Enthüllung des Ehrenbürgerporträts des Bundespräsidenten

Schwerpunktthema: Rede

Berlin, , 14. Oktober 2022

Bundespräsident Steinmeier hat am 14. Oktober bei der Enthüllung des Ehrenbürgerporträts des Bundespräsidenten im Abgeordnetenhaus von Berlin eine Rede gehalten: "Als Studierender erlag auch ich der Faszination für das West-Berlin der 1970er Jahre [...] Aber meine Faszination für das wiedervereinigte Berlin ist noch viel größer. Und zur Faszination hat sich seit 1999, seitdem ich hier mit meiner Familie lebe, eine geradezu heimatliche Verbundenheit hergestellt. Eine Verbundenheit zu einer Stadt, die natürlich, wem sage ich das, vor vielen Herausforderungen steht, die nicht blank geputzt, nicht perfekt ist, die aber improvisieren kann, die nie langweilig ist, die nicht kühl, aber cool ist – in einem Wort: sympathisch ist."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei einer Ansprache bei der Enthüllung des Ehrenbürgerporträts des Bundespräsidenten im Festsaal des Abgeordnetenhauses von Berlin

Meinen allerherzlichsten Dank für diese wirklich große Ehre – dafür, dass ich seit mehr als einem Jahr Ehrenbürger dieser faszinierenden Stadt Berlin sein darf, und dafür, lieber Armin Mueller-Stahl, dass Du mein Porträt für die Galerie der Ehrenbürger gemalt hast und heute hier sein kannst.

Lieber Armin, ich darf verraten – und deshalb war ich jetzt nicht ganz so überrascht, wie manche erwartet hatten –, ich sehe das Bild nicht zum ersten Mal. Im Juli konnten meine Frau und ich gemeinsam mit Dir und Deiner Frau Gabriele einen ganz kurzen Blick auf dieses Porträt, als es fertig war, werfen. Damals hast Du uns das Bild bei einem Besuch im Schloss Bellevue kurz gezeigt. Ich habe es Dir im Juli gesagt, und ich möchte es heute auch öffentlich sagen: Ich bin sehr, sehr dankbar, dass Du als so unglaublich vielseitiger Künstler in Schauspiel, Musik und Malerei, als langjähriger Berliner, als scharfsinniger politischer und gesellschaftlicher Beobachter und eben auch als Freund dieses Werk übernommen hast. Ich habe wunderbare Erinnerungen an unsere Begegnungen aus vielen Jahren, an unsere Gespräche, an Deine Konzerte in Brandenburg an der Havel, mal mit Günther Fischer, mal mit anderen, und ganz besonders an meinen Besuch bei Dir im Atelier in Sierksdorf erst im letzten Jahr.

Deine Porträts, auch das darf ich verraten, begleiten mich eigentlich schon seit langer Zeit: Zu Beginn meiner Amtszeit als Außenminister hast Du mir in meinem damaligen Büro am Werderschen Markt Deine Lithographie von Willy Brandt geschenkt, auch mit der Mahnung, das Maß an Vernunft, das es damals in Moskau noch gab, zu nutzen, um für friedliche Verhältnisse in Europa zu sorgen. Alle hier bedauern, dass das nicht gelungen ist. Du weißt, ich bewundere Deine unglaubliche künstlerische Vielfalt, auch Deine Malerei und ganz besonders Deine ausdrucksstarken Porträtserien – wir haben uns zuletzt Deinen Zyklus Jazz angeschaut, die meisten hier kennen den Zyklus der Jüdischen Freunde. Menschenbilder, so hieß eine Deiner Ausstellungen in Brandenburg an der Havel, die ich 2015 eröffnen durfte und die die Menschen dort bis heute nicht vergessen haben; das habe ich gerade bei einem Besuch vor einigen Wochen in derselben Ausstellungshalle noch einmal erleben dürfen.

Das Porträt, das wir heute enthüllen, hast Du, und Du hast die Umstände geschildert, in einer wahrhaft schwierigen Zeit geschaffen. Russlands grausamer Angriffskrieg gegen die Ukraine entsetzt uns alle. Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer erfahren seit dem 24. Februar unermessliches Leid, Zerstörung, Tod. Du, lieber Armin, Du hast als junger Mensch die Grauen des Zweiten Weltkrieges erlebt, musstest Deinen Vater an der Kaserne verabschieden und sahst ihn nie wieder.

