Was für ein schöner Abend! Und wie schön, Sie wiederzusehen hier in Berlin! Für uns, auch für mich persönlich, ist es nicht nur ein schöner Abend; ich darf Ihnen versichern, es ist auch ein ganz besonderer Abend. Denn als gute Nachbarn und Freunde waren Niederländer und Deutsche es gewohnt, sich häufig, viele sogar täglich, und vor allen Dingen ganz selbstverständlich zu sehen. Das gilt vor allem auch für Sie persönlich. Es gibt wohl kaum ein deutsches Bundesland, das Sie, Majestäten, in den vergangenen Jahren vor der Pandemie noch nicht besucht haben. Dass uns noch einmal Grenzen trennen würden, die wir nicht praktisch unbemerkt passieren können, das war ein Gedanke, der uns fremd geworden ist in der Europäischen Union.
So war es, bis ein Virus alles, was uns vertraut und unveränderlich schien, aus den Angeln hob. Heute, nach einem langen Jahr der Pandemie, bekommt jede Begegnung – noch dazu eine Begegnung unter Freunden – eine neue Qualität, eine besondere Qualität. Sie ist Rückversicherung und Neubeginn zugleich – ein Anknüpfen an das Bewährte und ein Wiedersehen auf eine ganz neue Weise.
Wir sehen einander wieder nicht nur als gute alte Freunde, sondern als Vertraute und Partner in einer Welt, in der wir aufeinander angewiesen sind. Wie sehr, das haben wir in diesem zurückliegenden Jahr gemerkt. Wir sind miteinander verbunden, auf gegenseitige Hilfe und Austausch angewiesen. Das gilt für unsere Gesellschaften ebenso wie für unsere Wirtschaft.
In der Grenzregion zu Nordrhein-Westfalen haben die Niederlande, gemeinsam mit Belgien und Deutschland, in einer Cross-Border-Taskforce Corona
gezeigt, dass es möglich war, Maßnahmen und Mittel im Kampf gegen die Pandemie untereinander abzustimmen, um Grenzschließungen wenn irgend möglich zu vermeiden. Die Erfahrung, die alle beteiligten Länder dabei machen durften, ist, wie sinnvoll und wichtig eine grenzübergreifende Kooperation ist; ja wie im wahrsten Sinne des Wortes überlebenswichtig sie in einer Pandemie werden kann.
Dass die sinkenden Inzidenzzahlen nun eine allmähliche Lockerung der Pandemiebestimmungen ermöglichen, ist für die Menschen beiderseits der Grenze eine unglaubliche Erleichterung. Ich jedenfalls weiß aus zuverlässiger Quelle, dass die kulinarischen Grenzgänger auf der deutschen Seite die Öffnung der Märkte in Winterswijk, Enschede und anderen Grenzstädten kaum erwarten konnten. Backfisch, Frietjes und Frikandeln sind einfach unverzichtbar. Und dass auch Grundnahrungsmittel wie Chocomel und Vla nun wieder leichter zu beschaffen sind, trägt zur Entschärfung
der Versorgungssituation in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen bei. Viele hier im Raum werden das bestätigen.
Das gemeinsame Potenzial dieser Region, unserer Länder ist im Wortsinn grenzenlos – wenn wir alle es wollen. Und die gesammelte Erfahrung der Region wird in Zukunft – mit Blick auf den Klimaschutz – noch wichtiger werden. Deutschland kann in dieser Frage von den Erfahrungen in den Niederlanden lernen, und nur gemeinsam werden wir den Klimawandel bewältigen können. Seite an Seite, in einer gewachsenen Freundschaft zwischen unseren Ländern, wird uns vieles gelingen.
Wenn ich also sage, ich freue mich sehr, Sie heute Abend bei uns zu wissen, dann seien Sie versichert: Unsere Freude über die Freundschaft zwischen Niederländern und Deutschen ist riesengroß!
Es ist eine kostbare Freundschaft. Wir wissen, dass sie aus einer Bereitschaft zur Versöhnung gewachsen ist, die nicht selbstverständlich ist und die wir, nach allem, was Deutschland seinem Nachbarn, den Niederlanden, und seinen Menschen angetan hat, nicht erwarten konnten.
Gemeinsam haben wir heute Nachmittag das eben erst eröffnete Anne-Frank-Zentrum in Berlin besucht, eine Partnerorganisation des Anne-Frank-Hauses in Amsterdam. Es wird weltweit wohl nur wenige Menschen geben, die das Bild und den Namen Anne Franks nicht kennen. Annes Geschichte, ihr viel zu kurzes, glückliches Leben mit ihrer Familie in Frankfurt am Main, ihr Leiden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, die Zeit, in der die Familie Schutz und Aufnahme in den Niederlanden fand, und schließlich ihr gewaltsamer Tod im Konzentrationslager Bergen-Belsen – diese Geschichte hat uns verstehen lassen, dass hinter der abstrakten Zahl jüdischer Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns in Europa sechs Millionen Menschen stehen, ausgelöschte Leben und Biografien.
Jedes dieser Leben ist einzigartig. Jede Lebensgeschichte ist einzigartig. Doch um verstehen zu können, was geschehen ist, brauchen wir einen Namen, ein Bild, eine Geschichte.
Anne Frank hat sie uns gegeben. Wir sind Erben ihrer Erzählung. Sie ist ein Teil unserer Geschichte, der gemeinsamen Geschichte unserer Länder. Und wir sind dankbar dafür, dass wir diese Erinnerung an Anne Frank heute gemeinsam bewahren dürfen und bewahren können.
All das wäre nicht möglich ohne das Geschenk der Versöhnung, auf dem die Freundschaft unserer beiden Länder wachsen kann.
Ich sage das, um deutlich zu machen: Es ist an uns, diese Freundschaft zu erhalten, und ich bin froh, dass und wie intensiv wir diese Freundschaft leben, grenzüberschreitend. Millionen Deutsche, die jährlich als Besucher in den Niederlanden sind; umgekehrt Millionen Niederländer, die die deutschen Mittelgebirge besser kennen als die meisten Deutschen.
Mit keinem Land sind wirtschaftliche Beziehungen so breit und intensiv wie mit den Niederlanden. Mit dem gerade geschlossenen Innovationspakt werden sie in den Bereichen Forschung und Entwicklung noch dichter werden.
Kooperationen zwischen deutschen und niederländischen Universitäten sind selbstverständlich und zahlreich. In Maastricht treffen niederländische und deutsche Studierende zusammen, anderswo auch, und bereiten sich – vielleicht – auf gemeinsame europäische Aufgaben vor.
Und im Jahr 2020 hatte das Deutsch-Niederländische Korps seinen 25. Geburtstag. Es zeigt tagtäglich, wie weit wir in Fragen gemeinsamer Sicherheit bilateral und als NATO-Mitglieder zusammengewachsen sind. Ich könnte fortfahren, um zu belegen: Nie waren die Beziehungen enger und von so viel gemeinsamem europäischen Geist geprägt. Majestäten, seien Sie deshalb herzlich willkommen in Deutschland, in Berlin und im Schloss Bellevue.
Ich bitte Sie nun, das Glas zu erheben auf das Wohl Ihrer Majestäten König Willem-Alexander der Niederlande und Königin Máxima, auf unsere guten Nachbarn, die Niederländer, und auf die Freundschaft unserer beiden Länder.