Die große Familie des deutschen Handwerks ist hier in Berlin zusammengekommen, um sich von ihrem langjährigen Chef zu verabschieden. Als uns die Einladung zu dieser Abschiedsfeier erreichte, mussten wir beide, meine Frau und ich, nicht lange überlegen. Uns war klar: Da müssen wir hin! Und wir freuen uns wirklich sehr, dass wir hier sind. Denn es gibt so viel, was uns beide mit dem Handwerk und mit Hans Peter Wollseifer verbindet.
Manche von Ihnen mögen das wissen: Mein Großvater war Ziegler, mein Vater war Tischler, der Vater meiner Frau war Tischler, mein Bruder ist Schlosser, der Bruder meiner Frau ist Zimmerermeister, mit anderen Worten: Meine Frau und ich, wir fühlen uns unter Handwerkerinnen und Handwerkern einfach zu Hause. Und vielleicht hat es auch ein bisschen was mit dieser familiären Prägung zu tun, dass uns der Maler- und Lackierermeister aus Hürth, den wir heute Abend ehren, auf Anhieb sympathisch war.
In den vergangenen Jahren sind meine Frau und ich Hans Peter Wollseifer immer wieder begegnet. Wir haben beide mit ihm zusammengearbeitet, um für Handwerksberufe und die duale Ausbildung zu werben. Ich erinnere mich an die Woche der beruflichen Bildung
, die wir 2018 zusammen mit Spitzenvertretern der Wirtschaft und des DGB ins Leben rufen konnten. Und ich bin dankbar für die gemeinsamen Besuche in Betrieben und Berufsschulen, für die vielen Gespräche mit Auszubildenden, die wir auch in der schwierigen Phase der Pandemie führen konnten.
Was mich mit Hans Peter Wollseifer verbindet, das ist vor allem eine Überzeugung. So wie er bin ich überzeugt: Das Handwerk hat eine ganz besondere Bedeutung für unsere Wirtschaft, für unsere Gesellschaft, für die Zukunft unseres Landes.
Deutschland, Sie alle wissen es, befindet sich in einer Phase des Umbaus, ebenso wie viele andere Länder in ganz Europa und in der Welt. Wir müssen fossile Energien durch erneuerbare ersetzen, Ressourcen schonen, Wirtschaft, Verkehr, Städte und Dörfer klimafreundlich machen, Straßen, Schienen, Schulen, Krankenhäuser und Unternehmen modernisieren und digitalisieren, Wohnungen bauen und die Versorgung von immer mehr älteren Menschen sicherstellen.
Für diesen großen Umbau brauchen wir starke Handwerksbetriebe, in allen Teilen unseres Landes. Wir brauchen Handwerkerinnen und Handwerker, die vor Ort bauen, sanieren, fertigen, installieren, warten und reparieren. Wir brauchen gut ausgebildete Fachkräfte. Und wir können es uns natürlich nicht leisten, dass Lehrstellen unbesetzt bleiben, dass Gesellinnen und Gesellen, Meisterinnen und Meister fehlen, dass Betriebe schließen müssen, weil ihre Inhaber in den Ruhestand gehen und keine Nachfolgerin oder keinen Nachfolger finden. Wie sehr es uns an Fachkräften mangelt, das spüren viele Bürgerinnen und Bürger mittlerweile in ihrem Alltag, wenn sie dringend einen Handwerker brauchen und wochenlang auf einen Termin warten müssen.
Die Pandemie und der Überfall Russlands auf die Ukraine haben die Lage nicht einfacher gemacht. Die wirtschaftlichen Folgen dieses Krieges, das höre und sehe ich in diesen Tagen immer wieder, treffen das Handwerk hart. Steigende Energiekosten, Materialengpässe, Kaufzurückhaltung, Auftragsverluste, das alles belastet die Betriebe, und es lastet auf den Betrieben, trotz vieler staatlicher Hilfen.
