Jazzkonzert mit Julia Hülsmann & Friends

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 4. Juli 2022

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 4. Juli zu einem Jazzkonzert mit Julia Hülsmann & Friends in den Park von Schloss Bellevue eingeladen. In seiner Begrüßungsansprache sagte er: "Das hat mich am Jazz immer fasziniert: die Freiheit, mit einer bestimmten Vorgabe umzugehen, sie zu verfremden, aber doch erkennbar sein zu lassen, ja vielleicht, im Glücksfall, sogar noch ein bisschen erkennbarer zu machen. […] In Diktaturen ist diese Freiheit des Jazz natürlich unbeliebt oder sogar verboten."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Ansprache beim Jazzkonzert mit Julia Hülsmann and Friends im Präsidentengarten von Schloss Bellevue

Liebe Gäste, meine Frau und ich, wir freuen uns, dass Sie alle hier sind. Wir sind dankbar dafür, dass wir heute Abend auch die kleine Tradition der Jazzkonzerte beim Bundespräsidenten wieder aufnehmen, an der, wie ich gestehe, mein Herz doch ein bisschen hängt. Schon deshalb, weil dieses Konzert, wie heute, draußen im Park gespielt wird und weil wir wieder tolle Musikerinnen und Musiker haben.

Der Jazz hatte lange Zeit keine Heimat mehr in unserem Land. Die Gründe liegen auf der Hand: Die Freiheit des Jazz ist den Diktaturen unerträglich; deshalb galt er im Dritten Reich als undeutsch und war verboten. Nach dem Krieg kam vor allem mit den Amerikanern, die ja heute ihren Nationalfeiertag begehen, eine große Jazz-Begeisterung nach Deutschland. Es war die Musik der Befreier und die Musik der Freiheit.

Es sollte dennoch lange dauern, bis sich die Deutschen eine neue Leichtigkeit erlaubten und ein offenes Ohr für eine Musik jenseits des Dreivierteltakts hatten. Es gab in meinem Leben ein Ereignis, bei dem ich erstmals den Eindruck hatte, unser Land hat sich geändert – hin zur offenen Welt und musikalisch zu neuen Ufern. Ein Ereignis, an dessen fünfzigste Wiederkehr ich leider in wenigen Wochen aus ganz anderen Gründen erinnern werde und muss: Das waren die Olympischen Spiele 1972 in München. Es war ein eindrückliches Zeichen eines neuen, eines politisch freien und gesellschaftlich zwangloseren und weniger autoritären Deutschland, als bei der Eröffnungsfeier die Musik zum Einzug der Mannschaften von einem der großen deutschen Jazzmusiker und einer Big Band gespielt wurde. Kurt Edelhagen und seine Arrangeure Peter Herbolzheimer, Dieter Reith und Jerry van Rooyen, alles hervorragende Jazzer, trugen mit ihrer Musik ganz wesentlich dazu bei, dass mit dieser Eröffnungsfeier ein neues Bild von Deutschland entstanden ist und um die Welt ging.

Ein Land, das sich nicht nur mit diesem wunderbar schwebenden Zeltdach und mit freundlichen Gastgebern, sondern auch mit dieser von Leichtigkeit, Swing und Witz geprägten Musik präsentierte, der alles Militärisch-Zackige abging, ein solches Land war ein anderes geworden als das, was die Welt von 1936 in Berlin in Erinnerung hatte.

Ein Takt von 114 Schlägen pro Minute ist die Zahl, bei der der Mensch am lockersten geht, hatte Kurt Edelhagen gesagt. Und das Wunder passierte: Selbst die Athleten, die sich vorgenommen hatten zu marschieren, kamen irgendwann ins Tänzeln, so heißt es in einem Bericht. Diese Eröffnungsmusik voller Spiel- und Lebensfreude hatte wesentlich dazu beigetragen, dass in den ersten Tagen von den heiteren Spielen in München gesprochen wurde.

Ein brutaler Terroranschlag hat dieses große Fest zerstört und elf israelische Sportler das Leben gekostet. Im September werden wir der Opfer und ihrer Angehörigen gedenken. Die Bilder und die Erinnerung an den Terroranschlag haben die Erinnerung an die Eröffnung, die neue Weltoffenheit und die Erinnerung an Musik verdrängt. Aber vielen wird das Bild eines entspannten, neugierigen Deutschland, das die Gäste in der Sprache des Jazz begrüßte, dennoch in Erinnerung geblieben sein.

