Staatsbankett zu Ehren von König Felipe VI. und Königin Letizia von Spanien

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 17. Oktober 2022

Der Bundespräsident hat am 17. Oktober bei einem Staatsbankett zu Ehren von König Felipe VI. und Königin Letizia von Spanien eine Rede in Schloss Bellevue gehalten: "Es ist nicht weniger als ein Epochenbruch, den wir gerade erleben. Umso wichtiger ist es, dass wir Europäer jetzt Geschlossenheit zeigen und zusammenstehen, dass wir uns auf unsere Werte besinnen und sie schützen, im Inneren wie nach außen: die Achtung der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit. Es geht um nicht weniger als den Schutz unserer Demokratie!"

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Ansprache beim Staatsbankett zu Ehren von König Felipe VI. und Königin Letizia von Spanien im Großen Saal in Schloss Bellevue

Wenn ich seit kurzem habe wissen wollen, was vor langer Zeit geschah, dann war der eigentliche Grund dafür meine Heirat (aber ich habe eher nicht wissen wollen und es doch erfahren). Zitat Javier Marías.

Nicht wissen wollen und doch wissen müssen um die Vergangenheit: Das war ein Lebensthema des großen, kürzlich verstorbenen Javier Marías. Es ist auch das Thema des Romans Mein Herz so weiß, mit dem er internationalen Ruhm erlangte und aus dem dieses Zitat stammt. Marías erzählt darin die Geschichte eines Mannes, – viele von Ihnen kennen sie –, der nicht wissen will und am Ende doch weiß. Es ist die Geschichte einer Ehe, einer Familie, aber auch eine Geschichte von Moral und Politik, von Verstrickungen in einer Diktatur und der Freiheit des Menschen. Kurzum: Mein Herz so weiß ist so universell wie das gesamte Werk dieses Erzählers. Mit seiner ganz eigenen Sprache zog er auch bei uns in Deutschland – dank der hervorragenden Übersetzungen – viele Leserinnen und Leser in seinen Bann. Auch wir verdanken diesem überzeugten Europäer viel.

Su Majestad Felipe VI, Rey de España, Su Majestad Letizia, Reina de España – Majestäten, die Literatur, die wunderbar reiche, vielfältige und vielsprachige Literatur Ihres Landes, sie wird in den kommenden Tagen eine ganz wichtige Rolle spielen, und darauf freue ich mich sehr. Seien Sie ganz herzlich willkommen hier in Schloss Bellevue! Es ist mir eine große Freude und eine große Ehre, Ihre Majestäten König Felipe VI. und Königin Letizia von Spanien heute hier zu Gast zu haben! Es para mí un gran placer dirigirme hoy a los invitados y a las invitadas de este Banquete de Estado en honor al Rey y a la Reina de España.

Majestäten, Exzellenzen, verehrte Gäste, es ist nicht zuletzt die Literatur, die die Menschen miteinander verbindet, über Grenzen und Kontinente hinweg. Und das Verbindende, das haben wir in diesen Zeiten bitter nötig. Wie schön, dass Spanien in diesem Jahr – lange ersehnt von uns allen – Gastland der Frankfurter Buchmesse ist. Und wie schön, dass wir, sehr verehrte Majestät, morgen die Buchmesse gemeinsam eröffnen! Sprühende Kreativität, das ist das Motto, mit dem sich Ihr Land präsentieren wird, und es ist genau das, das Sprühende, die Kreativität, was viele Deutsche an Spanien und seiner Kultur so fasziniert und begeistert.

Es ist nun fast genau vier Jahre her, dass meine Frau und ich bei Ihnen in Madrid zu Gast sein durften, und ich erinnere mich sehr gut an die vertrauensvollen Gespräche, die wir damals geführt haben, und an die vielen intensiven Eindrücke bei diesem Besuch. Es war ein Besuch bei Freunden, und ich hoffe, Sie erleben diese Tage bei uns in Deutschland genauso.

Vier Jahre, das ist eine lange Zeit. Wie viel ist passiert in dieser Zeit, wie viele Gewissheiten – gerade von uns Europäern – wurden auf eine harte Probe gestellt oder gänzlich hinweggefegt. Jahre, die viele Menschen überall in Europa als mehrfache Krise erleben. Erst kam die Pandemie, die uns allen gezeigt hat, wie verletzlich wir als Menschen sind. Auch Ihr Land hat das Coronavirus hart getroffen. Ich bin dankbar, Majestät, dass wir in dieser Zeit, die uns von so vielen fern hielt, engen Kontakt halten konnten.

Dann kam der 24. Februar 2022, der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine, auf ein unabhängiges Nachbarland, ein fürchterlicher Krieg mit all seinen brutalen Konsequenzen. Dieser Krieg bringt unendliches Leid, Tod, Zerstörung für die Menschen in der Ukraine. Dieser Krieg erschüttert uns alle. Und uns alle verbindet ein klares Bekenntnis: Wir stehen an der Seite der Ukraine – humanitär, finanziell und militärisch.

