Seitdem das Schloss Bellevue erster Amtssitz der Bundespräsidenten wurde, sind hier unzählige Gäste ein- und ausgegangen. Ausländische Staatsoberhäupter ebenso wie Bürgerinnen und Bürger. Zu den unterschiedlichsten Gelegenheiten ist das Schloss so auch zu einer Visitenkarte des geeinten Deutschlands geworden – es repräsentiert unsere freiheitlich-demokratische Republik.
Dabei kann es natürlich nicht seine preußische Herkunft verleugnen, und das soll es auch nicht. Seine Lage, seine wohlproportionierten, bescheidenen Ausmaße und sein klassizistischer Stil machen es nicht nur zu einem der schönsten Baudenkmäler Berlins. Es erinnert auch noch immer an seinen Bauherrn, Prinz Ferdinand von Preußen.
Das Innere des Schlosses, die Gestaltung der Räume sowie ihre Ausstattung, sollte beiden Bedeutungen Rechnung tragen – der Entstehungszeit des Orts treu bleiben und doch seiner heutigen Bestimmung Ausdruck geben. Beim Eingang fällt der Blick zuerst auf die Porträts des ersten Präsidenten der ersten deutschen Republik, Friedrich Ebert, und des ersten Bundespräsidenten, Theodor Heuss. Diese beiden sollten jedoch nicht die einzigen liberal und demokratisch Gesinnten bleiben, die im Schloss heute eine Heimstatt finden. Um die Aussagekraft von Schloss Bellevue als Repräsentationsort der Demokratie noch deutlicher herauszustellen, haben wir einige neue Akzentuierungen vorgenommen, die an die Wurzeln und Verzweigungen der deutschen Aufklärungs-, Freiheits- und Demokratiegeschichte erinnern.
Bereits eingerichtet ist seit November des vergangenen Jahres der Robert-Blum-Saal in der oberen Etage, der mit Gemälden und Zeichnungen an die Wurzeln der Demokratie im neunzehnten Jahrhundert erinnert, an den Vormärz und die Nationalversammlung in der Paulskirche.
Neu gestaltet haben wir dazu nun zwei Salons im Untergeschoss, einen weiteren Salon im Obergeschoss sowie einen Salon im Südflügel des Schlosses.
Der bisher sogenannte Gartensalon ist ab heute der Epoche der Aufklärung gewidmet und heißt jetzt Salon Voltaire. Friedrich II. von Preußen bekommt hier nun wieder die Gesellschaft seines Korrespondenzpartners und zeitweiligen Gastes, des französischen Philosophen Voltaire. Seine Büste erinnert an einen der einflussreichsten Vordenker der Aufklärung, Gegner des Feudalismus und des Absolutismus, beißender Kritiker aller Arten von Aberglauben – wir würden heute sagen: von Verschwörungstheorien –, von Unterwürfigkeit, Willkür und Herrschsucht.
Auch wenn die Beziehungsgeschichte von Friedrich und Voltaire kein glückliches Ende nahm, hier sind beide noch einmal vereint. Voltaire steht auch beispielhaft für den großen Einfluss des Denkens und der Kultur Frankreichs. Es ist ja kein Zufall, dass Sanssouci in Potsdam und Bellevue in Berlin französische Namen tragen. Gerade jener aufklärerische und weltläufige Teil des geistigen Preußen empfing vielfache Anregungen vom westlichen Nachbarn. Zwei besonders herausragende Vertreter dieses Preußen, Immanuel Kant und Moses Mendelssohn, haben jetzt ebenfalls ihren Platz im Schloss.
