Ernennung des Bundeskabinetts

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 8. Dezember 2021

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 8. Dezember bei der Übergabe der Ernennungsurkunden an die Ministerinnen und Minister der neuen Bundesregierung in Schloss Bellevue eine Ansprache gehalten: "Der Start Ihrer Regierung wird mit Neugier und Hoffnung begleitet. Ich spreche ganz sicher für die große Mehrheit unserer Landsleute, wenn ich Ihnen für Ihre Aufgaben jeden Erfolg und eine glückliche Hand wünsche – zum Wohle unseres Landes."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Ansprache bei der Übergabe der Ernennungsurkunden an das neue Bundeskabinett in Schloss Bellevue

Ich gratuliere Ihnen zum zügigen und erfolgreichen Abschluss Ihrer Koalitionsverhandlungen, und ich beglückwünsche Sie alle noch einmal herzlich zu Ihrer heutigen Ernennung.

Sie tragen jetzt die Verantwortung für unser Land und mehr als 82 Millionen Menschen. Sie haben sich in Wahlen um Verantwortung beworben – und Sie stellen sich dieser Verantwortung in schwieriger Zeit. Sie haben sich viel Fortschritt, viel Reform und viel Veränderung vorgenommen.

Ohne Zweifel steht Deutschland vor großen Herausforderungen. Ob Klimawandel oder Digitalisierung, internationaler Wettbewerb oder Migration: Unsere Antworten heute – sprich: Ihre Antworten der nächsten Jahre – werden das künftige Gesicht unseres Landes prägen.

Ihr Ziel ist mehr Klimaschutz, eine schnellere Energiewende und der Umstieg auf eine klimaneutrale Wirtschaft; allein das ein Projekt von immensem Ausmaß. Darüber hinaus haben Sie verabredet, den Staat zu digitalisieren, Wohnungen zu bauen, die Rente zu sichern, Wissenschaft und Innovation zu stärken, das Staatsbürgerschaftsrecht und das Familienrecht zu erneuern und vieles andere mehr.

Kurzum, Herr Bundeskanzler, verehrte Bundesministerinnen und Bundesminister, Ihre Botschaft ist klar: Es sollen Jahre der Veränderung werden. Dafür haben Sie ein starkes Mandat der Wählerinnen und Wähler, und dafür haben Sie eine solide Mehrheit im Deutschen Bundestag.

Mit Ihren Vorhaben wollen Sie aufs Neue den Beweis antreten: Unsere Demokratie lernt – sie kann Veränderung. Und Sie starten mit guten Voraussetzungen: Die Demokratie in Deutschland ist stark, das hat der gute demokratische Übergang der vergangenen Monate noch einmal gezeigt.

Begleiten wird Sie bei Ihren Vorhaben aber auch die Frage: Wie kann große Veränderung mit Demokratie und gesellschaftlichem Zusammenhalt in Einklang bleiben?

Veränderung – das trifft die Erwartungen und weckt die Hoffnungen der einen. Bei anderen aber schürt Veränderung auch Unsicherheit und Zweifel. Die Mehrheit hat Ihnen ein Mandat für mutige Schritte des Wandels gegeben. Aber: Wer mutig vorangeht, wird Sorge dafür tragen müssen, dass die weniger Starken Schritt halten können, dass die Menschen, für die Veränderung Verlust bedeutet, auch Neues gewinnen können.

Neben großen innenpolitischen Vorhaben werden Sie Verantwortung für das Handeln unseres Landes in Europa und der Welt tragen. Deutschland ist keine abgelegene Insel. Weder sind wir autark, noch wollen wir es sein. Wir stehen im Zentrum Europas und tun gut daran, bei der Vermessung unserer eigenen Interessen die Interessen unserer Nachbarn zu berücksichtigen.

Aber wenn wir heute einen Blick auf die Welt werfen: Längst nicht alle Linien verlaufen hin zu stärkerer internationaler Zusammenarbeit, zu größerer Verständigung und Entspannung, zu mehr Vertrauen und Frieden. Im Gegenteil: Es drohen neue Konflikte, neue Angriffe auf die Freiheit und neue Gefahren für den Frieden, sogar auf unserem Kontinent – Gefahren, die wir nicht unterschätzen dürfen und nicht ignorieren können.

