Ordensverleihung zum Tag des Ehrenamtes

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 5. Dezember 2022

Der Bundespräsident hat am 5. Dezember in Schloss Bellevue acht Frauen und sieben Männer mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. In seiner Ansprache sagte er: "Ihr Engagement ist nicht nur bedeutend für die Einzelnen, denen Sie helfen, die Ihnen unmittelbar danken. Sondern Ihr Einsatz schafft etwas für unsere ganze Gesellschaft: Sie sind alle miteinander Vorbilder, Sie sind Ermutiger, Sie fördern das Miteinander und den Gemeinsinn in unserem Land. In anderen Worten: Sie sind diejenigen, die unser Land stark machen!"

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei einer Ansprache zur Verleihung des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland zum Tag des Ehrenamtes unter dem Motto 'Mitmenschlichkeit leben: Wege aus der Armut schaffen' im Großen Saal in Schloss Bellevue

Ich habe mir immer gewünscht – und tue das noch immer –, dass wir ein bisschen mehr den Mut finden, aufeinander zuzugehen und miteinander zu reden. Wenn Sie meinen, dieser Satz sei von mir, könnte das sein – ist er aber nicht. Er stammt von einem der heutigen Ehrengäste, und ich finde: Er hat recht. Ja, aufeinander zuzugehen und sich für andere einzusetzen, das erfordert Mut. Weil man sich nämlich die Probleme und Sorgen fremder Menschen zu eigen macht; Probleme und Sorgen, die man doch selbst eigentlich gar nicht haben will. Es erfordert Mut, weil man es aushalten können muss, mit Situationen und Erfahrungen konfrontiert zu werden, die manchmal auch unangenehm sind. Weil man keine Berührungsängste haben darf. Und weil es vielleicht auch schwierige Momente gibt, in denen man aufgeben will und man viel Kraft braucht, trotzdem immer weiterzumachen.

Liebe künftige Ordensträgerinnen und Ordensträger, Sie alle bringen diesen Mut auf. Sie gehen auf Ihre Mitmenschen zu, unterstützen sie in den unterschiedlichsten Notlagen, mit so viel Mitmenschlichkeit, mit so viel menschlicher Wärme, und das seit vielen, vielen Jahren. Dafür möchte ich Ihnen heute danken – für Ihren Mut und Ihren Einsatz für die Gemeinschaft. Es ist mir eine Ehre, Sie heute, am Internationalen Tag des Ehrenamtes, auszeichnen zu dürfen.

Gerade in diesem Winter werden Wärme und Mitmenschlichkeit so sehr gebraucht: In der Ukraine leben Millionen Menschen in großer Not, in Dunkelheit, in Kälte. Der brutale russische Angriffskrieg, die gezielte Zerstörung der Energie- und Wasserversorgung, all das trifft die Ukrainerinnen und Ukrainer mit voller Härte, und ich bin voller Dankbarkeit für die großzügige Hilfe, die so viele Deutsche in diesen Tagen leisten. Dabei geht es um ganz praktische Dinge wie Decken, Zelte, warme Kleidung, Generatoren und Heizgeräte, aber eben auch um ein wichtiges Zeichen der Mitmenschlichkeit: Wir sehen diese Not! Wir lassen die Ukraine nicht allein!

Diese Mitmenschlichkeit, die spüren auch die vielen Menschen, Frauen und Kinder zuallererst, die seit dem 24. Februar aus der Ukraine zu uns gekommen sind. So viele helfende Hände, so viel Einsatz und Initiative, an Bahnhöfen, in Unterkünften, in Schulen und Kitas, oft auch in den eigenen vier Wänden. Ich danke allen, die hier ohne viel Aufhebens anpacken. Deutschland steht fest an der Seite der Ukraine – und die Tatkraft, das Engagement von so vielen Menschen im Land zeigt jeden Tag konkret, was das bedeutet!

So sehr unsere Gedanken in diesen Wochen immer wieder sorgenvoll in die Ukraine wandern, bei unseren ukrainischen Freunden sind, so sehr wissen wir, dass sich auch in Deutschland Menschen vor dem Winter fürchten müssen. Obdachlose Menschen frieren auch in unserem Land, mitten im Frieden, inmitten des Wohlstandes. Sie übernachten bei Frost unter freiem Himmel und versuchen mühsam, die Kälte mit etwas Zeitungspapier zu lindern. Ohne die Hilfe von Menschen wie Ihnen, die ich heute auszeichnen darf, würden einige dieser Menschen wohl gar nicht durch diesen Winter kommen.

Es ist mir seit langem ein Herzensanliegen, dass niemand in unserem Land ohne Dach über dem Kopf leben muss. Daher freue ich mich sehr, heute so viele Ehrenamtliche auszeichnen zu dürfen, die Menschen ohne Obdach unterstützen.