In diese Linie gehören für mich auch die damals äußerst regen und äußerst anregenden Berliner Debattiersalons, die um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert hier in Berlin zu finden waren. Und wenn man diese Salons in Erinnerung ruft, darf der Name Rahel Levin nicht fehlen, nach ihrer Heirat Rahel Varnhagen. Der Beitrag jüdischer Gelehrsamkeit und insbesondere der selbstbewusste, ja emanzipierte Beitrag jüdischer Frauen soll daher künftig auch im Schloss Bellevue dauerhaft zu Hause sein. Wir widmen den bisher so genannten Damensalon dieser Erinnerung an geistige Unabhängigkeit und Courage. Er wird ab heute Salon Rahel Varnhagen heißen. So erinnert er nicht nur an eine wunderbare Frau, deren Salon weit mehr bedeutete als miteinander Tee zu trinken und sich artige Komplimente zu machen. Er wird auch dazu ermuntern, dieses Schloss im republikanischen Geist immer wieder zum Ort des ebenso ernsten wie heiteren Dialogs, des ebenso entschiedenen wie entspannten Streits, des ebenso engagierten wie gelassenen und immer gleichberechtigten Gesprächs zu machen. Ein Ort der Urbanität im Fontaneschen Sinne.
Wenn wir von der Weite und Offenheit der kulturellen Anregungen und des europäischen Ideentransfers an der Schwelle vom 18. zum 19. Jahrhundert sprechen, dann gehört auch Karl Friedrich Schinkel dazu, der wohl größte und bedeutendste Architekt, den Preußen hervorgebracht hat und der zugleich die preußische Metropole Berlin maßgeblich gestaltet hat. Schinkel, der sich von der Antike inspirieren ließ und sie in die preußische Klassik transportierte, war ja so etwas wie ein Italiener an der Spree. Beflügelt von seinen Italienreisen jedenfalls brachte er Eleganz und Leichtigkeit mit. Ihm soll künftig das bisherige Musikzimmer als Karl-Friedrich-Schinkel-Salon gewidmet sein, wo nun wunderbare Architekturentwürfe aus seiner Feder zu sehen sind: immer wieder der – manchmal utopische – Versuch, am Klassischen Maß zu nehmen für gegenwärtiges, menschen- und zeitgemäßes Bauen.
In Italien fand Schinkel einen Freund, der Preußen nicht in seiner äußeren, sondern in seiner inneren, staatlich-rechtlichen Gestalt modernisierte und wie wohl kein Zweiter zum Bildungsland entwickeln half, Wilhelm von Humboldt. Ihm und seinem Bruder, dem Weltreisenden, dem Geologen, frühen Ökologen und globalen Humanisten Alexander von Humboldt, wird im Südflügel des Schlosses künftig der Gebrüder-Humboldt-Salon gewidmet sein. Dazu gehören selbstverständlich ihre Porträts, dazu gehören aber auch Beispiele ihrer Arbeit, ihres Kosmos, wie Alexanders großes Werk ja heißt: Schriften, Konzepte, Fundstücke; Zeugnisse einer überragenden Bildung – und vor allem des Willens, diese Bildung für das Gemeinwesen möglichst gut zugänglich und fruchtbar zu machen.
Wir haben also die Zeit der Errichtung von Schloss Bellevue im Jahr 1785 gar nicht so weit verlassen. Unsere Neuakzentuierung bewegt sich nahezu in Zeitgenossenschaft der ersten Bewohner, Ferdinand und Luise von Preußen. Und doch erweitern wir das Bild dessen, was Preußen auch war und hätte werden können, was in Deutschland aufklärerisch, freigeistig und fortschrittlich gedacht und getan wurde. Diese Erweiterung – darum geht es uns – zeigt zugleich die Wurzeln des europäisch verbundenen, des liberalen und demokratischen Deutschland. All das soll in unsere Gegenwart hineinsprechen, von deren Formsuche und von deren innovativem Gestaltungswillen auch weiterhin die kleine, immer wieder erneuerte Galerie moderner Kunst zeugt, durch die alle Gäste zu den Veranstaltungen im Schloss gelangen.
Zum Schluss will ich mich noch herzlich bei unserem Kurator, Herrn Dr. Jan Mende, bedanken. Ohne ihn wäre uns der erweiterte Blick auf Preußen so anschaulich nicht gelungen. Danke auch an die Museen, die mit uns kooperiert haben und zur Ausleihe von Ausstellungsstücken bereit waren. Dank auch an meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ich nicht überzeugen musste, diesem Ort ein anderes Selbstbild zu geben, und die viel Arbeit und Leidenschaft in das Projekt gesteckt haben.
Haben Sie alle, meine Damen und Herren, vielen Dank fürs Kommen und Zuhören – und viel Freude, wenn Sie durch die Räume gehen!