Verleihung des Silbernen Lorbeerblattes an die Medaillengewinnerinnen und -gewinner der Olympischen und Paralympischen Sommerspiele 2020 (ausgetragen in Tokio 2021)

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 8. November 2021

Der Bundespräsident hat am 8. November bei der Verleihung des Silbernen Lorbeerblattes an die Olympioniken und Paralympioniken der Sommerspiele 2020 eine Rede in Berlin gehalten: "Diejenigen, die solche Erfolge erringen, sind ja auch für viele andere Vorbilder. Nicht nur im sportlichen Bereich. Diese Vorbildfunktion erstreckt sich auf vieles. Wie Sportlerinnen und Sportler sich charakterlich verhalten, wie und wofür sie in gesellschaftlichen Fragen Stellung beziehen, das wirkt, ob Sie es wollen oder nicht, auf viele andere Menschen zurück."

Bundespräsident Steinmeier hält eine Rede bei der Verleihung des Silbernen Lorbeerblattes im Estrel Berlin

Lauter Siegerinnen! Lauter Sieger: Ein tolles Bild! Ich freue mich wirklich sehr, heute bei Ihnen und mit Ihnen zu sein an diesem Nachmittag. Bei Ihnen, die bei den olympischen und paralympischen Spielen in Tokio erster, zweiter oder dritter Sieger geworden sind.

Ich freue mich, dass Sie gekommen sind, um heute das Silberne Lorbeerblatt in Empfang zu nehmen. Nicht alle konnten es möglich machen. Umso mehr freue ich mich, dass Elena Krawzow, unsere Paralympiasiegerin über 100 Meter Brustschwimmen, unter uns ist. Nach ihrer schweren Erkrankung ist das nicht selbstverständlich. Liebe Frau Semechin, wie Sie nach Ihrer Hochzeit ja jetzt offiziell heißen: Wir alle freuen uns, dass Sie Ihre Operation gut überstanden haben, und wünschen Ihnen, alle hier, für Ihre weitere Genesung alles Gute!

Wir haben hier einen wunderschönen Ort, aber natürlich hätte ich Sie alle gern zu mir, in den offiziellen Amtssitz des Bundespräsidenten, das Schloss Bellevue, eingeladen. Aber dazu wären Sie, gerade wegen der Pandemie-Beschränkungen, einfach zu viele. Das ist einerseits schade, weil der Rahmen natürlich noch einmal ein ganz anderer, wenn Sie so wollen: feierlicherer wäre. Andererseits können wir uns darüber freuen, dass trotz aller Corona-Schwierigkeiten so viele Athletinnen und Athleten von den Olympischen Spielen mit einer Medaille nach Hause gekommen sind!

Darauf können in erster Linie Sie stolz sein, die Sie selber die besonderen Leistungen erbracht haben. Darüber können sich auch alle Freunde des Sports, alle Fans, alle Zuschauerinnen und Zuschauer freuen, die mitgefiebert haben, die begeistert oder gerührt waren – oder beides zusammen.

So nah und so intensiv wie nie zuvor haben die Medien diesmal die Wettkämpfe und den Jubel der Sieger wie auch die Enttäuschung der Verlierer eingefangen. So nah wie nie zuvor konnten wir zu Hause verfolgen, welche Anstrengungen und Anspannungen, welche Geschicklichkeit und welche Kondition, welche körperliche und seelische Disziplin und Selbstkontrolle dazu gehören, um bei den olympischen und paralympischen Spielen mithalten zu können.

Ironischerweise war diese große – manche sagen auch kritisch: übergroße – mediale Nähe ausgerechnet bei diesen Spielen zu erfahren, die ansonsten ja praktisch ohne Livepublikum auskommen mussten. Nur so haben sie, was auch nicht unumstritten war und ist, überhaupt ausgetragen werden können.

Es waren also eigenartige, es waren besondere Spiele, mit so gut wie gar keinen anfeuernden Fans in den Hallen, an den Bahnen und im Stadion. Und es waren um ein ganzes Jahr verspätete Spiele, was für Sie, die Aktiven, ganz besondere Herausforderungen mit sich brachte.

Sie sind es gewohnt, Ihre Leistungsfähigkeit auf ein bestimmtes Datum hin aufzubauen und zu steigern und genau dann topfit zu sein und abzurufen. Und gerade wenn Sie eine derjenigen Sportarten betreiben, die an gewöhnlichen Wettkampftagen nicht gerade die Massen anziehen, haben Sie sich darauf gefreut, von vielen tausenden, begeisterten Menschen im voll besetzten Stadion, in den Hallen und an den Streckenrändern angefeuert und zu besonderen Höchstleistungen getragen zu werden.

