwelt – Klimaschutz" eine Rede in Schloss Bellevue gehalten: "Sie alle führen uns vor Augen, was auf dem Feld des Natur-, Umwelt- und Klimaschutzes möglich ist. Sie machen Mut, dass wir den Sprung in eine klimaneutrale Welt schaffen können. Sie zeigen uns: Zuversicht ist erlaubt, wenn wir jetzt gemeinsam anpacken, mit Leidenschaft und Begeisterung."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Rede bei der Ordensverleihung unter dem Motto 'Natur – Umwelt – Klimaschutz'' im Großen Saal von Schloss Bellevue

Vor knapp drei Jahren, im Spätsommer 2018, hatten wir hier in Bellevue Besuch aus dem All. Damals haben wir draußen im Park das Bürgerfest gefeiert, und am zweiten Tag war uns Alexander Gerst von der Internationalen Raumstation zugeschaltet – live in Bild und Ton.

Er hat den Tausenden Gästen und allen an den Bildschirmen in unnachahmlicher Weise vor Augen geführt, wie atemberaubend der Blick auf die Erde von dort oben ist. Aber er hat uns auch darauf aufmerksam gemacht, wie viel Erschreckendes man von dort oben entdecken kann, wenn man genauer hinschaut: Gletscher, die schmelzen; Seen, die schrumpfen; Wälder, die abgeholzt werden – und nach dem damaligen Hitzesommer auch viele braune, vertrocknete Stellen in Deutschland und in ganz Europa.

Der Blick aus dem All hat damals auch denen unter den Gästen, die das Thema gerne ignorieren, bewusst gemacht, dass die dramatischen Folgen von Umweltzerstörung und Klimawandel, vor denen Forscherinnen und Forscher seit Jahrzehnten warnen, keine ferne Dystopie sind. In vielen Teilen der Welt sind sie längst eingetreten, in anderen zeichnen sie sich ab. Vor allem der Klimawandel vernichtet Lebensräume von Pflanzen und Tieren und bedroht die Artenvielfalt. Er macht viele Regionen auch für Menschen unbewohnbar, führt zu massenhafter Migration, befeuert bestehende Konflikte und gefährdet den Frieden.

Deshalb müssen wir den Ausstoß von Treibhausgasen nicht irgendwann später senken, sondern jetzt – in Deutschland, in Europa und weltweit. Wenn wir es heute unterlassen, schneller und ambitionierter zu handeln, dann bürden wir zukünftigen Generationen umso höhere Lasten und Kosten auf, dann werden sich unsere Kinder und Enkel in unzumutbarer Weise in ihrer Freiheit einschränken müssen, um die Klimaziele überhaupt noch erreichen zu können.

Es geht darum, heute Verantwortung zu übernehmen, um den jungen und den kommenden Generationen morgen ein gutes und selbstbestimmtes Leben auf unserem Planeten zu ermöglichen. Und es geht um nicht weniger als einen grundlegenden Wandel, der alle Bereiche unseres Lebens betrifft: die Art, wie wir Energie erzeugen, wie wir wirtschaften, produzieren, unseren Abfall entsorgen, wie wir arbeiten, wohnen, uns fortbewegen, uns ernähren.

Wie wir den Aufbruch in eine klimaneutrale Gesellschaft gemeinsam gestalten wollen, wie es gelingen kann, niemanden zurückzulassen, Kosten fair zu verteilen, die Freiheit der heute lebenden und der künftigen Generationen so wenig wie möglich einzuschränken – darüber müssen wir diskutieren, auch streiten und in demokratischen Verfahren entscheiden.

Es ist aber nicht nur die Politik, die jetzt auf allen Ebenen handeln muss. Auch Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft sind gefragt, es kommt auf uns alle an, auf jede und jeden Einzelnen. Deshalb freue ich mich, dass diese Woche hier in Bellevue ganz im Zeichen der vielen Menschen steht, die in unserem Land mit gutem Beispiel vorangehen.

Am Donnerstag und Freitag, bei der Woche der Umwelt hier im Park, präsentieren Wegbereiterinnen und Wegbereiter des Wandels ihre Ideen für eine klimaneutrale Industriegesellschaft. Unter dem Motto So geht Zukunft! führen sie uns dabei vor Augen, wie ökologische Innovationen, Arbeitsplätze und Wohlstand miteinander gehen.

Heute Mittag wollen wir drei Frauen und drei Männer auszeichnen, die sich in herausragender Weise für den Natur-, Umwelt- und Klimaschutz einsetzen, und das schon seit vielen Jahren. Sie vermitteln Wissen und schaffen Bewusstsein, schützen Pflanzen und Tiere, tragen dazu bei, dass Menschen schon heute besser und gesünder leben können. Sie alle stehen stellvertretend für die vielen Menschen in unserem Land, die sich beruflich oder ehrenamtlich für eine gute Zukunft auf unserem Planeten engagieren.

Es ist nur ein kleiner Kreis, der sich heute hier im Saal versammelt hat. Das lässt die Pandemie noch nicht anders zu. Aber dieser kleine Kreis steht für eine große, eine wichtige, ja eine für uns alle überlebenswichtige Aufgabe. Liebe Gäste, ich freue mich, dass Sie hier sind. Seien Sie alle ganz herzlich willkommen hier im Schloss Bellevue!