Was vor fünfzig Jahren allerdings wohl eher selten der Fall war – und auch hier, bei diesen sozusagen präsidialen Jazzkonzerten bisher noch nicht –, das darf ich heute ankündigen: It’s not a man’s world. Oder vorsichtiger: It’s not only a man’s world anymore.

Heute Abend haben Frauen die absolute Mehrheit auf der Bühne. Darüber freue ich mich sehr, und ich sage Ihnen auch, auf wen Sie sich freuen dürfen:

Hauptperson heute Abend, Programmverantwortliche und diejenige, die die Kapelle zusammengestellt hat, ist Julia Hülsmann. Sie ist längst weltweit als Jazzpianistin und komponistin bekannt. Unter ihren vielen Preisen und Auszeichnungen nenne ich nur den letzten, den Jazzpreis 2021 für ihr Album Not Far From Here. Sie gibt ihr Können und Wissen gerne weiter und lehrt deswegen seit 2001 an der Universität der Künste in Berlin. Herzlich willkommen, Julia Hülsmann!

Jazz ist international, und deswegen kann es niemanden verwundern, dass wir zwei Mitwirkende aus Dänemark begrüßen können. Zuerst Mia Knop Jacobsen, Sängerin, Komponistin und Musikproduzentin. Als Sängerin tourte sie, die derzeit in Berlin lebt, durch fast die ganze Welt und hat mit großen Könnern wie Quincy Jones, George Benson und Jacob Collier zusammengearbeitet. Meine Damen und Herren: Mia Knop Jacobsen!

Und dann Andreas Lang am Kontrabass. Auch er hat schon mit vielen großen Kollegen musiziert, auch er lebt derzeit, wie seine dänische Kollegin, in Berlin, und er und seine Formation Hütte ist mit dem Neuen Deutschen Jazzpreis ausgezeichnet worden und bringt uns heute Abend die tiefsten Töne bei: Andreas Lang!

Eva Klesse hat Schlagzeug und Komposition studiert, für manche vielleicht eine ungewöhnliche Kombination. Auch sie hat sich, wie es im Jazz üblich ist, international gründlich und erfolgreich umgetan. Ich persönlich habe sie das erste Mal in New York gesehen und gehört. Sie ist vielfach ausgezeichnet, auch Trägerin des SWR-Jazzpreises 2021. Auch sie unterrichtet als Professorin, und zwar in Hannover – wenn sie nicht gerade hier bei uns in Berlin trommelt. Eva Klesse!

Lisa Bassenge ist hier in Berlin schon sehr lange bekannt und schon früh erfolgreich gewesen. Wir kennen uns von einem Auftritt in Bratislava. Ihr Jazzgesang nimmt immer auch Elemente aus Blues, Chanson und Popmusik auf. Auch sie ist in ganz Europa, aber auch schon in Südostasien unterwegs gewesen, heute aber hier bei uns: Lisa Bassenge!

Jazz ist international. Seine ältesten Wurzeln hat er, wie wir alle wissen, nicht in der westlichen Musik. Darum freut es mich besonders, dass wir eine Musikerin aus Afrika dabeihaben, eine Singer-Songwriterin aus Angola, deren eigene Kompositionen den Einfluss ganz unterschiedlicher Stilrichtungen zeigen. Wir freuen uns, liebe Gäste, auf Aline Frazão!

Und dann noch ein Mann: Stephan Braun am Cello. Sein Talent ist schon früh aufgefallen, denn er gewann in Wettbewerben wie Jugend musiziert und Jugend jazzt. Man sieht an ihm, dass diese Wettbewerbe mit ihren Preisträgern oft goldrichtig liegen. Inzwischen arbeitet er auch mit Stars der Szene wie Melody Gardot und einem unserer häufigsten Gäste hier, Nils Landgren. Meine Damen und Herren: Stephan Braun!

Der Jazz im Park von Bellevue ist zurück! Ich wünsche Ihnen und uns allen einen unterhaltsamen Abend. Vielen Dank und viel Vergnügen!