Festakt zum 80. Geburtstag von Bischof i.R. Wolfgang Huber

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 26. August 2022

Bundespräsident Steinmeier hat beim Festakt der EKBO zum 80. Geburtstag von Altbischof Wolfgang Huber am 26. August in Berlin die Festrede gehalten: "Bischof Huber gehört zu den öffentlich wirksamen, öffentlich erkennbaren, öffentlich auch streitbaren und profiliert Glaubenden, die in unserer Gesellschaft Theologie präsentiert haben und präsentieren – als eine Rede von Gott, die unserer Gesellschaft und die den Einzelnen hilfreich und förderlich sein will."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Austausch mit Wolfgang Huber beim Festakt zum 80. Geburtstag von Bischof i.R. Wolfgang Huber in der Französische Friedrichstadtkirche in Berlin

Eines vorweg, liebe Gäste: Wolfgang Huber und ich sind befreundet – und für diese lange Freundschaft bin ich sehr dankbar. Ich persönlich fühle mich dadurch immer wieder beschenkt: intellektuell, geistlich, menschlich. Und das Schöne ist: Obwohl du ein unendlich kluger Ratgeber bist, sind unsere Begegnungen keine spröden Kleinseminare mit ernsten Mienen und gesenkten Stimmen, sondern meist fröhliche und von menschlicher Wärme geprägte Abende; häufig sind auch Kara und Elke dabei. Was Du nicht weißt: Ich kenne dich sogar schon etwas länger als du mich, wenn man so will. Denn als Student des Staatsrechts kam man an der Verfassungsgeschichte Ernst Rudolf Hubers gar nicht vorbei – und ich stieß dabei schon früh auf ein Vorwort, wo der Vater den Söhnen, Wolfgang inklusive, für die Mitarbeit dankt.

Aber, liebe Gäste, auch wenn ich hier einen persönlichen Freund anspreche, so ist dies nicht eine private Feier, sondern eine öffentliche Würdigung durch das Staatsoberhaupt. Darum muss und will ich im Verlauf dieser Rede eine öffentliche Anrede wählen.

Die Frage ist: welche? Korrekt und einfach wäre natürlich: Herr Huber. Oder: Herr Professor Dr. Huber – den akademischen Titel behält man ja auch als Emeritus. Aber am passendsten scheint mir, auch wenn Sie es schon lange nicht mehr sind und wenn im evangelischen Verständnis der Titel nach Ende der Amtszeit nicht mehr geführt wird: lieber Bischof Huber! Denn das sind Sie im Gedächtnis der allermeisten Menschen geblieben und bleiben es. Titel und Name sind im Laufe der Jahre eine Einheit geworden.

Das bleibt eben hängen, wenn man das Amt des Bischofs von Berlin-Brandenburg, später auch Schlesische Oberlausitz, fünfzehn Jahre lang mit solcher Präsenz, mit solcher Autorität, ja auch mit solcher Authentizität ausgefüllt hat. Wenn sich in diesen fünfzehn Jahren für und in Berlin als neuer Hauptstadt des wiedervereinigten Landes so viel getan hat. Und wenn unter all den Ämtern und Funktionen, die Sie im Lauf Ihres wahrhaftig abwechslungsreichen Lebens wahrgenommen haben, das Bischofsamt Ihnen wohl am meisten entsprochen hat: Ihrem eigentlichen Streben, auch Ihren großen Fähigkeiten und den vielen Möglichkeiten, den Menschen, dem Land und der Stadt etwas zu geben.

Also sage ich: liebe Gäste – und, mit Ihrem Einverständnis, lieber Bischof Huber.

Einer der altehrwürdigsten Orte des evangelischen Berlin ist der Dorotheenstädtische Friedhof. Wer ihn heute besucht, der will dort wohl vor allem über die vielen großen Namen des zwanzigsten Jahrhunderts staunen. Namen der kulturellen Elite Deutschlands, von Brecht bis Hanns Eisler, von Anna Seghers bis Heiner Müller.