Wissenschaft ist kein Ersatz für demokratische Debatten und Entscheidungen. Aber demokratische Politik ist auf wissenschaftliche Befunde angewiesen, jedenfalls dann, wenn sie komplexe Probleme in den Griff kriegen will. Das haben wir im Kampf gegen die Pandemie erlebt, und das gilt selbstverständlich auch im Kampf gegen den Klimawandel.

Heute zeichnen wir einen Forscher aus, der seit mehr als dreißig Jahren auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam macht und dessen Stimme weltweit gehört wird. Er hat die Politik in zahllosen Gremien beraten; er hat erfolgreich dafür gekämpft, die globale Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen; und er ist ein Vordenker der post-fossilen Industriegesellschaft, dem es auch ein Anliegen ist, in der Phase des Übergangs Perspektiven für die Menschen zu schaffen.

Wie es der Zufall so will, feiert er heute seinen 71. Geburtstag. Lieber Professor Schellnhuber, herzlichen Glückwunsch und alles Gute!

Der Kampf gegen die globale Erwärmung ist eine vielschichtige Aufgabe, die sich eben nicht darin erschöpft, Energieträger wie Kohle, Erdgas und Erdöl zu ersetzen. Auch der Schutz des Waldes spielt eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, das Klima zu stabilisieren.

Hier im Saal ist eine Biologin, die sich in beeindruckender Weise für den bedrohten Regenwald in Peru einsetzt. Als Leiterin der von ihren Eltern gegründeten Forschungsstation Panguana hat sie ein Gebiet im Tiefland des Amazonas erforscht, erweitert, geschützt und schützt es bis heute. Sie engagiert sich für den Erhalt der Artenvielfalt, verbessert die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort und klärt über die Bedeutung des Regenwaldes für den Klimaschutz auf.

In den Hitzesommern der vergangenen Jahre haben wir erlebt, wie die Natur auch hierzulande unter dem Klimawandel leidet. Aber auch die Verdichtung und Ausbreitung unserer Städte oder der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft tragen dazu bei, dass Lebensräume zerstört werden. Es ist vor allem den Naturschützerinnen und Naturschützern zu verdanken, dass viele Menschen die Pflanzen- und Tierwelt an ihrem Wohnort heute bewusster wahrnehmen und selbst etwas tun, um sie zu erhalten.

Wir ehren heute eine Biologin aus Erfurt, die sich seit mehr als zwanzig Jahren für den Schutz von Fledermäusen engagiert, vor allem für die vom Aussterben bedrohte Kleine Hufeisennase. Sie kümmert sich darum, dass die Tiere in der Stadt Quartiere und Habitate finden, zum Beispiel passende Nischen an Gebäuden, und sie lässt Menschen die Tierwelt entdecken, etwa bei Stadtsafaris oder Fledermausspaziergängen.

Bei uns ist auch eine Studentin der Geoökologie, die in Bayreuth öffentliche Naturgärten anlegt, vom Tümpel bis zur Blühwiese. Der Verein, den sie mitgegründet hat, fördert die biologische Vielfalt im städtischen Raum, er macht die Vorteile einer grünen und insektenfreundlichen Stadt für alle erfahrbar, und er inspiriert viele Bürgerinnen und Bürger, eigene Biotope für Bienen und andere Insekten zu schaffen.

Viele kreative Pionierinnen und Pioniere des Wandels führen uns vor Augen, dass Klimaschutz nichts mit freudlosem Verzicht und Einschränkungen zu tun haben muss, sondern dass er unsere Lebensqualität verbessern und unsere Gesundheit fördern kann.

Wir ehren heute einen Unternehmensberater aus Wuppertal, der sich ehrenamtlich dafür eingesetzt hat, eine stillgelegte Bahntrasse in einen 23 Kilometer langen Rad- und Fußweg zu verwandeln. Inzwischen nutzen zehntausende Menschen die Nordbahntrasse, um Sport zu treiben oder mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren, statt mit dem Auto im Stau zu stehen und sich genau darüber zu ärgern.

Wenn wir gemeinsam in die klimaneutrale Gesellschaft aufbrechen wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass möglichst viele Menschen, gerade auch die jungen, ihre Sichtweisen und Interessen einbringen und sich am Wandel beteiligen können.

Wir zeichnen heute den Vorsitzenden der Deutschen Umweltstiftung aus, der sich seit vielen Jahren auch für demokratische Beteiligung stark macht. Als Kinder- und Jugendbuchautor macht er seinen Leserinnen und Lesern Mut zur Zivilcourage; er hat eine Akademie gegründet, die Umweltbildung für Auszubildende anbietet; und er unterstützt junge Menschen, die sich gemeinsam für den Klimaschutz einsetzen wollen.

Liebe Ehrengäste, Sie alle führen uns vor Augen, was auf dem Feld des Natur-, Umwelt- und Klimaschutzes möglich ist. Sie machen Mut, dass wir den Sprung in eine klimaneutrale Welt schaffen können. Sie zeigen uns: Zuversicht ist erlaubt, wenn wir jetzt gemeinsam anpacken, mit Leidenschaft und Begeisterung.

Sie alle haben sich verdient gemacht um unsere natürlichen Lebensgrundlagen und Sie haben sich verdient gemacht um die künftigen Generationen. Ich freue mich, Sie nun mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland auszeichnen zu dürfen.

Herzlichen Glückwunsch Ihnen allen und heute vor allem: ganz herzlichen Dank für Ihre Arbeit. Vielen Dank!