Bei der Eröffnung Deiner großen Ausstellung in der Kunsthalle Rostock im Mai dieses Jahres hast Du gesagt: Krieg ist das Widerlichste, was Menschen anderen Menschen antun können. Punkt. Das wird auch in Deinem Gemälde Russland, Ukraine deutlich, entstanden nach Putins Angriff auf die Ukraine. Man könnte fliehende Ukrainerinnen und Ukrainer in diesem eher abstrakten Werk erkennen. Frau Regierende Bürgermeisterin, nicht wenige der Fliehenden sind hierher nach Berlin gekommen – und sie trafen hier auf große Solidarität und ganz viel Hilfe. Allen Berlinerinnen und Berlinern, die sich hier engagiert haben und dies weiterhin tun, gilt mein und, ich denke, unser aller allerherzlichster Dank!

Lieber Armin, ich weiß aus unseren Gesprächen: Kunst ist für Dich immer Auseinandersetzung – und oft eben auch politische Auseinandersetzung. Du hast die gesellschaftliche und auch die politische Verantwortung des Künstlers stets angenommen. Lieber einen Knick in der Karriere als im Rückgrat, so hast Du das mal beschrieben. Das war auch 1976 so, als Du den offenen Brief gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann unterschrieben hast, ebenfalls Ehrenbürger dieser Stadt. Und das war am Ende auch das Ende Deiner Karriere in der damaligen DDR. Aber Deine Kunst, Dein Können, Deinen Erfolg, all das hast Du mitgenommen: 1980 nach Westdeutschland, später ins wiedervereinigte Deutschland, in die USA und in die ganze Welt. Du bewegst Dich zwischen den Ländern genauso wie zwischen künstlerischen Metiers und hast Deinen Beruf an anderer Stelle auch als Brückenbauer bezeichnet.

Meine Damen und Herren, Armin Mueller-Stahls Kunst, Brücken zu bauen und dabei das offene, ehrliche Wort nicht zu scheuen, das passt hierher, das passt nach Berlin. Hierher, in die Stadt, die die Wiedervereinigung geradezu verkörpert, in der die Menschen aus Ost und West und aus vielen Ländern dieser Welt gemeinsam erleben, was uns als Berliner und als Deutsche verbindet, was uns zusammenhält, mindestens zusammenhalten könnte. Denn die Menschen dieser Stadt haben aus den zwei Berlins wieder ein Berlin, eine Hauptstadt gemacht. Ich bin froh, Bürger und Ehrenbürger dieses einen Berlins sein zu dürfen.

Als Studierender erlag auch ich der Faszination für das West-Berlin der 1970er Jahre, für die Stadt der Träume, oder ich sollte lieber sagen, für die Stadt der Legenden, aber darüber habe ich bei der Verleihung der Ehrenbürgerwürde im letzten Jahr hier viel gesprochen. Ganz ehrlich gesagt, und das füge ich heute aus Überzeugung hinzu: Meine Faszination für das wiedervereinigte Berlin ist noch viel größer. Und zur Faszination hat sich seit 1999, seitdem ich hier mit meiner Familie lebe, eine geradezu heimatliche Verbundenheit hergestellt. Eine Verbundenheit zu einer Stadt, die natürlich, wem sage ich das, vor vielen Herausforderungen steht, die nicht blank geputzt, nicht perfekt ist, die aber improvisieren kann, die nie langweilig ist, die nicht kühl, aber cool ist – in einem Wort: sympathisch ist.

Lieber Armin, von Dir kursiert das Zitat: Wer immer nur funktioniert, entzieht sich dem Abenteuer des Lebens. Berlin, das ist immer auch Abenteuer. Manchmal, wenn ich an besondere Wahltage denke, könnte es auch etwas weniger davon sein.

Lieber Herr Präsident des Abgeordnetenhauses, liebe Frau Regierende Bürgermeisterin, ich danke für die Ehre, Bürger und Ehrenbürger dieser Stadt sein zu dürfen, und freue mich, dass diese Ehrenbürgerwürde nun durch Deine wunderbare Kunst, lieber Armin, hier in diesem Hause gekrönt wird.