Man kommt auf diesem Friedhof dann vielleicht auch am Grab von Johannes Rau vorbei. Nur der Name steht auf dem Stein, kein Amt, kein Titel – und ganz unten ein Satz: Dieser war auch mit dem Jesus von Nazareth. In dieser Umgebung wirkt dieser Satz seltsam fremd, wie aus einer anderen Welt. Kaum ein neuerer Grabstein sonst auf diesem Friedhof zeigt ein Kreuz oder auch nur eine Andeutung christlicher Symbolik. Und ganz plötzlich liest man diesen Namen: Jesus von Nazareth. Keine Quellenangabe steht auf dem Stein.

Wer nicht weiß, dass dieser Satz ein Zitat aus der neutestamentlichen Passionsgeschichte ist, dem bleibt nur ein überraschtes Staunen: Hier ist jemand bestattet, dem offenbar kein Amt, kein Titel, keine Lebensstation wichtig war, sondern nur das eine: dass sein Name mit dem eines Jesus von Nazareth in Verbindung gebracht wird – solange dieser Stein an ihn erinnert.

Sie selber, lieber Bischof Huber, haben in Ihrer Predigt zum Abschied von Johannes Rau auf dieses biblische Zitat hingewiesen, und auch auf seine Befremdlichkeit. Denn ursprünglich ist es ja eine Denunziation: Eine Magd am Feuer verrät damit, dass Petrus, der es dreimal leugnet, zu den Anhängern des gerade verhafteten und verhörten Jesus gehört: Dieser war auch mit dem Jesus von Nazareth.

Wer sich diesen Satz zu eigen macht, bringt zweierlei zum Ausdruck: Er lässt sich nachsagen, dass er zu diesem Jesus gehört, und er ist sich bewusst, dass er, bei allen Versuchungen dazu – weil es unbequem, weil es nicht zeitgemäß, weil es anstrengend ist –, dass er es letzten Endes auch nicht verleugnen kann.

Ich glaube, nicht falsch zu liegen, wenn ich darin, lieber Bischof Huber, auch das erkenne, was im Zentrum Ihres eigenen Lebens und Ihres eigenen Wirkens steht. Sie sind in vielen verantwortlichen, in vielen öffentlichen Ämtern tätig gewesen und sind es zum Teil noch. Sie haben sich in viele gesellschaftliche Diskussionen eingemischt und tun es Gott sei Dank weiterhin – mit der Kraft des Arguments, mit der intellektuellen Schärfe, die Ihnen geschenkt ist, mit dem umfassenden historischen, politischen, theologischen Wissen, über das Sie verfügen.

Aber vor allem sind Sie ein Christenmensch. In Luthers Sinne müsste ich präziser sagen: ein freier Christenmensch. Zutiefst geprägt von der Botschaft der Menschenfreundlichkeit, von der Freiheitsliebe und von der Dankbarkeit für das Dasein – wie es sich beim biblischen Jesus zeigt; vor allem der verantworteten Freiheit, wie sie im zwanzigsten Jahrhundert vielleicht am deutlichsten ausbuchstabiert wurde im Leben und im Werk Dietrich Bonhoeffers. Ihn kennen Sie wie wohl kaum ein anderer Zeitgenosse.

Sein Werk haben Sie mitherausgegeben, eine großartige Biographie haben Sie über ihn geschrieben, und sein Wirken haben Sie für die Gegenwart immer wieder fruchtbar zu machen versucht. Er war ein großer evangelischer Widerständler des zwanzigsten Jahrhunderts, der das, was er getan hat, aus verantwortlicher theologischer Reflexion entschieden hat. Bonhoeffers Spuren und ein Echo aus dem Denken Max Webers finden sich immer wieder im Denken und im Werk des Ethikers Wolfgang Huber. Den schwierigen, aber unaufgebbaren Zusammenhang von Verantwortung und Freiheit nie aus den Augen zu verlieren: darum geht es bei Ihnen, lieber Bischof Huber, immer wieder.

Christliche Überzeugungen sind das eine; die denkerische Durchdringung, die intellektuelle Redlichkeit und die argumentative Verheutigung alter Einsichten und Denkfiguren – Aggiornamento sagen unsere römisch-katholischen Freunde dazu – sind das andere. Sie haben sich immer dafür stark gemacht, dass Kirche und Theologie in einer Sprache sprechen, die heute verstanden wird, die keine Binnensprache von Eingeweihten ist. Nur wenn sie verständlich ist, kann kirchliche Sprache heute wirkliche Zustimmung erfahren oder auch begründeten Widerspruch.

