Ich weiß, nicht alle haben es möglich machen können, zu dieser Ernennungszeremonie zu kommen. Ich freue mich, dass Sie da sind und begrüße Sie stellvertretend auch für die Anderen, die heute nicht hier sein können. Es ist mir eine große Freude, dass ich Sie, die Mitglieder der vierten Mandatszeit des Normenkontrollrates, heute ernennen darf.
Die Amtszeit, das wissen Sie, des vergangenen Normenkontrollrates ging bereits am 20. September 2021 zu Ende. Ich erinnere mich an das letzte Gespräch mit Herrn Ludewig. Er hat uns frühzeitig darauf hingewiesen, dass es wegen der Bundestagswahlen Komplikationen geben könnte und uns gebeten, Vorsorge zu treffen, dass es keine normenkontrollratsfreie Zeit gibt. Da das letzte Gespräch auch mit der Bundeskanzlerin stattgefunden hat, konnten Regelungen getroffen werden, die zum Ergebnis hatten, dass der alte Normenkontrollrat geschäftsführend im Amt blieb, bis sich die neue Regierung auf neue Mitglieder geeinigt hatte.
Mit der Aushändigung der Ernennungsurkunden am heutigen Tage beginnt Ihre Amtszeit. Dazu beglückwünsche ich Sie jetzt schon herzlich. Ab morgen kommt, das darf ich Ihnen versprechen, viel Arbeit auf Sie zu. Die Herausforderungen bleiben groß. Man kann nicht ganz ausschließen, dass sie sogar noch größer werden.
Von jetzt an ist der Normenkontrollrat nicht mehr beim Bundeskanzleramt angesiedelt, sondern beim Bundesministerium der Justiz. Ihre unabhängige Stellung beeinträchtigt das aber in keinster Weise.
Der Staat wird von den Bürgern und Bürgerinnen nur akzeptiert, wenn er für ihr Wohlergehen, ihre Freiheit, ihre Sicherheit und für sozialen Ausgleich sorgt. Verwaltung und Bürokratie stehen im Dienst der Menschen und sind kein Selbstweck. Das verlangt nach steter Überprüfung, ob und in welchem Umfang die staatlichen Strukturen aktuell erforderlich sind. Vor diesem Hintergrund wurde mit dem Nationalen Normenkontrollrat 2006 ein Schritt zur systematischen Reduktion der Bürokratie getan. Als unabhängiges Beratungsgremium sollten die durch bestehende und künftige Gesetze verursachten Bürokratiekosten auf der Grundlage des sogenannten Standardkosten-Modells ermittelt und ggf. reduziert werde. Ermöglicht wurde erstmals die objektive Quantifizierung von Bürokratiebelastungen. Nachdem zunächst nur Informationspflichten gemessen wurden, führte der Gesetzgeber 2011 dann die Erfassung aller Folgekosten von Neuregelungen ein. Seither wird der sogenannte Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger, Wirtschaft und Verwaltung ermittelt.
Wie sinnvoll das ist, habe ich selbst in meiner eigenen frühzeitigen Laufbahn erkannt, als ich Chef einer Staatskanzlei eines Bundeslandes war und eine ähnliche Aufgabe zu erfüllen hatte. Da haben wir in einem Bundesland, Niedersachsen war es, die bestehenden Informationspflichten ermittelt und sind auf den erstaunlichen Bestand von 1.400 Berichten innerhalb der Landesregierung gekommen. Darunter – und jetzt müssen Sie sich vorstellen Mitte der 1990er Jahre – ein Bericht, der hieß Kartoffeln nach Berlin
. Der stammte aus der Zeit der Berlin-Blockade und wurde vier Jahrzehnte danach immer noch geführt; mit keinem großen Aufwand, weil immer nur Fehlanzeige
berichtet wurde. Das ist für mich ein anschauliches Beispiel, das mir in Erinnerung geblieben ist, dass die Überprüfungen von Informationsberichten und -pflichten ihren Sinn haben.
Wenn wir von Überprüfung dieser Art reden ist nicht nur wichtig, dass sie stattfindet, sondern vielleicht ist sogar das wann
noch entscheidender. Aufgabe des Normenkontrollrates ist es, den von den Fachministerien ermittelten Erfüllungsaufwand unabhängig zu bewerten, bevor sich das Bundeskabinett mit den Gesetzesvorlagen befasst.