Während meiner Ortszeiten bin ich in den vergangenen Monaten mit vielen Handwerkerinnen und Handwerkern ins Gespräch gekommen. Ich weiß deshalb sehr gut, dass sich in der Zunft eine Menge Frust aufgestaut hat, vor allem in Ostdeutschland. Manche haben den Eindruck, dass nicht wertgeschätzt wird, was sie Tag für Tag für unser Land leisten – und sind der Meinung, dass die Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft sich um alles Mögliche kümmern, nur nicht um die Sorgen der kleinen und mittleren Betriebe. Sie fühlen sich nicht genügend ernst genommen oder sogar im Stich gelassen.
Ich bin überzeugt: Gerade weil einzelne Handwerker verunsichert sind, brauchen wir jetzt starke Organisationen des Handwerks. Organisationen, in denen Handwerkerinnen und Handwerker sich zusammentun, um ihre Anliegen zu formulieren und ihnen politisches Gewicht zu verschaffen, in denen aber auch eingeordnet, erklärt und aufgeklärt wird. Organisationen, deren Mitglieder sich selbstbewusst in den politischen Meinungsstreit einmischen, sich dabei aber immer bewusst sind, dass sie Mitverantwortung tragen für unsere liberale Demokratie.
Ebenso wie andere Vereine, Verbände, Parteien und Institutionen sind die Organisationen des Handwerks mitverantwortlich dafür, dass der demokratische Streit in unserem Land gelingt. Sie sind mitverantwortlich dafür, dass die vielen verschiedenen Menschen und Gruppen unserer Gesellschaft ihre Ansichten und Interessen zu Gehör bringen können, dass sie einander zuhören, argumentieren, um die beste Lösung ringen, nach Kompromissen suchen – und das friedlich, respektvoll, vernünftig, ohne Geschrei, ohne Hass, ohne Menschenfeindlichkeit. Dieses Verantwortungsgefühl für unsere liberale Demokratie, das wünsche ich mir natürlich nicht nur im Handwerk, sondern ich wünsche es mir in allen Teilen unserer Gesellschaft.
Jede und jeder hat das Recht, die eigene Meinung zu sagen. Aber jede und jeder muss auch damit rechnen, auf Widerspruch zu stoßen. Ob als Politikerin und Politiker, als Verbandsvertreterin und Verbandsvertreter oder als Bürgerin und Bürger: Wir alle sollten es doch zumindest für möglich halten, dass wir nicht immer schon alles wissen, uns manchmal irren und von unserem Gegenüber auch etwas lernen können. Nur unter dieser Voraussetzung kann ein offenes demokratisches Gespräch beginnen und gelingen.
Ich weiß, manche Organisationen des Handwerks sehen die Sanktionen gegenüber Russland kritisch. Aber ich bin überzeugt: Die Ursache der schwierigen Wirtschaftslage sind nicht die Sanktionen gegenüber Russland. Die Ursache ist der brutale, völkerrechtswidrige Angriffskrieg, den Russland gegen die Ukraine führt! Dieser Angriffskrieg bringt Tod, Leid und Zerstörung über die Ukrainerinnen und Ukrainer, und er richtet sich gegen Frieden, Freiheit und Demokratie in ganz Europa. Deshalb unterstützt unser Land die Ukraine im Kampf gegen die russischen Angreifer. Deshalb steht Deutschland an der Seite der Ukraine.
Wir können diese Unterstützung leisten, weil unsere Demokratie und unsere Wirtschaft stark sind, auch in diesen schwierigen Zeiten. Ich versichere Ihnen, das meine ich ganz ernst: Ich habe einen Riesenrespekt vor allen Handwerkerinnen und Handwerkern, die ihre Unternehmen im Augenblick durch diese Krise steuern, mit Wissen und Können, mit guten Ideen, mit vereinter Kraft. Sie sind diejenigen, die unser Land am Laufen halten. Dafür Ihnen allen meinen ganz, ganz herzlichen Dank!