Vor begründetem Widerspruch hatten Sie nie Angst. Ob Sie – ich nenne nur Stichworte, alle hier werden wissen, worum es geht – ob Sie also von der Kirche der Freiheit sprachen, ob Sie eine Ökumene der Profile stark machen wollten, ob Sie dafür sorgen wollten, dass akademische Lehrer der Theologie eine glaubwürdige kirchliche Anbindung bekommen sollten – immer gingen Sie ein Stück voran, ein Stück weiter, als andere zu gehen bereit waren.

Auch schwierigsten Projekten gehen Sie nicht aus dem Weg. Damit stecken Sie andere an. Ich hätte die Schirmherrschaft für den Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche vermutlich nicht übernommen ohne Ihr beharrliches Werben – und nicht ohne den von Ihnen geforderten kritischen Umgang mit der Geschichte dieses Ortes als zentralem Thema.

Ihre öffentlichen Einsprüche und Wortmeldungen ließen immer aufhorchen, Sie haben Theologie immer als öffentliche Wissenschaft begriffen. Auch bei gesellschaftlich umstrittenen Themen, wenn es zum Beispiel um Sterbehilfe oder assistierten Suizid ging, war und ist Ihre Stimme deutlich und profiliert vernehmbar – nicht nur, wenn und weil Sie von Amts wegen, als Bischof oder Ratsvorsitzender sprachen. Immer sprechen Sie vor allem mit der Autorität des guten Arguments – und immer haben Sie versucht, das zu präsentieren, was Sie gute Theologie nannten und nennen: biblisch begründet, in der Tradition verankert und für heutige Ohren verständlich erläutert. Das hat Sie zu einer moralischen Instanz in unserem Lande werden lassen.

Aber wer Sie, Bischof Huber, im Wesentlichen als wissenschaftlichen Theologen, Buchautor und Intellektuellen sieht, der vergisst: Sie sind auch ein großer Prediger, ein Redner, der gerade an entscheidenden Zäsuren der Gegenwart tröstliche und wegweisende Worte zu finden wusste. Häufig sind es die weniger glücklichen Momente, Stunden des Todes und der Trauer, in denen die Menschen, ja, auch die in der Politik, Tröstung suchen. Als Zeitgenosse habe ich viele solcher Situationen in Erinnerung, in denen Sie Verzweiflung und Angst der Menschen in Ihrer Predigt aufgegriffen und Kraft zu ihrer Überwindung gegeben haben. Mir unvergessen: Ihre Predigt nach den Ereignissen des 11. September, damals in der Hedwigs-Kathedrale.

Das zu können, gerade in Situationen größter Not, das ist eine besondere Gabe!

Vielleicht geht das auch nicht ohne spirituelle Grundhaltung, aus der Sie kein Geheimnis machen. Sie erzählen freimütig, ohne dass das je indiskret wäre, dass Sie nach Möglichkeit mit Ihrer Frau jeden Morgen die Herrnhuter Losungen lesen und sie für sich auslegen auf den kommenden Tag hin. Dass Sie jeden Morgen dankbar sind dafür, dass Sie erwacht sind und ein neues Stück Leben vor sich haben.

Schon das weist darauf hin, dass Ihr Wirken nicht denkbar wäre ohne Kara, Ihre Frau. Sie steht Ihnen nicht nur als glaubende und liebende Partnerin zur Seite. Ich bewundere sie auch für das Engagement, mit dem sie ihre eigenen Projekte betreibt, so wie wir uns zum Beispiel bei Entdeckungen der alten Dorfkirchen in Berlin und Brandenburg mehrfach begegnet sind.

Kirchliches Engagement ist nach Wolfgang Huber ohne klare theologische Haltung und, wie wir gehört haben, ohne Spiritualität nicht denkbar. Aber eben auch nicht ohne den realistischen Blick für die Welt, in der eine konkrete Kirche zu einer konkreten Zeit existiert. Sie, lieber Bischof Huber, haben sich immer wieder dafür eingesetzt, dass kirchliche Reform, dass kirchliche Erneuerung beides im Auge behalten muss: die schlichte, auch ökonomisch begründete Einsicht, dass neue Strukturen neuen, realen Möglichkeiten angepasst werden müssen. Ebenfalls aber muss immer im Blick sein, wie die Kirche am besten ihrer ursprünglichen Botschaft treu bleiben und die Menschen erreichen kann, wo und wie sie heute zu erreichen sind.

