Empfang zum 50-jährigen Bestehen der Universität Haifa

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 10. März 2023

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 10. März in Schloss Bellevue einen Empfang zum fünfzigjährigen Bestehen der Universität Haifa mit einer Ansprache eröffnet: "Die Universität in Haifa [...] steht für den Traum einer besseren, einer friedlicheren Welt, in der Menschen aus allen Kulturen und Religionen gleichberechtigt und friedlich zusammenleben. Dieser Traum rückt im Nahen Osten in diesen Wochen leider in noch weitere Ferne. Die Eskalation von Hass und Gewalt [...] bereitet uns allen große Sorge."

Bundespräsident Steinmeier steht am Rednerpult und spricht im Großen Saal von Schloss Bellevue beim Empfang zum 50. Gründungsjubiläum der Universität Haifa

Fünfzig Jahre, ein halbes Jahrhundert stolzer Geschichte! Meine herzlichen Glückwünsche zu diesem ganz besonderen Jubiläum dieser ganz besonderen Universität, lieber verehrter Präsident Ron Robin! Welche Freude, Sie heute hier begrüßen zu dürfen! Und auch Ihnen allen, die der Universität Haifa so eng verbunden sind, Ihnen, liebe Sonja Lahnstein-Kandel, lieber Manfred Lahnstein, liebe Mitglieder des Fördererkreises der Universität Haifa, Ihnen allen ein herzliches Willkommen im Schloss Bellevue. Ich freue mich sehr, dass wir heute zu dieser Feier zusammenkommen.

Wie gern denke ich an die Tage in Haifa, hoch oben auf dem Karmelgebirge, als ich dort 2008 – damals noch in anderer Funktion – das Haifa Center for German and European Studies eröffnen durfte. Es war mein erster Besuch in der Stadt, und ich war tief beeindruckt von dem Geist, der Haifa und seine Universität prägt: ein Geist der Offenheit, der Toleranz, des friedlichen Zusammenlebens.

Dort oben auf dem Karmel, wo einst der Gott Baal verehrt, wo im 12. Jahrhundert der Orden der Karmeliten gegründet wurde, dort steht heute dieser architektonisch so eindrucksvolle Campus, auf dem junge Leute aus Israel und aus aller Welt studieren. Die Universität Haifa ist ein international renommiertes Zentrum wissenschaftlicher Exzellenz. Sie ist aber auch ein Zentrum, ja geradezu ein Labor des friedlichen Zusammenlebens: Jüdinnen und Muslime, Drusen und Christinnen lernen und forschen dort gemeinsam – das klingt nach wie vor selbstverständlicher, als es tatsächlich ist. Multiversity, das ist Ihr Konzept für die Universität der Zukunft, lieber Ron Robin. Und ich bin sicher, dass Ihre Universität damit noch stärker vom Berg Karmel in die Stadt, ins Land und hoffentlich in die ganze Welt ausstrahlen wird.

Wenn wir heute gemeinsam zurückblicken auf dieses halbe Jahrhundert, dann blicken wir auch auf die ganz besondere Verbindung dieser Universität mit Deutschland. Vielleicht sollte ich besser von einer Achse Haifa-Hamburg sprechen. Denn fast so lange, wie es die Universität Haifa gibt, fast genauso lange hat eine Gruppe von engagierten Hamburgern sich einer Mission verschrieben: diese Universität zu fördern – und insbesondere Studentinnen und Studenten zu fördern, denen es häufig gar nicht oder nur schwer möglich ist, eine Hochschule zu besuchen.

Shalom, Frieden, das war die Vision, die Eric M. Warburg, selbst ein Verfolgter des NS-Regimes, damals geleitet hat. Shalom, Frieden, das sollte mehr als ein Gruß sein. Es sollte gelebte Wirklichkeit werden. Davon träumte Eric M. Warburg, davon träumten und träumen Sie im Fördererkreis bis heute. Die Universität Haifa, sie steht für ein liberales, ein weltoffenes und vielfältiges Israel.

Wenn heute junge Araberinnen und Araber ein Fünftel der Studierenden ausmachen, dann ist das auch Ihnen, dem Fördererkreis zu verdanken. Und dass dort insbesondere junge arabische Frauen hervorragend ausgebildet werden, auch das ist Ihren Programmen zu verdanken. Für Euch gibt es keine Grenzen nach oben, Ihr könnt die Stars der arabischen Gesellschaft werden, das sagen Sie, verehrte Professorin Mouna Maroun, zu Ihren jungen arabischen Masterstudentinnen und Doktorandinnen. Welch wunderbare Ermutigung!

Keine Grenzen nach oben – ich finde, damit lässt sich die Arbeit des Fördererkreises sehr gut beschreiben. Vom Jewish-Arab Community Leadership Program bis zum Werner Otto Graduate Arab Women Program, vom Projekt Haifa meets Frankfurt bis hin zur Aufnahme von aus der Ukraine geflüchteten Wissenschaftlern – Ihr Engagement ist wahrlich eindrucksvoll und vielfältig. Längst ist diese enge Verbindung nach Haifa ein nicht mehr wegzudenkender Teil der deutsch-israelischen Beziehungen. Beziehungen, die ihren Anfang eben im Bereich der Wissenschaft hatten und überhaupt erst den Weg bahnten für die spätere politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Heute verbindet unsere beiden Länder eine tiefe Freundschaft. Für die Versöhnung, die Israel unserem Land geschenkt hat, können wir Deutsche nicht dankbar genug sein.

Und es sind vor allem die jungen Menschen in unseren beiden Ländern, die diese Freundschaft heute ganz konkret leben, mit einem dichten Netz von persönlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Kontakten und Projekten. Die Universität in Haifa spielt dabei eine Rolle, die gar nicht hoch genug einzuschätzen ist: Sie steht für den Traum einer besseren, einer friedlicheren Welt, in der Menschen aus allen Kulturen und Religionen gleichberechtigt und friedlich zusammenleben.

Dieser Traum rückt im Nahen Osten in diesen Wochen leider in noch weitere Ferne. Die Eskalation von Hass und Gewalt, die wir in den vergangenen Wochen und Monaten sehen, die Sie dort erleben, bereitet uns allen große Sorge. Sorge bereitet uns auch der von der Regierung geplante Umbau des Rechtsstaates – gerade weil wir Deutsche immer mit großer Bewunderung auf den starken und lebendigen Rechtsstaat in Israel geschaut haben. Gerade weil wir wissen, wie notwendig dieser starke und lebendige Rechtsstaat in der Region ist. Ich bin in regelmäßigem Austausch mit meinem Freund und Amtskollegen Isaac Herzog, und ich setze auf seine kluge und ausgleichende Stimme in der israelischen Debatte. Diejenigen, die sich für Verständigung und Entspannung, für Dialog einsetzen, verdienen all unsere Unterstützung – damit der Traum, für den sich die Universität Haifa einsetzt, eines Tages tatsächlich in Erfüllung gehen kann.

Ihnen allen im Fördererkreis möchte ich heute aus ganzem Herzen für Ihr Engagement danken. Und wenn ich mir vielleicht noch etwas wünschen darf, dann ist es das: Lassen Sie nicht nach damit! Geben Sie Ihren Traum nicht auf! Wer Sie kennt, liebe Frau Lahnstein-Kandel, der ahnt ja, dass Sie sich auch weiter mit all Ihrer Leidenschaft für dieses deutsch-israelische Freundschafts- und Friedensprojekt einsetzen werden. Es ist gerade in so schwierigen Zeiten unschätzbar wichtig und bleibt ein großes Symbol der Hoffnung.

Herzlichen Dank!