Wir ehren heute einen Handwerksmeister, Familienunternehmer und Verbandspolitiker, der für all das steht, was wir in dieser Zeit des Umbaus so dringend benötigen: Traditionsbewusstsein und Wandlungsfähigkeit, Unternehmergeist und Verantwortungsbereitschaft, Bodenständigkeit und Weltoffenheit, Mut und Zuversicht.
Als Hans Peter Wollseifer die kleine Malerfirma seines Vaters übernahm, war er gerade mal 21 Jahre alt. Er baute den Drei-Mann-Betrieb zu einem Unternehmen für Bauwerkschutz und Gestaltung aus, übernahm bundesweit Aufträge, beschäftigte bis zu hundert Mitarbeiter, bildete aus, gründete neue Unternehmen, war auch im Ausland im Einsatz, passte sein Geschäftsmodell ständig den neuen Marktbedingungen an. Ein Werkmeister des Wandels, ein Werkmeister, wie er für das deutsche Handwerk so typisch ist.
Seinen Erfolg als Unternehmer musste Hans Peter Wollseifer sich immer wieder hart erarbeiten. Umso beeindruckender, dass er sich zusätzlich zu seinem Beruf in vielen und wichtigen Ehrenämtern für unser Gemeinwesen engagiert hat – in den Organisationen des Handwerks, aber auch in anderen Verbänden und Institutionen, im Landkreis Rhein Erft und in Köln ebenso wie in Berlin und in Brüssel.
Soziale Verantwortung, das hat er einmal selbst gesagt, bedeute immer, ein Stück weit mehr
als seine Pflicht zu tun. Ein Stück weit mehr, das ist im Fall von Hans Peter Wollseifer natürlich eine gigantische Untertreibung. Aber ich finde, das ist ein ganz guter Richtwert für unsere Gesellschaft. Andere könnten sich daran orientieren!
Neun Jahre stand Hans Peter Wollseifer an der Spitze des Zentralverbands des Deutschen Handwerks. Unermüdlich hat er sich für die Anliegen von rund einer Million Betrieben und mehr als fünf Millionen Beschäftigten eingesetzt. Er ist – so habe ich es jedenfalls empfunden – nicht nur ein Handwerksmeister, sondern auch ein Meister des politischen Handwerks.
Offen, zugewandt und respektvoll im persönlichen Umgang, ruhig, sachlich, ausgleichend in der politischen Auseinandersetzung, nicht zuletzt mit viel rheinischem Optimismus gesegnet – mit dieser Art hat Hans Peter Wollseifer in seinem Verband und in allen demokratischen Parteien Respekt und Vertrauen gewonnen. Und auch in der Öffentlichkeit, ich war viele Jahre Zeuge, ist er nie schrill und alarmistisch aufgetreten, hat mit Argumenten gestritten, in größeren Zusammenhängen gedacht und sich gerade dadurch Gehör und Durchsetzungskraft verschafft. In einem Debattenklima, das rauer und gereizter geworden ist, habe ich seine Stimme immer als besonders wichtig und besonders ermutigend empfunden. Und das nimmt man wahr, und da hört man genau hin.
Es reicht nicht aus, zum Beispiel den Fachkräftemangel zu beklagen – Politik, Sozialpartner, Betriebe und Bildungseinrichtungen müssen gemeinsam handeln. Hans Peter Wollseifer hat dazu einen wichtigen Beitrag geleistet. Es ist auch sein Verdienst, dass die berufliche Bildung immer mehr zum gleichwertigen Bildungsweg neben dem Studium geworden ist. Und es ist ihm immer wieder gelungen, auch junge Menschen für Handwerksberufe zu begeistern.
Hans Peter Wollseifer hat sich mit Leidenschaft dafür eingesetzt, dass die Türen der deutschen Handwerksbetriebe offen für alle sind, die lernen, arbeiten, sich einbringen wollen. Für ihn war immer klar: Das Handwerk ist Teil der Gesellschaft, es trägt vor Ort eine Mitverantwortung dafür, dass das Miteinander der vielen verschiedenen Menschen in unserem Land, dass dieses Miteinander der Verschiedenen tatsächlich gelingt.