Die Welt schaut auf unser Land. Die Erwartungen an Deutschland sind groß. Unsere Verlässlichkeit und unser Einstehen für Regeln und Zusammenarbeit, für die liberale Demokratie und für das vereinte Europa, für den Frieden und unsere Sicherheit im Bündnis, all das wird Ihnen viel Zeit und Mühe abverlangen.

Herr Bundeskanzler, verehrte Bundesministerinnen und Bundesminister, die Realität der Pandemie im Herbst 2021 ist bitterernst. Jeden Tag sterben wieder viele Menschen auf Intensivstationen. Viele Krankenhäuser sind überlastet, und das medizinische Personal ruft um Hilfe. Die Bundeswehr muss einspringen, um Intensivpatienten mit dem Flugzeug zu verlegen.

Ich weiß: Sie, die neue Bundesregierung, nehmen die große Verantwortung ernst, die jetzt auf Ihren Schultern lastet. Die Menschen hoffen darauf, dass Sie Führung zeigen und – gemeinsam mit den Ländern – die notwendigen Maßnahmen ergreifen. In der akuten Notlage kommt es darauf an, nicht auf die Lautesten zu hören, sondern dafür zu sorgen, dass uns die Pandemie nicht ein weiteres Jahr fest im Griff hält und öffentliches Leben wieder selbstverständlich werden kann.

Und zu unseren Landsleuten sage ich: Wir alle spüren, wie sehr jetzt Regierungen und Parlamente in Bund und Ländern gefordert sind, um die akute Gefahr abzuwenden. Zu Recht erwarten Sie konsequentes Handeln. Aber diese Krise fordert nicht nur die Politik, sie fordert uns alle. Es kommt auf jeden von uns an – denn wir alle sind die Bundesrepublik Deutschland!

Die große Mehrheit handelt seit vielen Monaten solidarisch. Vielleicht hat uns die Pandemie von Neuem gelehrt, wie sehr wir abhängig sind von anderen – und wie abhängig andere von uns! Wir alle müssen Verantwortung übernehmen, für uns selbst, aber auch für unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger. Wir haben es in der Hand, jetzt und ganz konkret, unsere Kontakte zu reduzieren, uns impfen zu lassen. Unser Land muss jetzt zusammenstehen, um die vierte Welle zu überwinden und um zu verhindern, dass es jemals wieder so weit kommt.

Die nun diskutierten Maßnahmen – von einer Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen bis hin zu einer allgemeinen Impfpflicht – sind wirklich kein gesetzgeberischer Alltag. Wie immer laufende und zukünftige Gesetzgebungsverfahren ausgehen werden: Sie werden das Instrumentarium zur Bekämpfung der Pandemie schärfen – und ja, auch Druck auf ungeimpfte Bürgerinnen und Bürger erhöhen. Niemand in Regierung und Parlament wird sich die Entscheidung leicht machen. Umso mehr bitte ich alle: Gerade in dieser angespannten Lage sollten gute Argumente sprechen, nicht Verachtung, nicht Wut, schon gar nicht Hass, wie wir ihn zuletzt nicht nur auf Straßen und Plätzen, sondern auch vor privaten Wohnungen von Politikern gesehen haben.

Bei allem Streit und bei allen Zweifeln, bei allen Wunden, die die Pandemie geschlagen hat: Wir wollen uns auch nach der Krise noch in die Augen schauen können, denn auch nach der Krise sind wir noch ein Land, eine Bundesrepublik Deutschland, sind wir noch Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, Nachbarn und Kollegen, Freunde und Familienmitglieder. Auch wenn wir zu einzelnen Maßnahmen unterschiedlicher Meinung sind: Lassen wir nicht zu, dass die Pandemie uns dauerhaft auseinandertreibt!

Herr Bundeskanzler, verehrte Bundesministerinnen und Bundesminister, trotz Corona ist Ihnen in diesen Tagen der gute Wille der allermeisten Deutschen sicher. Der Start Ihrer Regierung wird mit Neugier und Hoffnung begleitet. Ich spreche ganz sicher für die große Mehrheit unserer Landsleute, wenn ich Ihnen für Ihre Aufgaben jeden Erfolg und eine glückliche Hand wünsche – zum Wohle unseres Landes.