Festakt zum 100-jährigen Jubiläum der friedlichen dänisch-deutschen Grenzziehung

Schwerpunktthema: Rede

Sønderborg/Dänemark, , 13. Juni 2021

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat bei einem Festakt zum 100-jährigen Jubiläum der friedlichen dänisch-deutschen Grenzziehung am 13. Juni im dänischen Sønderborg eine Rede gehalten: "Was vor allem nach 1945 auf beiden Seiten dieser Grenze geschah, ist nicht weniger als ein kleines Wunder. Aus der 1920 gezogenen trennenden Linie wurde über die Jahrzehnte ein starkes Band. Neben dem Wunsch nach Eigenständigkeit wuchs das Miteinander."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Rede beim Festakt zum 100-jährigen Jubiläum der friedlichen dänisch-deutschen Grenzziehung im Kulturzentrum Alsion in Sonderburg anlässlich seiner Reise nach Dänemark

Der Sprung über die Grenze, über diese Linie von Flensburg zum Rickelsbüller Koog: Fast jede Reise nach Dänemark bringt uns Deutsche an einen Sehnsuchtsort.

Ob zum Urlaub in den Dünen oder zum Studium an den großen Universitäten; zum Segeln in der dänischen Südsee oder zum guten Arbeitsplatz auf der anderen Seite; ob in die Museen von Kopenhagen oder ins Legoland von Billund; mit Hans Christian Andersen unterm Arm, oder vielleicht Søren Kierkegaard, hygge vorfreudig auf den elegant designten Lesesessel – ganz vielen Deutschen zaubert allein der Gedanke an unser nördliches Nachbarland schon ein Lächeln ins Gesicht.

Ich gestehe, ich selbst bin ebenfalls ein großer Fan von Dänemark. Und in den vergangenen zwölf Monaten ist meine Sehnsucht nur gewachsen. Denn heute können wir endlich nachholen, was uns die Corona-Pandemie vor einem Jahr verwehrt hat, wenn wir gemeinsam das 100. Jubiläum der friedlichen Grenzziehung zwischen Dänemark und Deutschland feiern.

Was für eine Freude, was für eine Ehre, heute hier zu Ihnen sprechen zu dürfen!

Die Zeit der Volksabstimmungen von 1920 war eine Zeit durchaus gemischter Gefühle. Auf der einen Seite versprach sie das Ende von Krieg und Zerstörung, die friedliche Selbstbestimmung der Völker. Auf der anderen Seite brachte sie für viele auch Trennung und Verlust. Und wir vergessen nicht, dass das Friedensversprechen zwanzig Jahre später jäh gebrochen wurde, als wir Deutsche unsere dänischen Nachbarn überfielen. Deutschland war Dänemark wahrlich nicht immer ein guter Nachbar.

Ja, wer sich aufmacht und entlang der deutsch-dänischen Grenze auf Spurensuche geht, der erfährt etwas von den höchsten Ambitionen und den tiefsten Abgründen des 20. Jahrhunderts. Was an Zusammenleben und Versöhnung entlang dieser Linie aus Grenzsteinen und Übergängen seitdem gelungen ist, steht für das Wertvollste, was unsere beiden Länder gemeinsam hervorgebracht haben, wie Ihre Majestät einmal formuliert hat, und fordert uns zugleich heraus, als Europäer und als Menschen.

Was vor allem nach 1945 auf beiden Seiten dieser Grenze geschah, ist nicht weniger als ein kleines Wunder. Aus der 1920 gezogenen trennenden Linie wurde über die Jahre und Jahrzehnte ein starkes Band. Neben dem Wunsch nach Eigenständigkeit wuchs das Miteinander von Minderheiten und Mehrheiten, von dänischen Deutschen und deutschen Dänen.

So steht diese Grenze, an deren Geschichte wir heute erinnern, auch für das große Glück der Deutschen, unsere Nachbarn heute Freunde nennen zu dürfen. Europa ist unser gemeinsames Glück, ein freies und friedliches Europa ohne Schlagbäume und Grenzmauern.

Als Europäer ringen wir gemeinsam um den richtigen Weg – wir ringen darum, wie wir unsere Werte und die Wirklichkeit der Welt miteinander in Einklang bringen, etwa bei der Frage unserer Außengrenzen und im Umgang mit Flucht und Migration. Wir ringen um richtige Antworten auch im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Gerade die Einschränkungen in der Grenzregion unserer Länder, gerade die großen Belastungen für Familien oder Pendler haben gezeigt, wie sorgfältig wir mit unserer Nachbarschaft umgehen müssen, wieviel Wegstrecke auch noch vor uns liegt – um besser auf die nächste Krise vorbereitet zu sein.

Majestät, Frau Ministerpräsidentin, die Stärke der Verbindung zweier Länder misst sich nicht nur an Staatsbesuchen und gemeinsamen Gedenkfeiern, sondern vor allem an den Banden zwischen den Menschen auf beiden Seiten einer Grenze.

Wie stark diese Bande zwischen unseren Ländern heute sind, hat sich nicht zuletzt im Deutsch-Dänischen Kulturellen Freundschaftsjahr gezeigt – die große Deutschland-Ausstellung im Dänischen Nationalmuseum, so höre ich, hat Zehntausende begeistert.

Wenn wir Deutsche heute an die vergangenen 101 Jahre unserer Nachbarschaft zu Dänemark denken, dann tun wir dies in Demut und Dankbarkeit, im Vertrauen auf die Freundschaft zwischen unseren Völkern und mit Zuversicht für eine gute, gemeinsame Zukunft.

Ich danke Ihnen, Majestät, Frau Ministerpräsidentin, für Ihre Einladung und die Gastfreundschaft.