Er steht für ein Handwerk, das Frauen gleiches Gehalt, gleichen Lohn und gleiche Aufstiegschancen bietet, auch in den Berufen, die lange Zeit als Männerdomänen
galten. Für ein Handwerk, das Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte ausbildet, beschäftigt und unterstützt. Er steht für ein Handwerk, das auch denen Chancen öffnet, die es im Leben schwerer haben als andere. Und er steht für Handwerkerinnen und Handwerker, die sich nach Feierabend ehrenamtlich in ihrer Region engagieren, die zum Beispiel nach der Flutkatastrophe an Ahr und Erft dort mit angepackt haben.
Ich finde, diese Haltung sollte nicht nur im Handwerk leben und gelebt werden, sondern überall in unserer Gesellschaft. Ich möchte in einem Land leben, in dem wir uns nicht an Vornamen und Vorurteilen orientieren, sondern an Vorbildern: an Menschen, die für andere da sind – im Beruf, in der Familie, im Ehrenamt – und die viel mehr für unser Gemeinwesen tun, als es ihre Pflicht wäre.
Sie, lieber Hans Peter Wollseifer, Sie sind so ein Vorbild Sie haben sich verdient gemacht um das deutsche Handwerk, um die berufliche Bildung, um die Sozialpartnerschaft, um unsere liberale Demokratie. Und ich danke Ihnen im Namen unseres ganzen Landes für Ihren großen Einsatz. Herzlichen Dank!
Und das Beste ist: Sie verabschieden sich heute zwar als Präsident des Zentralverbands, aber Sie verabschieden sich nicht aus der Welt der Handwerkspolitik. Ich wünsche mir, dass Sie weiter hörbar bleiben – unser Land braucht Ihre Stimme, gerade in dieser Zeit der Krisen und Veränderungen!
Lieber Hans Peter Wollseifer, Sie haben einmal gesagt: Für alles im Leben habe ich immer sehr hart gearbeitet. Nur eines habe ich geschenkt bekommen. Das ist meine Familie, die mich immer in allem unterstützt hat.
Deshalb gilt mein und unser Dank heute auch Ihrer Ehefrau. Liebe Angelika, ganz viele gemeinsame, entspannende Abende wird es in den letzten Jahren nicht gegeben haben. Ich wünsche Ihnen, dass Sie in der nächsten Zeit miteinander das eine oder andere nachholen können. Alles Gute dafür, und auch Ihnen ganz herzlichen Dank!
Sehr geehrter Herr Dittrich, auch Ihnen heute noch einmal persönlich alles Gute, Glück und Erfolg in Ihrem neuen Amt! Es ist ein wichtiges Amt, gerade jetzt. Unser Land braucht mehr denn je ein starkes, ein weltoffenes, ein zukunftsorientiertes Handwerk. Und unsere liberale Demokratie braucht Handwerksorganisationen, die sich ihrer Mitverantwortung für ein gutes Miteinander in unserer vielfältig gewordenen Gesellschaft täglich bewusst sind.
Es gibt viel zu tun. Packen wir’s an!
Es war ein großes Unternehmen der Energiewirtschaft, das in den Achtzigerjahren mit diesem Slogan geworben hat. Heute leben wir in völlig anderen Zeiten, und wir müssen vieles ganz anders machen als damals, vor vierzig Jahren. Aber die Haltung, die in diesem Satz zum Ausdruck kommt, die brauchen wir heute dringender denn je.
Lassen wir uns doch nicht anstecken von denen, die Endzeitstimmung verbreiten! Vergeuden wir nicht unsere Kraft im Gegeneinander! Glauben wir an uns selbst und daran, was in diesem Land tatsächlich drinsteckt! Ich bin überzeugt: Auch in dieser Zeit, in der uns der Wind im Augenblick ins Gesicht bläst, können wir das Haus unserer Zukunft gemeinsam bauen. Ein Haus, in dem die vielen verschiedenen Menschen unserer Gesellschaft heute und morgen gut leben können und werden. Machen wir uns ans Werk!