Wir spüren aber auch: Je länger dieser Krieg dauert, umso mehr sorgen sich die Menschen um Frieden und Sicherheit auf dem gesamten Kontinent. Und je länger er dauert, umso stärker sind auch die Folgen dieses Krieges zu spüren: Inflation, dramatisch steigende Kosten für Energie, unterbrochene Lieferketten – all das bewegt die Menschen in unseren Ländern.

Dazu kommt der Klimawandel, unter dessen Folgen Sie in Spanien bereits stark leiden. Aber auch in unserem Land sind die Auswirkungen der Erderwärmung deutlich spürbar. Verheerende Dürre, Hitze, Wassermangel einerseits, Starkregen und Überflutungen andererseits – all das trifft die Menschen in unseren beiden Ländern immer häufiger.

Eines ist für mich entscheidend: Dass wir uns all diesen Herausforderungen gemeinsam stellen! Die Freundschaft, das Band an Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern ist in den vergangenen Monaten und Jahren noch tiefer, noch enger geworden – auf Regierungsebene, aber auch in allen anderen Bereichen: in der Wirtschaft, in der Kultur, in Wissenschaft und Forschung. Ich bin zutiefst dankbar für das Geschenk der deutsch-spanischen Freundschaft.

Es ist eine Freundschaft, die über viele Jahre, ja, über Jahrhunderte gewachsen ist – von Karl dem Großen, dem wir bis heute Ihre Besuche in Aachen als Schirmherr des Karlspreises verdanken, über Karl den V., dem wir nicht nur Zitate über die deutsche und spanische Sprache, Gott und ein Pferd verdanken, bis hin zu Alexander von Humboldt, der in A Coruña zu seiner Forschungsreise nach Amerika aufbrach – in diesem Monat trafen sich dort die Regierungen unserer beiden Länder. Heute, in dieser Zeit, die wir als tiefe, mehrfache Krise erleben, ist diese Freundschaft besonders kostbar – ich glaube, das spüren alle hier im Saal.

Wir alle wissen: Es sind wahrlich große Aufgaben, die vor uns liegen. Ich glaube, es ist nicht weniger als ein Epochenbruch, den wir gerade erleben. Umso wichtiger ist es, dass wir Europäer jetzt Geschlossenheit zeigen und zusammenstehen, dass wir uns – wie Sie, Majestät, heute Morgen gesagt haben – auf unsere Werte besinnen und sie schützen, im Inneren wie nach außen: die Achtung der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit. Es geht um nicht weniger als den Schutz unserer Demokratie! Ich weiß, Majestäten, dass Sie beide sich mit Leidenschaft und Überzeugung einsetzen für unser geeintes Europa als einen Ort des Friedens und der Gerechtigkeit. Haben wir Vertrauen in Europa, haben wir Vertrauen in uns selbst, als Europäer, so haben Sie es einmal gesagt, Majestät.

Unsere beiden Länder, Spanien und Deutschland, verbindet eine ganz elementare Erfahrung: Unsere Demokratien entstanden erst in einem friedlichen, geeinten Europa. Und gerade wegen unserer Geschichte wissen wir um die Gefahren, wenn liberale Gesellschaften von innen her immer stärker angefochten werden. Dieser Gefahr müssen wir uns entgegenstellen, entschieden und mit aller Überzeugung!

Ich bin mir aber auch sicher, dass wir aus unserer tiefen Freundschaft Kraft schöpfen und viele Ideen und ja, auch sprühende Kreativität entwickeln können. Als eng befreundete Länder tragen wir dazu bei, dass wir in Europa gemeinsam die großen Krisen dieser Zeit anpacken, dass wir sie meistern werden. Wir Deutsche sind glücklich, Sie, Ihr Land, an unserer Seite zu wissen – als Partner und als Freunde, die voneinander lernen können.

Optimistisch stimmt mich auch, dass es vor allem die jungen Menschen in unseren beiden Ländern sind, die in engem Austausch stehen, die ganz selbstverständlich für einige Zeit im jeweils anderen Land leben, dort studieren, arbeiten, die Sprache lernen, die Literatur lesen. Denn es sind sie, die jungen Leute, die unsere, aber vor allem ihre Zukunft, ihre gemeinsame europäische Zukunft gestalten – eines geeinten, friedlichen Europa, für das der große Erzähler Javier Marías stand. Alles lässt sich erzählen, selbst das, was man nicht wissen will und nicht fragt und das doch gesagt wird, und man hört zu, heißt es am Ende von Mein Herz so weiß – das ist Marías‘ Vermächtnis an uns alle.

Darf ich Sie nun bitten, Ihre Gläser zu erheben und mit mir auf die Gesundheit Ihrer Majestäten König Felipe VI. und Königin Letizia anzustoßen. Auf Ihr Wohl, liebe Gäste und auf die Freundschaft zwischen unseren beiden Ländern!