Wie viel Selbstwertgefühl, wie viel Hoffnung, wie viel Würde soziale Projekte, für die Sie arbeiten, schaffen, das habe ich bei vielen Begegnungen erleben dürfen. Zuletzt in diesem Jahr etwa beim Verein Armut und Gesundheit in Deutschland in Mainz oder immer wieder auch hier bei der Berliner Stadtmission, zuletzt bei einem Besuch im Augustinenhof. Dort erzählte mir eine Bewohnerin stolz, dass sie hier das erste Mal seit Langem wieder das Gefühl habe, ihr Leben selbst gestalten zu können. Ein anderer Bewohner sagte, dass das Haus in der Berliner Auguststraße für ihn ein Zuhause geworden sei – das Zuhause, das er so lange vermisst habe.

Es sind Begegnungen wie diese, die mich in meinem Engagement gegen Obdachlosigkeit und Armut immer wieder bestärken. Ich bin zutiefst dankbar für Ihrer aller Einsatz – ohne diesen Einsatz würde es Menschen ohne Obdach in unserem Land so viel schlechter gehen. Aber klar ist: Sie alle machen das ehrenamtlich, und Ehrenamt allein kann natürlich nicht alle Probleme lösen. Deshalb ist auch die Politik in der Pflicht. Am Tag der Wohnungslosen im September habe ich daher hierher ins Schloss Bellevue eingeladen, um mit der Politik, mit der Wohnungswirtschaft, mit Engagierten, aber eben auch mit Betroffenen darüber zu reden, wie die Unterstützung noch besser werden kann, wie wir auch jene Menschen erreichen, die bisher immer oder noch zu häufig durch jedes Raster fallen.

Schon oft habe ich bei Ordensverleihungen gehört, dass das Ehrenamt, dass das Engagement für andere doch eine Selbstverständlichkeit sei. Oder dass die kleinen Dankbarkeiten, dass das kleine Feedback, was man gelegentlich hört, eigentlich schon Lob genug ist. Aber Ihr Engagement, meine Damen und Herren, ist nicht nur bedeutend für die Einzelnen, denen Sie helfen, die Ihnen unmittelbar danken. Sondern Ihr Einsatz schafft etwas für unsere ganze Gesellschaft: Sie sind alle miteinander Vorbilder, Sie sind Ermutiger, Sie fördern das Miteinander und den Gemeinsinn in unserem Land. In anderen Worten: Sie sind diejenigen, die unser Land stark machen!

Und Ihr Engagement ist unglaublich vielfältig. Sie helfen mit einer frischen Dusche oder mit einer warmen Mahlzeit oder mit einem Dach über dem Kopf, mit medizinischer Behandlung, mit einem Briefkasten für die Post, mit einer Straßenzeitung zum Verkaufen, mit einem Mikrokredit, mit Bildung oder Kunst und Kultur für Kinder und Jugendliche, mit einem Laptop für den Zugang zur digitalen Welt. Sie nehmen mit all Ihren Projekten Menschen in den Blick, die oft vergessen und oft verdrängt werden, Menschen, die zuallermeist nicht selbstverschuldet in Not kommen, sondern deren Not entweder ein gesellschaftlicher Missstand oder ein persönliches Unglück ist. Wenn selbst in unserem wohlhabenden Land immer noch viele Kinder von Armut bedroht sind, dann darf uns das nicht kaltlassen, das darf einer Gesellschaft nicht egal sein.

Sie alle haben das Leben vieler Menschen verbessert, wärmer gestaltet, Sie haben in unserer Gesellschaft Verbindungen und Verständnis füreinander geschaffen. Ich hoffe, das heutige Danke! in Form eines Ordens hilft Ihnen auch in jenen Momenten, in denen Sie gefragt werden, ob all das, was Sie für andere tun, überhaupt etwas bringt. Ob Ihr Engagement überhaupt dort ankommt, wo es hinsoll. Und sicher erleben Sie auch manchmal entmutigende Situationen, in denen etwas nicht so läuft, wie Sie sich das wünschen.

Aber ich möchte Sie heute bestärken: Glauben Sie an die Kraft Ihres Engagements! Und meine persönliche Bitte: Bringen Sie weiter den Mut auf, nicht wegzuschauen, sondern Menschen in Not zu helfen!

Ich freue mich, heute acht Frauen und sieben Männer ehren zu dürfen, und, liebe Frau Daubner, wir alle dürfen gespannt sein, was Sie uns gleich noch über das Engagement von jeder und jedem einzelnen berichten werden.

Ich möchte Ihnen allen von ganzem Herzen danken! Sie haben sich um unser Land verdient gemacht. Und ich freue mich, Sie mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland auszeichnen zu dürfen. Herzlichen Glückwunsch!