Aber Informationspflichten und Erfüllungsaufwand sind und werden natürlich nicht Ihre einzigen Aufgaben sein und bleiben. Der Normenkontrollrat hat sich ganz intensiv mit Fragen besserer Gesetzgebung befasst. Dazu hat er Untersuchungen zum Vollzug von Bundesgesetzen über die verschiedenen Ebenen von Bund, Ländern und Kommunen hinweg auf Möglichkeiten der Vereinfachung und Beschleunigung durchgeführt. In seinen Berichten hat der Normenkontrollrat zahlreiche Verbesserungsvorschläge gemacht, die inzwischen zu einem großen Teil auch in die Gesetze und Verfahren implementiert wurden. Der vielleicht weitreichendste Vorschlag des Normenkontrollrates findet sich 2019 im Gutachten mit dem, wie ich finde, griffigen Titel: Erst der Inhalt, dann die Paragraphen
– ein umfangreicher Leitfaden für eine Verbesserung der Gesetz- und Normgebung mit Vorschlägen dazu, wie den Fragen von Wirksamkeit und Praktikabilität im Gesetzesvorbereitungsprozess größeres Gewicht beigemessen werden kann. Zusätzlich hat der Normenkontrollrat eine systematische Ex-Post-Evaluierung eingeführt und die Regel One in one out
eingeführt.
Die Einführung der nationalen Normenkontrolle hat zu einer beachtlichen Modernisierung des herkömmlichen Gesetzgebungsverfahrens geführt. Die Quantifizierung der Gesetzesfolgen auf Grundlage objektiver Kriterien in einem standardisierten Verfahren war neu, manche sagen: revolutionär. Diese Innovation stieß durchaus auf Widerstände, ich habe das in Erinnerung. Deshalb war es 2006 richtig, den Nationalen Normenkontrollrat unmittelbar beim Bundeskanzleramt anzusiedeln, um ihm mehr Einfluss zu verschaffen. Denn bewirkt werden musste eine Veränderung der Gesetzgebungskultur, und dies war nur möglich, indem man die Steuerungs-, Koordinierungs- und Leitungsfunktion des Kanzleramtes nutzte.
Inzwischen ist der Nationale Normenkontrollrat eine Erfolgsgeschichte. Nicht nur die Kosten, die durch die Einführung der Quantifizierung eingespart wurden, sind Teil der Erfolgsgeschichte. Ich möchte besonders die Veränderung, wenn Sie mir erlauben, das so zu sagen, in der Gesetzgebungsmentalität hervorheben: Durch die Sensibilisierung für den Erfüllungsaufwand sind die Adressaten der Normsetzung in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt: Die Bürgerinnen und Bürger, die Wirtschaft und letztlich auch die vollziehende Verwaltung. Belastungen durch eine Normierung sind auf ein Minimum zu beschränken. Nur so wird eine Hauptforderung des demokratischen Rechtsstaates erfüllt, nämlich für Bürgerinnen und Bürger größtmögliche Freiheit zu ermöglichen.
Wenn der Nationale Normenkontrollrat nunmehr beim Bundesministerium der Justiz angesiedelt wird, wird damit keineswegs das Signal gesendet, Normenkontrolle sei weniger wichtig. Im Gegenteil: Normenkontrolle bleibt eine beständige Aufgabe. Aber sie ist inzwischen – Gott sei Dank würde ich sagen – so selbstverständlich, dass es der Aufhängung beim Bundeskanzler und beim Bundeskanzleramt nicht mehr bedarf. Vielmehr findet der Normenkontrollrat nunmehr dort seinen Platz, wo den formalen Rahmenbedingungen der Rechtsetzung besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird, nämlich beim Bundesminister der Justiz.
Auch für die Zukunft hat sich der Normenkontrollrat der Praxistauglichkeit und der Bürgerorientierung verschrieben. Ihre Amtsvorgängerinnen und -vorgänger haben zu Recht kritisiert, dass Deutschland, bei der Normsetzung hinter dem zurückbleibe, was man in der modernen Politikgestaltung erwarten darf. Wir haben das nicht zuletzt in der Pandemie erfahren: Statt die erforderlichen Daten digital zu übermitteln, geschah dies häufig genug noch analog – etwa mit Faxgeräten. Bei allen mit der Digitalisierung einhergehenden Herausforderungen ist die Expertise des Normenkontrollrates besonders gefragt.
Und sicherlich ist der Nationale Normenkontrollrat schon öfter mit diesem Zitat von Montesquieu in Verbindung gebracht worden:
Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen.
Diesem Zitat können Sie sich, meine Damen und Herren, als Leitgedanken verschreiben!
Ich gratuliere Ihnen, lieber Herr Vorsitzender, und Ihnen, den neuen Mitgliedern des Normenkontrollrates, ganz herzlich zu Ihrer Ernennung. Diesen Wunsch verbinde ich mit dem herzlichen Dank an die Mitglieder der vergangenen Amtszeit des Normenkontrollrates, für ihr Engagement und ihr unermüdliches Eintreten für die Modernisierung unserer Verwaltungsstrukturen.
Sie alle leisten damit einen unverzichtbaren Beitrag für unser demokratisches Gemeinwesen.
Ich wünsche Ihnen für Ihre jetzt bevorstehende Arbeit alles Gute und viel Erfolg für unser Gemeinwesen.