Auch Sie haben nicht alles erreicht, was Sie sich in dieser Hinsicht vorgenommen haben. Und auch Sie, der so reflektiert in und aus den geistlichen Traditionen der Kirche lebt, wird es sehr schmerzen, wenn heute immer mehr Menschen von der Kirche Abschied nehmen, und das nicht nur als Folge allgemeiner Säkularisierungstendenzen. Es schmerzt, weil dadurch für lange Zeit, vielleicht für immer verloren geht, was man morgen nicht einfach neu erfinden kann. Jene lernbereite Grundspiritualität etwa, jene unaufgeregte Religiosität der alten Volkskirchen, wie es neulich jemand genannt hat.

Was in einer solchen Situation wirklich hilft, bleibt schwer zu beantworten. Gründliche, rückhaltlose Aufarbeitung von Fehlern und fehlverhalten, wo es zu beklagen ist, gehört sicher dazu. Aber ganz jenseits der aktuellen Gründe für Kirchenskepsis müssen wir vielleicht auch erkennen, dass Kirche nicht in allen Fragen präsent sein kann, bei den wichtigen aber präsent sein muss: da, wo die Schwachen Beistand brauchen oder wo Orientierung gefordert ist.

Aber Erkenntnis und Veränderungsbereitschaft werden allein nicht genügen. Es braucht unverändert überzeugende Frauen und Männer, Menschen wie Sie, Bischof Huber! Menschen, die durch ihr glaubwürdiges, souveränes, reflektiertes Leben darauf hindeuten, warum es sich lohnt, auch mit diesem Jesus von Nazareth zu sein. Die wissen, dass sie ihr Leben nicht sich selber verdanken. Die aus diesem tiefen Wissen heraus für sich selber und für andere da sind. Solche glaubenden Männer und Frauen kann man nicht machen und nicht bestellen. Aber hoffen kann man auf sie – und glücklich sein über die, lieber Wolfgang Huber, die es gibt.

Einer der bedeutendsten religiösen Autoren der Gegenwart, Tomáš Halík, 1978 für die Untergrundkirche der Tschechoslowakei heimlich zum Priester geweiht, enger Mitarbeiter von Václav Havel, Soziologieprofessor und Seelsorger in Prag, hat sein neuestes Buch Der Nachmittag des Christentums genannt. Eine schonungslose Analyse gerade des europäischen Christentums, das an diesem Nachmittag Abschied zu nehmen hat von vielen Gewissheiten und Selbstverständlichkeiten seiner tausendjährigen prägenden Präsenz in Europa. Und dass dieser Abschied nicht anders als schmerzlich sein kann, stellt er eindrücklich dar.

Aber am Ende fragt er, ob wir nicht größer denken, größer glauben, größer hoffen sollten. Und er verweist auf die jüdische und christliche Tradition, den neuen Tag jeweils am Vorabend zu beginnen, wenn die ersten Sterne zu leuchten beginnen: Übersehen wir nicht den Augenblick, wenn am Abendhimmel der erste Stern erscheint.

Liebe Gäste, Bischof Huber gehört zu den öffentlich wirksamen, öffentlich erkennbaren, öffentlich auch streitbaren und profiliert Glaubenden, die in unserer Gesellschaft Theologie präsentiert haben und präsentieren – als eine Rede von Gott, die unserer Gesellschaft und die den Einzelnen hilfreich und förderlich sein will. Von ganzem Herzen danken wir ihm dafür an diesem besonderen Tag.

Der Glückwunsch zu deinem Geburtstag, lieber Wolfgang, der ist in unserem Gesangbuch so wunderbar enthalten:

All Morgen ist ganz frisch und neu
des Herren Gnad und große Treu;
sie hat kein End den langen Tag,
drauf jeder sich verlassen mag.

Ad multos annos, lieber Wolfgang, dir einen herzlichen Glückwunsch und einen fröhlichen Achtzigsten; Ihnen allen herzlichen Dank!