Welch schönes Motto! Singular Plurality – Wir sind einzigartige Vielfalt, so präsentiert sich Ihr Land, sehr geehrte Frau Generalgouverneurin, in den kommenden Tagen als Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse. Sie werden sie selbst eröffnen. Glücklicherweise kann sie in diesem Jahr wieder mit Präsenz stattfinden, und wir alle freuen uns auf viele spannende, anregende Bücher aus Kanada, einem so vielfältigen und kulturell reichen Land!
Meine Frau und ich freuen uns deshalb sehr, Sie, verehrte Mary Simon, und Sie, verehrter Whit Fraser, heute hier im Schloss Bellevue begrüßen zu können. Wir fühlen uns geehrt, dass Sie Deutschland als Ziel Ihrer ersten Reise gewählt haben. Seien Sie uns ganz herzlich willkommen!
Ich möchte Sie ganz herzlich zu Ihrem neuen Amt beglückwünschen. Sie, die – wie Sie sagen – in zwei Welten aufgewachsen sind, sind eine Brückenbauerin im besten Sinne, und so verstehen Sie sich ja auch selbst: als Brückenbauerin zwischen dem Norden und dem Süden, zwischen den vielfältigen Völkern und Kulturen in Kanada. Ich möchte Ihnen heute sagen: Ich bewundere Ihr Engagement im Kampf für die Rechte der First Nations in Ihrem Land und Ihren Kampf für Versöhnung.
Versöhnung, das ist Ihnen ein Herzensanliegen – und dazu gehört auch, dass die Geschichten derer, die jahrhundertelang unterdrückt wurden, endlich erzählt und gehört werden; darüber haben wir uns heute bei einem gemeinsamen Besuch der Nordamerika-Sammlung im Humboldt-Forum ausgetauscht. Unsere Gesellschaften werden stärker sein, wenn wir uns der Verantwortung für unsere Geschichte stellen und denen zuhören, die unter Unterdrückung und Verfolgung leiden mussten. Da waren wir uns sehr einig.
Ein Herzensanliegen ist Ihnen auch der Kampf gegen den Klimawandel, dessen Folgen gerade der Norden Kanadas und die First Nations bereits dramatisch zu spüren bekommen. Denn die Arktis erwärmt sich schneller als jede andere Region auf der Welt, die Eis- und Landmassen schwinden besorgniserregend. Der Klimawandel zerstört die Lebensgrundlagen der First Nations – Sie, Mary Simon, wissen aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, wenn der Permafrost schmilzt, ganze Dörfer einstürzen, die Tierbestände zurückgehen. All das beobachten Sie mit großer Sorge und engagieren sich seit vielen Jahren auch international für den Schutz der Arktis. Nur wenn wir alle unsere Lebensweise ändern und stärker im Einklang mit der Natur leben, davon sind Sie überzeugt, wird es uns gelingen, die Erderwärmung aufzuhalten.
Die Sorge um schmelzende Pole und steigende Meeresspiegel, um Dürre und Wassermangel in vielen Regionen der Welt, um verheerende Regenfälle und brutale Feuersbrünste, wie wir sie auch in Europa immer häufiger sehen, diese Sorge bewegt auch in Deutschland immer mehr Menschen und lässt sie politisch aktiv werden. Ich bin überzeugt: So unterschiedlich unsere Länder sind, können wir gemeinsam viel beitragen, um durch Innovation einerseits und kluge Regulierung andererseits einen wertvollen Beitrag zur Lösung dieser riesigen Zukunftsaufgaben zu leisten.
Lernen voneinander können wir auch, wenn es um das friedliche Zusammenleben verschiedener Kulturen in einer Demokratie geht. Diese Singular Plurality, das so treffende Motto für die Buchmesse, das ist es, was Ihr Land prägt und für viele Deutsche so faszinierend macht – neben seinen so modernen, pulsierenden Städten und überwältigenden Naturschönheiten wie dem Sankt-Lorenz-Strom, den berühmten Nationalparks, den Niagara-Fällen, den einsamen, weitgehend unberührten Landschaften im Norden.
Ihr Land, liebe Frau Simon, ist ein Sehnsuchtsort, und das seit Jahrhunderten: Es ist ein Ziel von Träumen, aber auch von Bedrängten aus aller Welt. Kein Land hat – gemessen an seiner Bevölkerungszahl – in den letzten Jahrzehnten so viele Menschen aufgenommen wie Sie. Ihre Erfahrungen als eine große Einwanderungsnation sind für uns wertvoll; für uns in Deutschland, die wir in den letzten Jahrzehnten auch ein Einwanderungsland geworden sind: ein Land mit Migrationshintergrund, in dem Menschen aus verschiedenen Kulturen, Menschen mit verschiedenen Religionen und Überzeugungen zusammenleben und zusammenleben müssen.
Ich bin dankbar, dass wir in Ihnen, in Ihrem Land so enge Partner und Freunde haben. Kanada und Deutschland sind in Größe, Geschichte und Geographie sehr verschieden. Aber wir sind in vielem gleichgesinnt. Wir teilen die gleichen Werte und Überzeugungen, und das ist in einer Welt, in der die liberale Demokratie stärker angefochten wird und das Autoritäre an Verführungskraft gewinnt, ein kostbares Gut. Die Achtung der Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, das Eintreten für enge transatlantische und multilaterale Zusammenarbeit, eine regelbasierte Weltordnung, all diese Überzeugungen und Ziele verbinden unsere beiden Länder, und sie verbinden uns beide auch ganz persönlich. Wir Deutsche und Kanadier, wir mögen einander schon länger, aber wir verstehen immer besser, wie sehr wir uns in der Welt von heute auch gegenseitig brauchen.
Lassen Sie uns nun das Glas erheben auf Ihr Wohl, liebe Mary Simon und lieber Whit Fraser, und auf die gute Freundschaft und wachsende Partnerschaft zwischen unseren beiden Ländern!