All das fehlte diesmal und umso höher ist es einzuschätzen, wenn Sie alle, die Sie jetzt hier sind, dennoch so erfolgreich abgeschnitten haben.

Das Silberne Lorbeerblatt ist die Anerkennung unseres Landes für überragende sportliche Leistungen. Und Siege bei olympischen und paralympischen Spielen gehören ganz ohne Frage zu solchen Leistungen – und unter den diesjährigen Umständen erst recht.

Es ist übrigens interessant, dass Bundespräsident Heuss das Silberne Lorbeerblatt gestiftet hat, kaum dass die Bundesrepublik ein Jahr alt war. Im Sommer 1950 wurden bereits erste Athleten damit ausgezeichnet. Das bedeutet, dass unser Staat von Anfang an sportlichen Erfolgen eine große Aufmerksamkeit und Bedeutung beimisst.

Und diejenigen, die solche Erfolge erringen, sind ja auch für viele andere Vorbilder. Nicht nur im sportlichen Bereich. Diese Vorbildfunktion erstreckt sich auf vieles. Wie Sportlerinnen und Sportler sich charakterlich verhalten, wie und wofür sie in gesellschaftlichen Fragen Stellung beziehen, das wirkt, ob Sie es wollen oder nicht, auf viele andere Menschen zurück. Insofern bedeutet die Auszeichnung mit dem Silbernen Lorbeerblatt auch eine Verantwortung: Verantwortung, die Sie alle kennen und um die Sie alle wissen.

Liebe Athletinnen und Athleten, Sie alle haben diese Spiele auf eine ganz besondere, einmalige Weise erlebt. Nicht nur jeder Sieg, nein, jeder einzelne Start hat eine ganz besondere, einmalige Geschichte, die ihm vorausging, die ihn begleitet und die ihm nachfolgt. Eine Geschichte, die im Tiefsten nur Sie selber kennen und die sich in einem noch so tiefen und intensiven Gemeinschaftserlebnis nicht auflöst.

Trotzdem bleibt uns allen natürlich die ein oder andere Geschichte, die öffentlich geworden ist, im Gedächtnis: So wie die Zerstörung des Bootes unseres Vierers beim Transport in Luxemburg – und das Hoffen und Bangen, ob es das einzig existierende Ersatzboot rechtzeitig nach Tokio schaffen würde. Wir alle wissen: Es hat geklappt. Wie entscheidend doch oft Zufälle sein können, die außerhalb unserer Macht liegen, und wie alles auf Messers Schneide stehen kann, ohne dass wir noch eingreifen können.

Und was für Überraschungen immer möglich sind: Aline Rotter-Focken gewinnt als erste deutsche Ringerin eine Medaille – und dann noch Gold! Ein wirklich sporthistorischer Moment!

Und welche ganz besonderen Geschichten: Die Radfahrerin Annika Zeyen hat für die Teilnahme an den Spielen ihre Hochzeit verschoben – und bei den Paralympics Gold im Zeitfahren und Silber im Straßenrennen gewonnen. Möge Ihre Ehe dann von solchen Erfolgen beflügelt beginnen!

Eine besondere Geschichte ist sicher auch der erste deutsche Olympiasieg im Tennis-Einzel der Herren, den Alexander Zverev errang – und sich so darüber gefreut hat, dass wir alle davon angesteckt wurden. Ich denke, dass die Freude eines hochbezahlten Profis gerade über diesen Sieg bei Olympia viele andere, deren Sportarten zwischen den Spielen eher im Schatten stehen, noch einmal hoch motiviert hat.

Und eines hat mich noch besonders stark beeindruckt. Unsere Radlerinnen im Bahnvierer waren bereits im Halbfinale Weltrekord gefahren und haben diesen Rekord dann im Finale noch einmal übertroffen und Gold geholt! Immer das Beste geben: Hier hat man diesen Willen wieder großartig erleben können.

Ich bin mir sicher: Es gibt noch so viele einzelne Geschichten, die diese Spiele für alle auf je besondere Art unvergesslich gemacht haben. Vielleicht kommen wir ja nachher dazu, uns noch gegenseitig das eine oder andere zu erzählen.

Damit wir aber bald zur Hauptsache des heutigen Tages, nämlich der Aushändigung des Silbernen Lorbeerblattes kommen, will ich hier erst einmal schließen.

Allen zusammen noch einmal einen herzlichen Glückwunsch, ein herzliches Dankeschön und alles Gute für Ihre weitere sportliche und auch private Zukunft!